Über
die weithin vergessene Frau, auf deren Initiative die Gleichberechtigung von Mann und
Frau vor allem zurückzuführen ist, habe ich schon berichtet:
Am
19.1.1949, einen Tag nach dem entsprechenden Beschluss, die Gleichberechtigung ins Grundgesetz
aufzunehmen, hielt Elisabeth Selbert eine Rundfunkansprache,
deren Text noch vollständig erhalten ist. Sie vermittelt einen packenden
Eindruck von der Energie und Weitsicht dieser Frau:
„Meine verehrten Hörerinnen und Hörer,
der gestrige Tag, an dem im Hauptausschuss des
Parlamentarischen Rates in Bonn dank der Initiative der Sozialdemokraten die
Gleichberechtigung der Frau in die Verfassung aufgenommen worden ist, dieser
Tag war ein geschichtlicher Tag, eine Wende auf dem Wege der deutschen Frauen
der Westzonen. Lächeln Sie nicht, es ist nicht falsches Pathos einer Frauenrechtlerin,
das mich so sprechen lässt. Ich bin Jurist und unpathetisch und ich bin Frau
und Mutter und zu frauenrechtlerischen Dingen gar nicht geeignet. Ich hätte
frauenrechtlerische Tendenzen auch gar nicht nötig in meiner Partei, die die
Gleichberechtigung der Frau seit einer Zeit des August Bebel vor Jahrzehnten,
und zwar seit den 90-er Jahren des vorigen Jahrhunderts, verfochten hat.
Ich spreche aus dem Empfinden einer Sozialistin heraus,
die nach jahrzehntelangem Kampf um diese Gleichberechtigung nun das Ziel
erreicht hat. In einer Synthese männlicher und weiblicher Eigenart, aufgebaut
auf dieser Gleichberechtigung von Mann und Frau, sehe ich den Fortschritt im
politischen, staatlichen und überstaatlichen Leben und auch in der Ehe als der
kleinsten Zelle der Gemeinschaft, des Gemeinschaftslebens, einer Gemeinschaft,
die aufgebaut ist auf der Zusammenkunft zweier gleichberechtigter Menschen, die
ihr Ich unter eine höhere Einheit stellen.
Darüber hinaus spreche ich zu Ihnen hier als weiblicher
Anwalt, der in langen Jahren beruflicher Erfahrung das Unrecht der minderen
Rechtsstellung der Frau aus der Fülle des täglichen Lebens in seiner ganzen
Härte und Tragik erlebt hat. Ich sehe im Geist eine lange Rede von Frauen, die im
Laufe der Jahre in meiner Sprechstunde mir gegenüber gesessen haben:
Geschäftsfrauen, Landfrauen und andere, die in ihrer Ehe aus irgendwelchen
Gründen Schiffbruch erlitten hatten – sei es, dass der Mann der alternden Frau
eine jüngere vorzog, oder weil man sich im Wandel der Zeiten entfremdet oder in
den Kriegsjahren auseinandergelebt hatte. Wie groß war immer das Erschrecken
dieser Frauen, die vielleicht ein ganzes Leben lang hinter dem Ladentisch
gestanden hatten – als so genannte „Seele des Geschäftes“ oder des
landwirtschaftlichen Anwesens, oder in der Familie den Wohlstand mit
erarbeitet, in Kriegsjahren allein erarbeitet hatte.
Wenn sie dann hörten, dass sie bei der Scheidung mit
leeren Händen aus dem Hause gingen, weil sie nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch
verpflichtet waren, im Geschäft oder im Betrieb des Mannes mitzuarbeiten – ohne
allerdings an dem Gewinn oder dem Vermögen, das sie mit erarbeitet hatten,
beteiligt zu sein.
Wissen überhaupt die meisten Frauen, wie rechtlos sie
sind? Wissen alle die Hörerinnen, dass sie beispielsweise, dass sie bei einem
Rechtsgeschäft, das über die Schlüsselgewalt hinausgeht, die Genehmigung des
Mannes in jedem Fall brauchen, genau wie ein Minderjähriger? Die meisten Frauen
wissen es nicht. Die Frauen, die in einer harmonischen Ehe mit einem
verständigen Gatten zusammenleben, sie erfahren es vielleicht nie. Aber wie
viele andere erleben es, und welchen Krisen ist heute jede Ehe ausgesetzt – bei
dem ungeheuren Frauenüberschuss oder den Auswirkungen, die der Krieg mit sich
brachte, der ja familienzerstörend, ehezerstörend gewirkt hat.
Das Bürgerliche Gesetzbuch in seinen Tendenzen
widerspricht in einer ganzen Reihe von Bestimmungen der Würde und der
Wertigkeit einer persönlichkeitsbewussten Frau, die heute nicht mehr aus der
Obhut und der Biedermeiersphäre eines guten Elternhauses, sondern aus dem
harten Berufsleben heraus in die Ehe tritt und die in den langen Jahren und
besonders in den letzten Jahren die ganze Härte des Lebens erfahren hat. Können
Sie daher ermessen, was die Gleichberechtigung bedeutet, und welches Empfinden
der gestrige Tag gerade auch in mir ausgelöst hat?
Mein Kampf im
neuen staatlichen Leben und ganz besonders bei der Schaffung dieser Verfassung
galt daher ganz bewusst der Reform des Familienrechtes und diese haben wir
durch die neue Verfassung nunmehr ausgelöst. Dem neuen kommenden Bundestag wird
die Verpflichtung auferlegt, bis zum Jahre 1953 – früher ist eine solche
gesetzgeberische Reform nicht zu machen – die Gleichstellung der Frau zu
verwirklichen und alle entgegenstehenden Bestimmungen aufzuheben. Mein Appell
gilt den Frauen, die diese Zusammenhänge noch nicht gesehen haben, die
politisch noch nicht erwacht sind, und eine große Aufgabe ist es für den
kommenden Bundestag, auch für die Frauen, die Reform des Gesetzes mit zu erarbeiten.
Die Frauen, die heute das Schwergewicht der Wählerschaft darstellen und im
demokratischen Staat infolgedessen auch eine ganz besondere Verantwortung
tragen, sie müssen mithelfen, eine große Zahl von weiblichen Abgeordneten muss
im neuen Bundestage diese Reform durchführen mit der nötigen fraulichen Reife,
mit dem klaren Blick für politische Zusammenhänge muss sie helfen, das Werk der
Befreiung der Frau endgültig zu vollenden.
Und zum Schluss nun noch ein paar Worte zur Frage des
unehelichen Kindes:
Wenn es uns in der Frage der Gleichberechtigung gelungen
war, die anderen Parteien zu überzeugen, so ist es uns leider in der Frage der
Gleichstellung des unehelichen Kindes nicht gelungen – zu meinem größten
Bedauern.
Wir hatten von der sozialdemokratischen Fraktion aus
beantragt, dass das uneheliche Kind dem ehelichen gleichgestellt werden sollte,
ferner beantragt, dass es in Zukunft mit seinem leiblichen Vater als verwandt
gelten soll, um ihm damit einen Erbanspruch zu geben. Diese Gleichstellung
sollte ein altes Unrecht gutmachen – und ich muss offen sagen, ich habe mich
darüber sehr gewundert, ich war sogar erschüttert darüber, wie die anderen
Parteien die Augen vor den Realitäten des Lebens verschließen.
Alle diese Argumente, die die weiblichen Abgeordneten der
anderen Parteien brachten, sie sind sicherlich schon einmal vor dreißig Jahren
bei der Beratung der Weimarer Verfassung gebracht worden – und inzwischen ist
doch eine Welt in Trümmer gegangen, inzwischen haben sich neue Lebensformen
angebahnt, und wir wissen doch davon, wie die Millionen Frauen, die heute auf
eine Ehe verzichten müssen, nach neuen Lebensformen suchen – und zwar auf der
Grundlage – verständlicherweise – wenn sie nicht heiraten können, dann soll man
ihnen nicht zumuten, auch auf das Glück, ein Lebensglück und auch Liebesglück
und das Glück der Mutterschaft zu verzichten.
Das alles hat man verkannt gestern. Man diffamiert das
uneheliche Kind weiter, man diffamiert die uneheliche Mutter weiter, obwohl
heute viele dieser Mütter ganz bewusst Mütter sind – Mütter, die die Ehe nicht
eingehen können mit dem Mann, dem sie sich hingeben, weile eben die andere Ehe
im Wege steht und nach gesetzlicher Vorschrift nicht gelöst werden kann.
Wir waren der Meinung, dieses alte Unrecht müsse
gutgemacht werden. Wir waren der Meinung, das uneheliche Kind dürfe kein Menschenkind
zweiter Klasse sein. Uns hat sich der Gedanke aufgedrängt bei den Reden der
anderen Abgeordneten, die so oft die These – und besonders denke ich da zum
Beispiel an ihre Einstellung zum Schutze des keimenden Lebens, der Frage der
Abtreibung – die so oft von dem göttlichen Ursprung allen Lebens reden.
Wir Sozialisten geben aber den Kampf nicht auf. Und ich
hoffe, dass es uns gelingen wird, dann im kommenden Bundestag diese
Gleichstellung des unehelichen Kindes zu erreichen.“
Man sollte dazu
wissen:
Elisabeth Selbert holte das Abitur als
externe Bewerberin nach, studierte als eine der ganz wenigen Frauen ihrer Zeit
Jura und promovierte 1930 mit dem Thema „Zerrüttung als Ehescheidungsgrund“.
Ihre Forderung,
das Schuldprinzip bei der Scheidung
abzuschaffen, wurde erst mit der Familienrechtsreform
1977 verwirklicht.
Ihre
Zulassung als Anwältin 1934 erreichte sie nur durch glückliche Zufälle. Die
Nazis strebten einen Ausschluss von Frauen von der Justiz an, da dies einen „Einbruch in den altgeheiligten Grundsatz
der Männlichkeit des Staates“ bedeute.
Was
Selbert hier nicht anspricht: Auch
ihre männlichen Kollegen aus der SPD
waren bis zum letzten Moment skeptisch. Erst als sie eine Öffentlichkeits-Kampagne betrieb und die Abgeordneten waschkorbweise
Post von Frauen erhielten, gab man den Forderungen nach.
Den
in der Rede genannten Termin zur Anpassung
des bürgerlichen Rechts (vor allem des Familienrechts) ließ die Adenauer-Regierung
1953 verstreichen – hauptsächlich auf Grund von Widerständen konservativer
Kreise und der Kirchen.
Erst
1958 kam ein halbherziges „Gleichstellungsgesetz“ zustande, in dem
immerhin die Frauen per „Zugewinngemeinschaft“ am ehelich erwirtschafteten
Vermögen beteiligt wurden und über den eigenen Besitz auch in der Ehe verfügen
konnten.
Erst
1977 mussten berufstätige Frauen nicht mehr nachweisen, dass dies vereinbar mit ihren
Pflichten als Hausfrau und Mutter war. Die letzten männlichen Vorrechte bei der
Kindererziehung bestanden bis 1979 weiter.
Die
rechtliche Gleichstellung unehelicher Kinder wurde zum großen Teil 1970 durch das Nichtehelichengesetz erreicht (übrigens auf Druck des Bundesverfassungsgerichts).
Letzte Benachteiligungen im Erbrecht wurden 2011 beseitigt (auf Druck des Europäischen Gerichtshofs).
Quellen:
Hier
die Tonaufzeichnung der Rede:
Eine
Verfilmung mit Iris Berben gibt es
zu kaufen:
https://www.amazon.de/Sternstunde-ihres-Lebens-Iris-Berben/dp/B00JDC9VQK/ref=sr_1_1?s=dvd&ie=UTF8&qid=1553540703&sr=1-1&keywords=elisabeth+selbert