Sonntag, 11. Juni 2023

Von Berufs wegen

 

Verlangt ein Lehrer jetzt, verdienten Dank zu haben,
der suche schwarzen Schnee, und fange weiße Raben.

(Christian Gryphius, 1698)

Vorgestern äußerte ein Blogger-Kollege in einem Artikel zum Verhältnis von Jochen Lüders und mir:

„Man merkt dem Diskussionsstil der beiden an, dass sie gewohnt sind, vormittags immer Recht zu haben...“

https://helgestangoblog.blogspot.com/2023/06/ja-wie-denn-nun.html?

Auf Facebook antwortete ich:

Mag also sein, dass Lüders und ich vormittags gerne recht haben (oder hatten). Das unterscheidet uns immerhin von Leuten, die Tag und Nacht recht haben müssen.“

Ich habe mich über diese immerhin noch amüsante Anspielung auf den Lehrberuf nicht geärgert. Lehrer sind bekanntlich Personen, welche vormittags recht und nachmittags frei haben…

Vor Jahrzehnten bereits haben wir solche angestaubten Gags wie folgt kommentiert:

„Im Keller hört man das Rattern der Bartaufwickel-Maschine.“

Und auch mit diesem angejahrten Spruch wurde ich schon karikiert:

„Hier herrschen eigene Bloggesetze, die strikt vollzogen werden:
§1 Der Lehrer hat immer Recht.
§2 Hat er mal nicht Recht, tritt §1 in Kraft.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/05/und-was-machen-sie-so.html

Aber es geht noch weit heftiger. Hier eine kleine Auswahl dessen, was ich schon hinsichtlich meines früheren Berufs lesen durfte:

„Beim besserwisserischen ich-hab-immer-das letzte-Wort-Klugscheisslehrer mag eben niemand posten.“

„Was bleiben ihnen, als Oberlehrer, denn sonst für eine Möglichkeit, die erlebten Zurückweisungen zu verarbeiten.“

„40 Jahre der Chef im Klassenzimmer und dann Plötzlich die letzte Wahl bei den Damen.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2021/07/post-vom-obertanen.html

„Auch diesen Artikel interessiert keine Sau. Ausser vielleicht ein paar frustrierte Oberlehrer.“

„Erinnert mich an die Schule, diese Sache. Der Lehrer entschied, wann es beleidigend war und der Schlüsselbund mein überraschtes Gesicht traf.“

„Da muss der Gancho nicht auf den Punkt sein, sondern passt nie so richtig, aber immer doch so viel, dass es irgendwie schon hinhaut - zumindest in den selbstverliebten Augen eines Oberlehrers.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/07/diesen-artikel-interessiert-keine-sau.html

Vermisst du die Schule, oder warum ist es nötig, so schulmeisterlich daher zu kommen? Aber vielleicht hast du im Gegenteil auch zu früh die Seite der Schulbank gewechselt.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2018/04/liebes-tagebuch-49.html

Die ganze Diskussion ist aus meiner Sicht überflüssig. Oberlehrer Riedl hat m.E. nur ein Ziel: Provozieren!“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2021/08/protango-ev-eine-spurensuche.html

Ich frage mich halt immer: Was macht einen Text unglaubwürdig oder falsch, wenn er von einem Lehrer verfasst wird – statt von einem Angehörigen eines anderen Berufsstands? Oder sollten sich Lehrer generell nicht öffentlich zum Tango äußern – oder besser: zu gar keinem Thema?

Klar, es gibt in diesem Metier Leute, die zum Abgewöhnen sind, darüber muss man mich nach zirka 35 Jahren in diesem Geschäft nicht belehren. Ich habe sogar ein Buch über die Probleme in unserem Beruf geschrieben:

http://www.robinson-riedl.de/lehrer-retter.htm

Professionelle Deformationen soll es aber auch in anderen Sparten geben. Sehr oft hätte es mich schon gereizt, beispielsweise die technokratische Sicht mancher Schreiber mit ihrem Beruf in Verbindung zu bringen – oder die Allwissenheit tanzender Mediziner respektive die esoterische Verspultheit diverser Therapeuten für und gegen alles Mögliche.

Man übersieht dabei aber stets, dass es die Individuen sind, welche zum Tango etwas äußern – und ein Mensch wird durch vieles geprägt, was nichts mit der Art des Brotverdienstes zu tun hat. Und darüber weiß ich im Normalfall viel zu wenig, als dass ich mir ein Urteil erlauben dürfte. Also konzentriere ich mich darauf, was jemand schreibt – und nicht, wer es ist.

Warum erregt gerade der Lehrberuf diese finsteren Instinkte? Ich fürchte, es sind in vielen Fällen die Erinnerungen an eigene schulische Misserfolge. Und daran waren natürlich die Lehrer schuld – wer sonst?

Ich wäre dafür, dass jeder Kommentierende in den sozialen Medien sich zunächst mit seinem Beruf vorstellt, auf dass man sich dann die einschlägigen Klischees schon einmal zurechtlegen kann. Ich habe sogar gelegentlich nachgefragt. Doch da reagiert man äußerst schmallippig. Ein altgedienter Tangolehrer beispielsweise wollte ums Verrecken nicht angeben, welche Berufsausbildung er habe. Tja, selber schuld, wenn Leute wie ich da transparenter agieren…

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/05/und-was-machen-sie-so.html

Kein Wunder, dass immer weniger junge Menschen bereit sind, sich vor eine Klasse zu stellen. Es reicht ja nicht, dass manche Schüler uns täglich mit Machtproben überziehen – anschließend landen dann die Eltern mit dem Helikopter. Notfalls setzen uns noch rückgratlose Vorgesetzte zu. Und in der Öffentlichkeit hagelt es saudumme Lehrer-Sprüche. Vor allem aber weiß offenbar jeder, wie man passend unterrichtet. Ausprobieren wollen es aber die wenigsten…  

Ich würde diesen Beruf heute nicht mehr ergreifen. Schon bis zu meiner Pensionierung habe ich erlebt, dass sich die Arbeitsbedingungen immer weiter verschlechterten. Seit 2011 ist es noch schlimmer geworden – und daran ist die Corona-Pandemie noch am wenigsten schuld.

Seltsamerweise bleiben Tangolehrer von der Kritik weitgehend verschont. Klar, sie haben auch bessere Arbeitsbedingungen: Kleine Klassen oder sogar Einzelunterricht, sie müssen weder Prüfungen abnehmen, Noten erteilen noch sich an Lehrpläne halten. Und sie müssen nicht darauf achten, dass Hansi in der letzten Bank seinem Vordermann nicht den Zirkel in den Hintern rammt. Kein Vorgesetzter redet ihnen drein, und ihre Schülerinnen und Schüler sind meist höchst motiviert. Die Kursgebühren dürfen sie selber festlegen – und wer ihnen dumm kommt, den können sie unverzüglich nach Hause schicken. Und im Gegensatz zu ihren Kollegen am Katheder haben sie tagsüber frei und abends recht. Ein Traumberuf, welcher großen Zulauf hat!

Ich wollte das jedoch nie werden, da mir hierzu eine solide Berufsausbildung fehlt. Andere scheint das nicht zu belasten.

Daher habe ich mich damit abgefunden, dass manche meinen Argumenten auch in Zukunft mit der Feststellung begegnen werden, ich sei ja Lehrer – mehr müsse man dazu nicht sagen. So wie der Münchner Tanzschulbesitzer und Tanzlehrer (!) Oliver Fleidl, der einmal schrieb:

„ACH DER IST LEHRER GEWESEN?? Jetzt wird mir einiges klar.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2017/05/traurig-und-tzau-doof.html

Merke: Sich in komplizierte Sachdebatten zu verzetteln, bringt wenig. Man muss seine Kritik holzschnittartig auf wenige Punkte konzentrieren, damit sie wirkt. Ein großer Rhetoriker hat das einmal so formuliert:      

„Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergesslichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig so lange zu verwenden, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag.“

Das Zitat stammt aus Adolf Hitlers „Mein Kampf“.

https://www.youtube.com/watch?v=BHNJVke94xg