Samstag, 10. Oktober 2020

Famous Last Words V

 In meinem Buch „Das fliegende Glossenzimmer – Schulische Satiren“ habe ich mich in einem Abschlusskapitel an die einzelnen Gruppen gewandt, die konkret mit Schule zu tun haben. 

In meiner kleinen Serie sind bereits meine Worte an die Lehrerinnen und Lehrer, die jungen Kolleginnen und Kollegen im Referendariat, die Schulleiterinnen und Schulleiter und die Eltern veröffentlicht. Zum Abschluss sind heute die Menschen dran, um die es in der Schule geht:

 

Liebe Schülerinnen und Schüler,

meine Arbeit mit jungen Leuten (nicht nur am Gymnasium, sondern schon viel früher in der kirchlichen Jugendarbeit und im Zivildienst) hat mir immer wieder gezeigt:

Der Anteil von Vollidioten ist weltweit relativ gering und nicht von Alter, Beruf oder Bildungsstand abhängig. Daher darf ich sagen: Die Arbeit mit den meisten von euch war stets hochinteressant, spannend und hat oft Spaß gemacht.

Junge Menschen zum Denken und Beurteilen anzuregen gehört zum Aufregendsten, was man beruflich unternehmen kann. Und ja – mir hat es schon immer Freude bereitet, auf einer „Bühne“ zu stehen und das Publikum zu unterhalten. Daher halte ich Eitelkeit nicht generell für eine Schwäche…

Was euch – altersbedingt natürlich entschuldbar – nicht immer eingeleuchtet hat: Schüler haben auf die Art des Unterrichts einen riesigen Einfluss. Wer sich auf den Standpunkt stellt: „Ich will eigentlich gar nicht hier sein, nicht mitarbeiten, nix lernen, bestenfalls Unsinn anstellen – mal sehen, was dann der Lehrer macht“, darf sich nicht wundern, wenn ihm dann eventuell die Brocken um die Ohren fliegen. Wer die „Diktatur“ unbedingt will, kriegt sie manchmal auch – leider heute viel zu selten.

Aber wem erzähle ich das – die meisten von euch sind ja inzwischen längst erwachsen, stehen mehrheitlich selber im Berufsleben. Da wisst ihr sicher, was ich meine.

Insofern war und ist es mir piepegal, ob ihr mich oder andere Kollegen für zu streng, zu lasch oder sonst was haltet (oder früher mal gehalten habt). Eines jedoch würde mich sehr belasten: Wenn ihr meint, ich sei inkonsequent gewesen oder man hätte bei mir zu wenig lernen können. Ich weiß aus eigener Erfahrung: Man merkt sich nur die Lehrer mit klar einschätzbarer, überzeugender Persönlichkeit – egal, wie böse oder nett sie waren.

Bildung war für mich immer das entscheidende Mittel zur Emanzipation, der Fahrstuhl, mit dem jeder und jede auch von ganz unten nach oben gelangen kann – gleich, aus welchem Elternhaus, welcher sozialen Schicht oder ethnischen Gruppe er oder sie stammt. Darum hat mich dieses Thema mein ganzes Leben lang fasziniert.

Angesichts von all dem Killefitz, dem man heute in der Bildung den „Problemstatus“ verleiht, mit dem man die Schule bis zur Besinnungslosigkeit „reformiert“, habe ich stets Fernsehberichte von Dorfschulen in Entwicklungsländern vor Augen:

Das einzige Klassenzimmer eine Art Lehmhütte, vierzig und mehr Kinder sitzen auf altersschwachem Mobiliar oder gleich am Boden, vor ihnen ein Lehrer sowie eine abblätternde Schultafel. Es werden Wörter oder Rechenaufgaben geübt, und man sagt viel im Chor auf oder singt – methodische „Steinzeit“ also.

Dennoch: Welche Freude auf den Gesichtern der Schüler und auch der Lehrkraft, die voll in ihrem Element ist und gelegentlich die Stimmung zum Überkochen bringt. Wieso dieses Hochgefühl bei solch spartanischen Bedingungen?

Obwohl man natürlich wusste, dass dabei eine Kamera lief, meine ich doch: 

Ich glaube, diesen Kinder ist klar, welches Privileg es bedeutet, lernen zu dürfen – bei Schülerinnen in muslimischen Ländern oft unter Lebensgefahr. Taliban hassen Bücher, weil sie diese nicht verstehen und für bedrohlich halten. Auch bei uns hat man vor knapp 90 Jahren noch Bücher verbrannt…

Die pakistanische Friedennobelpreisträgerin Malala Yousafzai wurde auf dem Schulweg von religiösen Extremisten angeschossen und überlebte dieses Attentat nur knapp. Erklärter Grund für diesen Anschlag war ihr Eintreten für Bidungschancen der weiblichen Bevölkerung. Ihre denkwürdige Rede vor den Vereinten Nationen 2013 schloss die damals Sechzehnjährige mit den Worten:

„Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern. Bildung ist die einzige Lösung. Bildung zuerst.“


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Mittwoch, 7. Oktober 2020

Famous Last Words IV

 In Fortsetzung meiner kleinen Serie wende ich mich heute an die Eltern:

 

Liebe Eltern, 

vielleicht sind Sie mir böse, da ich Sie in etlichen Texten als Helikopter dargestellt habe, welche die Schule ständig mit irgendwelchem Blödsinn nerven.

Daher: Ich habe in meinem Berufsleben eine Menge Mütter (und manchmal sogar Väter) kennengelernt, mit denen ich verständnisvoll und produktiv zum Wohle ihrer Kinder zusammenarbeitete. Und ja, werte Herren: Oft hatte ich den Eindruck, Sie hielten Erziehung für eine „Frauensache“. Gerade bei Buben kann das grandios misslingen!

In den Sprechstunden konnte ich nicht wenige Mütter davon abbringen, wegen momentaner Krisen an ihren Kindern zu verzweifeln, Sie ermutigen, dennoch zu ihnen zu stehen, ihre weitere Entwicklung mit Optimismus und Empathie, aber unaufgeregt zu begleiten. Manche von Ihnen waren sehr erstaunt über meine Einstellung, dass Noten nicht alles seien – und manchmal auch: dass man ohne Abitur ein erfolgreicher und glücklicher Mensch werden könne. 

Vor allem aber, liebe Eltern: Sie sind nicht schuld an allem, was Ihre Kinder verbocken. Die Lehrer aber auch nicht! 

Es wächst jedoch die Zahl der Eltern, welche der Schule das Wichtigste vorenthalten, das sie von ihnen bräuchte: Vertrauen.

Glauben Sie mir: Nicht jede „Horrorgeschichte“, die Ihr Kind aus dem Unterricht mitbringt, hat sich so abgespielt, wie sie klingt! Junge Menschen haben nicht den Überblick von Erwachsenen und lieben abenteuerliche Erzählungen. Nicht jede schlechte Note, jede Erziehungsmaßnahme war tatsächlich so ungerecht, wie sie Ihnen geschildert wird. Es ist das gute Recht Ihres Sohnes oder Ihrer Tochter, sich aus der Sache herauszureden, anderen die Schuld zu geben. Das machen sogar Erwachsene. Dies sollten Sie, wie die Lehrkräfte, entspannt ertragen und sich nicht instrumentalisieren lassen. 

In meiner Generation wartete auf uns Kinder in solchen Fällen der elterliche Spruch: „Dein Lehrer wird schon wissen, was er tut.“ Glauben Sie mir: In der überwiegenden Zahl der Fälle stimmt der Satz heute mehr denn je!

Sicherlich sollten Sie die schulische Entwicklung Ihres Nachwuchses aufmerksam verfolgen – und selbstverständlich dürfen Sie sich einmischen, wenn sich ernste Krisen anbahnen, Ihre Kinder an Lehrkräfte oder Mitschüler geraten, die es nicht verdienen, an dieser (oder überhaupt einer) Schule zu sein. Solche Fälle gibt es – aber auch dann ist es besser, der Bildungseinrichtung nicht gleich mit Beschwerden, gar Drohungen zu kommen. Suchen Sie stets das Gespräch – offen, aber vertrauensvoll.

Machen Sie sich klar, dass es ein Riesenunterschied ist, wie sich Heranwachsende in der Kleingruppe Familie oder in einer Klassengemeinschaft von 20 und mehr Personen geben! Dort entsteht eine Eigendynamik, welche zu Verhaltensweisen führen kann, die Sie sich aus den familiären Erfahrungen nicht vorstellen können.

Lehrkräfte und Eltern sind auf gegenseitiges Vertrauen angewiesen. So wie wir Lehrer nicht von vornherein vermuten sollten, Eltern seien zu Erziehung weder willens noch fähig, sollten Sie (auch jungen) Lehrern nicht unterstellen, sie hätten keine Ahnung von einem guten Unterricht oder verteilten Noten ungerecht sowie voreingenommen.

Solide Schulbildung ist halt in der Praxis oft nicht einfach umzusetzen – und das liegt in der Regel am wenigsten an dem Kollegen in der Klasse. Besonders schlimm wird es, wenn der befürchten muss, jeden unbedachten Satz, jede vielleicht im Trubel nicht hundertprozentig richtige Entscheidung anschließend per Beschwerdebrief oder gar vom Anwalt vorgehalten zu bekommen. Erziehung lebt von Spontaneität und vom Bauchgefühl – und nicht von der Verwendung „gerichtsfester“ Absicherungen. Ich habe es im Berufsalltag mehr als einmal erlebt, wie schon ein einziges derart gestricktes Elternpaar die Atmosphäre in einer Klasse vergiften kann!

Daher möchte ich mich abschließend vor allem bei einer „schweigenden Mehrheit“ bedanken, die ich beruflich selten oder gar nicht zu Gesicht bekam. So sehr man sich als Lehrer über Kontakte mit Eltern freut, wenn es wirklich ernste Probleme gibt (der aber häufig ausbleibt): Viele Erziehungsberechtigte lernte ich nie persönlich kennen, jedoch durchaus ihren Stil: Sie taten zu Hause das Ihre, uns lernwillige und strukturierte junge Menschen mit positivem Sozialverhalten zu schicken – und vertrauten darauf, dass wir ihre Bemühungen im Unterricht fortsetzten.

Es war eine Freude, mit solchen Schülerinnen und Schülern zu arbeiten – daher unbekannterweise ein herzlicher Dank: Sie haben alles richtig gemacht! 

 

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Montag, 5. Oktober 2020

Famous Last Words III

Im dritten Teil meiner kleinen Serie wende ich mich nun an die Chefs von Bildungseinrichtungen. Dass ich mit diesen stets gute Erfahrungen gemacht habe, wäre eine übertriebene Behauptung.

  

Liebe Schulleiter (Schulleiterinnen an Gymnasien vernachlässige ich aus statistischen Gründen),

wenn ich Sie vorab um eines bitten dürfte: Jammern Sie nicht! Niemand hat Sie gezwungen, sich um eine solche Stelle zu bewerben. Sie werden Ihre Gründe gehabt haben. Sich dann hinzustellen und sich als Opfer der Verhältnisse zu inszenieren ist wenig überzeugend. Sie haben als Leiter einer Behörde ein weitgehendes Weisungsrecht. Wenn es in Ihrem Laden schlecht läuft, sollten Sie die Verantwortlichen nicht außerhalb des Chefbüros suchen.

Bedenken Sie vor allem eins: Sie haben auch keine andere Ausbildung als die meisten Mitglieder Ihres Kollegiums und arbeiten zudem nun in einem fachfremden, ungelernten Beruf als Verwaltungsbeamter. Und das merkt man. Jede Neigung zu Arroganz ist also völlig gegenstandslos.

Klar steht Ihnen das Direktionsrecht zu. Einer muss es ja machen. Üben Sie es ohne den Hauch von Überheblichkeit aus, aber entscheiden Sie – wenn möglich schnell, begründet, nachvollziehbar und transparent.

Einen guten Chef erkennt man daran, dass er den Informationsfluss in beiden Richtungen aufrechterhält. Ebenso wie Sie von den Kollegen erwarten, dass die umgehend offen für Ihre Botschaften sind, lassen Sie Lehrkräfte, die dringend etwas von Ihnen benötigen, nicht tagelang auf einen Termin warten. Und dann stehen Sie zu Ihren Zusagen! Nichts ist frustrierender für Ihre Kollegen als der Eindruck, dass man mit dem Direktor gesprochen hat „und dann doch nichts passiert“.  

Diskutieren Sie ergebnisoffen und fair, statt Ihr Heil in Hinterzimmer-Entscheidungen zu suchen, welche dann der Lehrerkonferenz mehr oder weniger geschickt aufgedrückt werden.

Überlegen Sie genau, welche Aufgaben Sie wem übertragen! Aber dann müssen Sie dem Betreffenden auch Vertrauen schenken und sich nicht beim kleinsten Problem wieder einmischen und das Ruder herumreißen. Lassen Sie Ihre Leute machen! Sonst kriegen Sie ein Kollegium von Befehlsempfängern und Frustrierten, welche ihre Aufgaben im Zustand innerer Emigration erfüllen. 

Und vor allem: Unterrichten Sie mindestens noch eine Klasse selber! Diese Fähigkeit geht schneller verloren, als Sie denken – und dann beginnt man, Probleme vom grünen Tisch aus zu unterschätzen oder völlig falsch einzustufen. Beginnende Abgehobenheit können Sie daran erkennen, dass die Lehrkräfte Sie mit ihren eigentlichen Problemen gar nicht mehr behelligen, sondern Personen fragen, die noch etwas von der Praxis verstehen.

Sie sind nicht der über allem schwebende Moderator, sondern der Vertreter Ihrer Lehrkräfte. Ihnen vorgesetzt zu sein, bedeutet ebenso, hinter ihnen zu stehen. Ihre Kollegen werden es Ihnen danken! 

P.S. Zu diesem Thema habe ich schon einmal einen Artikel geschrieben:

https://gerhards-lehrer-retter.blogspot.com/2015/10/der-fisch-stinkt-vom-kopfe-her.html

 

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Samstag, 3. Oktober 2020

Famous Last Words II


Hier nun die Fortsetzung meiner kleinen Serie, die ich im letzten Beitrag begonnen habe. Diesmal richte ich mich an die Lehrkräfte, welche sich noch in der Ausbildung befinden:

 

Liebe Referendarinnen und Referendare,

ich wende mich speziell an Sie, da Sie sich in Ihrem Beruf noch orientieren müssen – sprich: nicht so festgefahren sind wie viele Ihrer älteren Kollegen. Daher habe ich die Hoffnung, Sie zum Besseren beeinflussen zu können.

Mein Rat ist vor allem: Nehmen Sie die ganzen Weisheiten, die Ihnen von den Seminarlehrern vor allem zur Gestaltung Ihrer Stunden verkündet werden, die hehren „pädagogischen Prinzipien“, welche gerade auf dem Markt sind, als unverbindliche Ratschläge. Sicher werden Sie vieles davon zunächst umsetzen müssen, um Noten zu erhalten, welche Ihnen eine Planstelle verschaffen. 

Damit ist es aber auch gut. Der berufsferne Blödsinn, den ich von Lehramts-Ausbildern schon gehört habe, hat für mich hohen Kabarett-Faktor. Bedenken Sie: Wenn Ihre Seminarlehrer so gerne unterrichten würden, hätten sie sich nicht um eine Stellung beworben, die es ihnen ermöglicht, dass sie ersatzweise ihre Referendare in die Klassen schicken können.

Nehmen sie also die Ausarbeitung seitenlanger Stundenentwürfe und Unterrichtsnachweise sowie das Kasperltheater der Lehrproben nicht ernster, als es das verdient – also gar nicht! Die Ausarbeitung von Grob- und Feinlernzielen (oder welche Modeerscheinung derzeit gerade dran ist) hilft Ihnen bei Ihren späteren 24 (oder mehr) Wochenstunden genau nichts!

Und lassen Sie sich nicht vom gerade angesagten Methoden-Schnickschnack beeinflussen! Jeder Lehrer ist anders – und er muss dann genauso unterrichten, wie es seiner Persönlichkeit entspricht. Dieses authentische Auftreten überzeugt Ihre Schüler mehr, als wenn Sie als blutleere Kopie durch die Klassen geistern.    

Vielleicht haben Sie (wie ich) das Glück, einigen älteren Kollegen über die Schulter schauen zu dürfen, deren Arbeitsweise Sie überzeugend finden. Die Fachschaft meiner alten Seminarschule bestand fast ausschließlich aus höchst individuellen und gegensätzlichen Typen, von denen aber die meisten auf ihre Art die Schüler beeindruckten. Nehmen Sie solche Erfahrungen mit. Es wird sich lohnen!

Ich bitte Sie herzlich: Versuchen Sie nicht, die Welt zu retten, sondern begnügen Sie sich damit, Ihren Schülern Lesen, Schreiben, Rechnen und vor allem Denken beizubringen. Sie werden es ihnen danken – vielleicht aber erst nach Jahrzehnten…

Bedenken Sie: Als Beamten auf Lebenszeit kann Ihnen keiner mehr was. Sie dürfen dann so halsstarrig, sperrig und individualistisch sein, wie Sie wollen. Klar werden Sie so vielleicht nicht die besten Beurteilungen bekommen, niemals eine höhere Funktionsstelle erhalten, es wird Ihnen möglicherweise Empörung und Feindschaft entgegenschlagen. Doch das wird sich schneller legen, als Sie denken – und man wird Sie als das Original akzeptieren, das Sie hoffentlich werden.

Und das ist gut so.

 

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Donnerstag, 1. Oktober 2020

Famous Last Words I

 In meinem Buch „Das fliegende Glossenzimmer – Schulische Satiren“ habe ich mich in einem Abschlusskapitel an die einzelnen Gruppen gewandt, die konkret mit Schule zu tun haben.

Ich werde hier in einer kleinen Serie abdrucken, was ich den Lehrerinnen und Lehrern, den jungen Kolleginnen und Kollegen im Referendariat, den Schulleiterinnen und Schulleitern, den Eltern und natürlich den Schülerinnen und Schülern am Schluss des Buches noch sagen wollte. 

Sozusagen als Klartext nach den ganzen Satiren davor. Mir war klar, dass ich dabei – von keiner Gruppe – rauschenden Beifall ernten würde. Darauf sind meine gesamten Artikel nicht angelegt. Doch wenn ich damit den einen oder anderen zum Nachdenken anregen kann, bedeutet mir dies weit mehr.

Natürlich wandte ich mich zunächst an diejenigen, welche in der gleichen beruflichen Situation sind wie ich es war:

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Obwohl es Ihnen helfen dürfte, dass ich die extremen Belastungen geschildert habe, denen Sie heute in Ihrem Beruf ausgesetzt sind, kamen Sie in manchen Glossen ziemlich schlecht weg. Und das mit vollem Recht!

Die Krux ist, dass ein bestandenes erstes Staatsexamen wenig, die Note im zweiten nicht viel über die Eignung zum Lehrberuf verrät. Gute Fachkenntnisse, exzellente Lehrproben und Risikovermeidung durch Eintritt ins Beamtenverhältnis sagen kaum etwas darüber aus, ob man als Lehrer Erfolg haben wird. Daher laufen an den Schulen viele Kollegen herum, die ich lieber in einem anderen Beruf sehen würde.

Ich wünsche mir rechtzeitig im Studium – zum Schutz vor Fehlentscheidungen – einen Eignungstest für Lehramtsanwärter, in dem zentrale Fähigkeiten für unsere Arbeit überprüft werden. Für mich sind das vor allem

·        Entscheidungskompetenz

Viele Kollegen sind Meister des Konjunktivs – „Mamüma-Formeln“ („man müsste mal“) sind an der Tagesordnung, Begriffe wie „grundsätzlich“ oder „eigentlich“ die Devise. Dafür werden sie aber nicht bezahlt (oder sollten es jedenfalls nicht werden).

Ich las einmal, ein Lehrer müsse pro Tag ungefähr so viele Entscheidungen treffen wie ein Fluglotse. Das funktioniert nur, wenn Sie nicht um jeden Killefitz ein stundenlanges Gewese veranstalten, sondern wie ein Manager verfahren: Agieren Sie schnell, sicher und vielleicht mal falsch, das bringt Sie weiter als die Variante langsam, unsicher und vielleicht richtig!

Und nein: Fragen Sie nicht im Lehrerzimmer nach (oder gar im Chefbüro), dort weiß man es auch nicht besser (obwohl man gerne so tut)!

·        Verantwortungskompetenz

Für mich steht felsenfest: Wer in seinem Beruf geliebt werden möchte, sollte auf keinen Fall Lehrer werden! Sie machen anderen Menschen einen Haufen Arbeit und bewerten die auch noch. Glauben Sie, damit Freunde zu gewinnen? Wie mein alter Seminarlehrer zu sagen pflegte: Erziehung ist ein zuweilen schmerzhafter Prozess. Junge Menschen reifen nicht dadurch, dass man ihnen Honig ums Maul schmiert (von anderen Körperöffnungen ganz zu schweigen), sondern mit ihnen die Konflikte durchsteht, welche ihre Entwicklung fördern.

Und klar: Im Zweifel sind Sie an allem schuld. Das müssen Sie aushalten.

·        Kommunikationsfähigkeit

Beobachten Sie einmal Moderatoren von der Qualität eines Günther Jauch: Der kann sich blitzschnell auf jeden Menschentyp, jede Sprachebene, jede Interessenlage einstellen. Man erkennt seine eigene Ansicht, und dennoch lässt er anderen den Raum, sich zu präsentieren, er kann zuhören, das Gehörte strukturieren, aber auch Grenzen setzen. Und witzig sein. 

Im Mittelpunkt jedes Unterrichts steht die Sprache. Wer darin ein Meister ist, eignet sich weit mehr zum Lehrer als jemand mit exzellenten Fachkenntnissen oder gar auswendig gelernten Pädagogik-Sprüchlein. 

Merke: Als Lehrer müssen Sie stets in der Lage sein, auch bei völliger Ahnungslosigkeit eine überzeugende Unterrichtsstunde zu gestalten! 

·        Leidenschaft

Immer wieder liest man in Schüler- und Abiturzeitungen Kollegen-Äußerungen in der Art von „Ach Kinder, ich hab doch auch keine Lust!“ Ich könnte bei solchen Sätzen weinend unter den Teppich kriechen.

Wer soll eigentlich Freude am Lernen, Neugier auf neue Inhalte, Spaß am Erwerb von Fähigkeiten entwickeln, wenn Sie – statt die Flamme der Bildung weiterzugeben – am Pult vor sich hin kokeln?

Doch: Es ist höchst anregend, sich mit der Integralrechnung, der Beingliederung eines Maikäfers oder dem Dreißigjährigen Krieg zu befassen – und das müssen Sie selber fühlen oder – falls nicht – schauspielerisch überzeugend darstellen. 

Merke: Unterricht ist Entertainment mit Förderanspruch!

·        Paralleluniversen

Der Typus des „24 Stunden-Lehrers“ war mir stets höchst verdächtig. Viele Kollegen könnte man nachts um drei aufwecken – und sie würden sofort über die mangelhaft ausgefüllten Englisch-Workbooks jammern. Für mich stellt das eine Verarmung der Persönlichkeit dar. 

Unsere Schüler verdienen Menschen, die voll im Leben stehen – und keine blutleeren Schmalspur-Existenzen. Es ist schön, wenn die Schule anfängt, aber irgendwann ist es auch wieder gut. Und dann klappen Sie bitte Ihre Korrekturen zu und begeben sich ins restliche Leben – kümmern Sie sich um Ihre Familie, frönen Sie Ihren Hobbys oder legen die Füße hoch und chillen. Das tun Ihre Schüler auch!

Merke: Schule ist höchstens das halbe Leben!

 

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Dienstag, 25. August 2020

Polizeigewalt?


In letzter Zeit häufen sich Berichte über Vorkommnisse, die man meist mit diesem Begriff betitelt: Auf mehr oder weniger verwackelten Smartphone-Videos sieht man Polizisten, die mit einem Delinquenten raufen, ihn zu Boden bringen und Handschellen anlegen. Reflexartige Skandalisierung gerne inklusive.

In der Regel setzen die Aufnahmen erst ein, wenn die Beamten zugreifen. So lange die meist jungen Männer nur die Anweisungen der Polizisten ignorieren, ihnen freche Antworten geben oder sie beileidigen und anpöbeln, wird man darauf nicht aufmerksam oder hält es jedenfalls nicht für filmenswert. Und schlimmstenfalls kann man den Vorlauf ja wegschneiden, bevor man das Video ins Internet stellt.

Angesichts der rassistischen Übergriffe US-amerikanischer Ordnungshüter gegen dunkelhäutige Personen ist den Veröffentlichern die allgemeine Empörung sicher – und das gute Gefühl, der Gerechtigkeit gedient zu haben. Behörden und Politiker sind inzwischen sensibilisiert: Untersuchungen werden angeordnet, Polizeipräsidenten und Minister nehmen Stellung, Innenausschüsse treten zusammen, speziell Grüne oder Linke fordern dann irgendwas...

Ich habe zwei Fälle näher recherchiert, die mir ziemlich typisch erscheinen:

Die 20-jährige Sayuri Gonzales feierte vor über einer Woche nach Mitternacht auf dem Platz vor der alten Synagoge in Freiburg. Offenbar hatte die Polizei die Gruppe junger Leute schon mehrfach auf den ruhestörenden Lärm hingewiesen. Angeblich wurde dann zwar die Musik abgestellt, das „lautstarke Trinkspiel“ aber fortgesetzt. Da die Beamten wohl einen Platzverweis aussprechen wollten, sollte die Auszubildende mit kolumbianischen Wurzeln ihren Ausweis vorzeigen.

Dies verweigerte sie, da sie der Auffassung war, andere Gruppen seien ebenfalls laut gewesen, wogegen die Polizei nichts unternehme. Zudem verlangte sie von den Beamten einen angemessenen Tonfall. Als die Beamten sie beim Arm fassten, um sie mitzunehmen, versuchte sie sich loszureißen. In dem folgenden Gerangel ging sie zu Boden, dort wurde sie fixiert und mit Handschellen gefesselt.

Nach Feststellung ihrer Personalien auf der Polizeiwache durfte die junge Dame wieder gehen. Sie gab an, die Fesselung habe geschmerzt, sie sei verletzt worden. Daher verlangte sie von den Beamten eine Entschuldigung. Sie wolle die Polizei jedoch nicht generell verurteilen.

Im folgenden Bericht sieht man einen Teil des Videos, das auf Instagram über 30000 Mal geteilt wurde. Vor einigen Tagen waren dort noch die Äußerungen der 20-Jährigen zu dem Vorfall zu hören. Inzwischen ist dieses Video aber von der Plattform verschwunden.

Mit gutem Grund, wie ich finde. Die junge Dame redete sich dort nämlich um Kopf und Kragen. Ihre Rechtfertigungen offenbarten einige grundlegende Missverständnisse, wie sie sich in gewissen Köpfen schon seit längerer Zeit herausgebildet haben:

Generell gehen solche Herrschaften offenbar davon aus, dass zwischen ihnen und Vertretern der Staatgewalt (mindestens) eine Gleichrangigkeit bestehe, was zu einer ergebnisoffenen Diskussion berechtige, ob man beispielsweise auf einem öffentlichen Platz um ein Uhr nachts weiterhin lärmen dürfe oder nicht – beziehungsweise die Corona-Regeln zu befolgen habe.

Sorry, das ist eine ganz schlechte Idee! Die Polizei muss ihre Anweisungen dann halt durchsetzen, um nicht den letzten Rest von Glaubwürdigkeit zu verspielen. Offenbar waren zudem mehrere Ansprachen vorher ergebnislos. Was sollten die Beamten denn machen? Wieder gehen nach dem Motto „dann halt nicht“?

Und, mit Verlaub, das Argument „andere sind auch laut“ ist so ziemlich das Dümmste, was einem in dem Moment einfallen kann. Muss die Polizei einem Raser auch erst nachweisen, dass sie vorher garantiert alle anderen Verkehrssünder geschnappt hat? Irgendwo muss man halt mal anfangen…

Auch dass die Ordnungshüter deutlicher werden, wenn sie es vorher mehrere Male vergeblich leiser versucht haben, ist nicht ganz unverständlich. In der Situation den Polizisten dann mit Bedingungen zu kommen wie „Meinen Ausweis kriegen Sie erst, wenn Sie normal fragen“ ist verwegen. Um es deutlicher zu sagen: Ich würde mich in der Situation nachts um eins auch nicht mit einer solchen Rotzgöre auf pädagogische Erziehungsmaßnahmen einlassen.

Insgesamt müssen sich die jungen Leute vorhalten lassen, dass die Eskalation absehbar war. Nicht selten wird eine Machtprobe gesucht. Wenn man mit dem Kopf durch die Wand will, landet man eben irgendwann auf der Nase.

Der andere Fall hat noch komischere Seiten:

In Hamburg wollte ein Polizeibeamter einen Jugendlichen namens Kadir kontrollieren, der in den Tagen zuvor schon mehrfach negativ aufgefallen war. Er fuhr mit einem Elektroroller verbotswidrig auf einem Gehweg. Der 15-Jährige, immerhin 1,85 groß, fast ebenso breit und Boxsportler, weigerte sich, seine Personalien für den fälligen Strafzettel anzugeben. Mit verbalen Anweisungen war er nicht erreichbar. Stattdessen fing er eine Rauferei mit inzwischen vier Polizisten an. Erst einer Übermacht von acht Beamten gelang es schließlich, ihn mittels Pfefferspray zu überwältigen.

Vielleicht inspiriert durch eine Inschrift auf einer Wand dahinter befand er nun plötzlich, er kriege keine Luft mehr, da er Asthma habe. Der gute Junge war mit Diebstahl und Körperverletzungen, teilweise gegen Lehrkräfte, bereits amtsbekannt. Immerhin gab er anschließend zu, er habe den Beamten provoziert.
Es dauerte insgesamt eine halbe Stunde, bis man den hoffnungsvollen Knaben mitnehmen konnte.
Eine empörte Zeugin filmte denn Vorfall ab dem Moment, als die Handgreiflichkeiten begannen.

Ich hätte für den jungen Mann einen Tipp: Mit Asthma möglichst nicht raufen – schon gar nicht mit der Polizei. Die gewinnt nämlich meistens.
https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Video-eines-Polizeieinsatzes-inHamburg-sorgt-fuer-Debatte,video3196.html



Ich muss gestehen, dass meine persönlichen Erfahrungen mit der Polizei stets sehr entspannt verliefen: Zweimal geriet ich in eine Radarkontrolle, weil ich in geschlossenen Ortschaften mit etwa 60 km/h unterwegs war, mehrere Male erlebten wir eine Straßenverkehrskontrolle, wobei meine liebe Frau einmal  ihre 0 Promille per Atemtest zu beweisen hatte, und dreimal riefen wir selber die Polizei, da wir mit einem Reh kollidierten.

Ausnahmslos erlebten wir Beamte, die absolut ruhig, freundlich und professionell agierten. Irgendwie hatte ich das Gefühl, die Herren seien heilfroh, dass wir weder betrunken oder bekifft noch renitent waren. Allerdings zückten wir auch jedes Mal zügig unsere Ausweise, als wir darum gebeten wurden. Wie angepasst…

Ich stelle es mir als tolle Beschäftigung vor, gerade in einer Nachtschicht und an Brennpunkten von einer Gruppe Besoffener zur anderen zu fahren und sich ständig zumindest schwach anreden zu lassen. Öfters darf man sich dann noch gegen gröbere Respektlosigkeiten oder gar körperliche Attacken wehren.

Dabei muss man ständig damit rechnen, dass Umstehende ihr Smartphone zücken und anklagende Videos in Netz stellen. Sich vielleicht sogar einmischen und die Situation endgültig eskalieren lassen. Ich glaube, genau darauf legen es manche Störenfriede auch an. Und hoffen insgeheim, einem Beamten könnten mal die Nerven durchgehen. Dann dürfen sie sich nachher im Internet als Märtyrer gerieren.

Damit mich keiner missversteht: Selbstverständlich gibt es auch von Seiten der Polizei gewaltsame Übergriffe, die genau zu untersuchen sind. Warum sich viele Bundesländer noch dagegen wehren, damit polizeiunabhängige Stellen zu beauftragen, versteh ich überhaupt nicht. Und ja: Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) ist eine schwere Straftat, die entsprechend geahndet werden muss. Weiterhin brauchen wir unbedingt endlich eine Studie über strukturellen Rassismus bei den Ordnungskräften – auch wenn Herr Seehofer das anders sieht.

All das würde die Verdächte von der großen Mehrzahl der Polizisten nehmen, die – vor allem auf der Straße – einen schweren und mäßig bezahlten Dienst tun. Und natürlich schwarze Schafe aussortieren.

Man geht ziemlich unbedacht mit dem Begriff „Polizeigewalt“ um. Ich bin jedenfalls sehr dankbar, dass bei uns nur die Polizei direkten Zwang ausüben darf, also über das Gewaltmonopol verfügt. Verhältnisse wie in den USA, wo jeder sich eine Knarre kaufen und den persönlichen Rechtsweg beschreiten kann, brauche ich überhaupt nicht.

Da zeige ich lieber mal meinen Ausweis. Ich blogge ja nicht mal unter Pseudonym.        
   
Quellen:
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/polizeigewalt-125.html