Ein entschlossener Ruck am Tischtuch, und schon sitzt der
Sprössling inmitten der heruntergefallenen, interessanten Gegenstände, um sie
genüsslich zu inspizieren – meist wenig zur Freude seiner Eltern…
Wie ungerecht ist das! Erweckt doch diese Aktion des
Kleinen die schönsten Hoffnungen bezüglich seiner Anlagen: Wissbegier,
Forscherdrang, Entschlossenheit und Intelligenz beim Streben nach „Höherem“.
Wie glücklich wären die Erwachsenen, wenn diese Energie
erhalten bliebe!
Jahre später Gespräche wie: „Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?“ – „Nein.“ – „Warum nicht?“
– „Langweiliges Zeug.“ – „Was ist‘s denn?“ – „Lektüre lesen.“ – „Welche denn?“
– „Evi Briest.“ – „Als wir das in der Schule gelesen haben, hieß die aber noch
‚Effi Briest‘“. – „Von mir aus, dann halt ‚Effi‘. Ändert nix – is immer noch
ätzend. Leute wie da vorkommen, gibt’s eh nicht.“ – „Aber damals doch! Und
viele Probleme, um die es da geht, gibt’s eben schon noch.“
Hoffnungslos: der Schüler der 12. Klasse des Gymnasiums
wird sich eher nicht überzeugen lassen. Bis zu dem Tag der Sendung „Wer wird Millionär?“, in der ein
Kandidat schlagartig alle seine finanziellen Sorgen loswerden konnte, durch die
Beantwortung der Frage: „Wo fand Baron
Innstetten die Liebesbriefe, die Major Crampas an seine Frau Effi geschrieben
hatte?“ – „In ihrem Nähkasten.“
Das überzeugt: Wissen bringt Kohle.
„Effi Briest to go“ - dafür lässt man jeden Kaffee kalt
werden. Literatur extra light in Fast Food-Manier und auf Playmobil-Niveau.
Fazit:
Wissen muss materiell „was bringen“ und schnell zu erwerben sein!
Stimmt: Das erwähnte neugierige Kleinkind hat sich seine
„Lerninhalte“ auch schnell beschafft, aber – wenn es denn nicht von den Eltern
vermutlich gebremst worden wäre – hätte es sich anschließend gemütlich über jene
hergemacht, sie genau untersucht, seine Fantasie daran entzündet.
Wo ist dieser Eifer geblieben? Wer oder was hat ihn wann
erstickt?
Klar, die ganz natürliche Entwicklung der Kinder
verändert sie. Ablehnende Coolness gegen das, was die Erwachsenen tun, gehört
dazu, ja muss sein, um die eigene Rolle zu finden.
Aber wie steht es mit dem Umfeld? Was tut die
Erwachsenenwelt selbst, um Wissen, ja Bildung ganz allgemein, attraktiv zu
machen? Wie gehen wir mit unserer
Bildung um?
Lehrer,
die klassischen Vermittler von Bildung, wenn sie nicht gleich als „faule Säcke“
abgestempelt werden, haben gegenüber anderen Berufsgruppen ein eher
unterirdisches gesellschaftliches Image. Entweder sind sie die ewigen
Besserwisser oder sie können den Besserverdienenden eh nicht das Wasser
reichen.
Lerninhalte
aller Fachrichtungen werden in zeitlichen Abständen immer wieder
gerne kritisch betrachtet und dann, gemessen an aktuellem Bedarf an Wissen, als
„Ballast“ abgestempelt, worauf man die Lehrpläne „entrümpelt“. Die Schule soll
keine Zeit mit „Totem Wissen“ verschwenden.
Ich erteile zwar einer nötigen Aktualisierung und
Anpassung an moderne Lebensumstände, auf die Jugendliche vorzubereiten sind,
ausdrücklich keine Absage!
Aber muss auch diese Diktion dabei sein, diese arrogante Abwertung
von Inhalten, welche die Jugendlichen nur zu gerne aufnehmen, um ihren Frust
über schwierige, mühevolles und langsames Erarbeiten erfordernde Inhalte zu
begründen? Wobei ihnen dann auch noch gesellschaftliche, bis in die höchsten Kreise
reichende Akzeptanz sicher ist.
Bildung verliert offenbar ihren unanfechtbaren Status. Sie
wird zunehmend verhandelbar, nach Kriterien der Nützlichkeit, die sich oft genug am (materiellen) Gewinn
orientieren.
Die persönliche Karriere unterstützt es, wenn man „den Durchblick hat“.
Das Ansehen können Bücher wie „Latein für Angeber“ fördern, wenn man in gewissen Kreisen
reüssieren will, aber eben kein Latein hatte…
Arbeitgeber wünschen sich vielleicht eher den
unkritischen, loyalen Angestellten, der seine Aufgaben erfüllt, ohne viel zu
hinterfragen.
Wie groß oder klein ist da noch der Schritt zum
unkritischen, da nicht gebildeten Bürger, der manipulier- und unterwerfbar ist?
Bildung ist in unserem Land – verglichen mit anderen
Regionen dieser Erde (!) – sehr bequem und kostengünstig zu haben. Vielleicht
zu bequem, so dass sie nicht mehr als erstrebenswert gilt.
Wie peinlich ist es eigentlich, dass wir Bildung und ihre
Inhalte in unserer seit über 70 Jahren in Frieden lebenden Gesellschaft überhaupt
bewerten, anzweifeln, abqualifizieren, ja sie in Wort und Tat herabsetzen?
Müssen wir uns erst von einem jungen, vom Leben
wahrhaftig hart geprüften Mädchen wecken lassen, das genau weiß, was Bildung
bedeutet?
„Ein
Kind, eine Lehrkraft, ein Stift und ein Buch können die Welt verändern. Bildung
ist die einzige Lösung.“
(die jüngste Trägerin
des Friedensnobelpreises, Malala Yousafzai, vor der UN-Generalversammlung am
12. Juli 2013)
Ich
freue mich sehr, dass meine Frau die Zeit für diesen Gastbeitrag gefunden hat.
Hinzufügen
möchte ich noch:
Liebe
Politiker, Bildungsreformer, Schulleiter und andere Nicht-Lehrer,
das
ganze Gedüdel um die x-te Neufassung von Lehrplänen, den aktuellsten Trend der
Methodik, die ultimative Strukturreform ist sinnlos, wenn Lehrer eines nicht
überzeugt und selbstbewusst vermitteln:
Bildung
ist ein Wert an sich und nicht nur billige Kompetenz-Beschaffung für die
Berufs- und Arbeitswelt, Party-Plaudereien oder Gewinnspiele.
Haben
wir noch solche Lehrer?