In der momentanen Debatte um rechtsextreme Positionen habe ich zwei höchst interessante
Äußerungen gefunden, die einen bemerkenswerten Vorzug aufweisen: Die Personen, von denen sie stammen, kennen die
AfD und ihr Umfeld von innen, da sie selber dort in gehobener Funktion tätig waren – inzwischen sind sie aus der Partei ausgetreten.
Der eine ist Dr.
Matthias Mantei: Der studierte Jurist und Amtsrichter war
Landesvorsitzender der AfD und gewann 2016 bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern
ein Direktmandat. Im Herbst 2017 verließ er mit drei anderen Abgeordneten
Fraktion und Partei und gründete mit diesen die Partei „Bürger für
Mecklenburg-Vorpommern“.
In einer persönlichen Erklärung schreibt er am
8.10.17:
„Ich werde heute aus der Alternative
für Deutschland austreten. Das Projekt Alternative für Deutschland ist beendet.
Es hat seine Aufgabe erfüllt. Jetzt bietet es keine Perspektive mehr. Ich habe
die AfD seit dem Jahr 2013, dem Jahr ihrer Gründung, maßgeblich mit aufgebaut.
Ich habe den Kreisverband Vorpommern-Greifswald mitgegründet und ihn geleitet
und habe über mehrere Amtsperioden den Landesverband Mecklenburg-Vorpommern
ebenfalls geleitet. Ich habe dies getan, um etwas Neues in der
Parteienlandschaft Deutschlands zu schaffen. Von Anfang an war mein Ziel,
Politik jenseits von Ideologien, jenseits von starren, veralteten politischen
Links-Rechts-Schubladen, zu machen. Maßgeblich sollte allein sein, was sinnvoll
und gut für unser Land ist. (…)
Wenn ich sage, gegen Ideologien in
der Politik zu sein, meine ich das generell. Es war nicht mein Ziel, etwa ‚rotgrüne‘
Ideologien durch ‚braune‘ Ideologien zu ersetzen. (…)
Ein erheblicher Teil der
AfD-Mitglieder lebt allerdings in einer permanenten Weltuntergangsstimmung. Das
habe ich nie nachvollziehen können. Gab es je eine Periode in der Geschichte
der Menschheit, in der nicht irgendwelche Gruppen glaubten, der Untergang der
Menschheit stehe unmittelbar bevor? Wenn ich in der Politik gestalten will,
reicht es aber nicht, sich zu empören und zu jammern. Und es löst kein heutiges
Problem, wenn ich nur in der Vergangenheit denke und lebe. Bei einem
erheblichen Teil der Mitglieder besteht eine nahezu religiöse Einstellung zur
deutschen Nation. Auch ich liebe meine Heimat, vor allem Vorpommern, aber
deshalb schalte ich nicht meinen Verstand aus. Wer an etwas glauben will,
sollte sich hierfür Gott aussuchen und nicht eine Nation als Ersatzgott
anbeten. (…)
Um es positiver klingen zu lassen,
nennt sich seit einiger Zeit jeder, der in der AfD etwas werden möchte, ‚Patriot‘.
Es gibt praktisch einen Wettbewerb, wer denn nun der Patriotischste von den
Patrioten ist. Hört man sich heute Parteitagsreden an, geht es in der
Hauptsache hierum, hohle Sprüche, während inhaltliche Aussagen entbehrlich und
kaum noch zu vernehmen sind.
In der Partei haben sich zahlreiche
frustrierte Menschen versammelt, die voller Hass gegen Andersdenkende sind,
innerhalb und außerhalb der Partei. Sie hetzen auf eine Art, die keinen zivilisatorischen
Umgangsformen mehr entspricht. Das Internet mit Facebook und Chats auf Whatsapp
und anderswo geben hierfür reichlich Spielraum. Die Hemmschwelle, kriminell zu
werden, durch Beleidigungen und Drohungen, ist gering. Wer es wagt, die AfD zu
kritisieren oder gar zu verlassen, wird als ‚Verräter‘, ‚Ratte‘, ‚Schlappschwanz‘
oder sonstiges beschimpft. Das Wort ‚Verräter‘ oder ‚Volksverräter‘ ist in der
Welt der Radikalen ohnehin eines der am meisten gebrauchten Begriffe, wobei
unklar ist, wen oder was man ‚verraten‘ haben soll, wenn man den ursprünglichen
Idealen der AfD treu bleiben möchte. (…)
Man muss eine starke Persönlichkeit
sein, will man die AfD verlassen. Viele, die aussteigen, wählen zunächst den
Weg der inneren Immigration und treten dann lieber still und heimlich aus. Für
die radikalen AfD-Mitglieder ist die AfD keine Partei, die einfach
organisatorisch in unserem parlamentarischen System notwendig ist. Es scheint
eher als Ersatzfamilie zu dienen, wobei Familie im Sinne einer Mafia-Familie zu
verstehen ist, die man nicht verlassen kann und in der man sich gegenseitig
wirtschaftlich versorgt.
Wer austreten will, wird gejagt;
arbeitslose beziehungsweise unqualifizierte Parteimitglieder werden mit
Mandaten beziehungsweise Mitarbeiterstellen versorgt. Wenn die radikalen
AfD-Mitglieder etablierten Parteien eine Versorgungsmentalität vorwerfen, ist
das Heuchelei. (…)
Der Kern des Scheiterns der AfD
liegt aber in Folgendem: Zahlreiche AfD-Mitglieder hassen ‚das System‘, sie
wollen es abschaffen. Parlamentarismus wird gering geachtet. (…)
Es stellt sich also die
grundsätzliche Frage nach der Einstellung zum parlamentarischen System. Viele
AfD-Mitglieder sind auf jeden Fall erst einmal immer ‚dagegen‘. Das
Hauptproblem aber ist, dass sie nur zerstören können und wollen. Die AfD bietet
keine Perspektive für eine positive Gestaltung unseres Landes. Viele
AfD-Mitglieder lechzen nach der Empörung. Sie brauchen die Empörung wie Drogenabhängige
ihre Drogen. Sie brauchen ständig Nachschub. Und so nutzt sich dieser ‚Politikstil‘
irgendwann ab und wird langweilig und unergiebig. Man kann in der Politik nicht
immer nur demonstrieren und sich aufregen. Irgendwann muss man auch mal
anfangen zu arbeiten. Die Radikalen in der Partei igeln sich ein. Sie leben in
ihrer eigenen Internet-Welt, bestehend aus Chats und Facebook.
Jegliche Zusammenarbeit mit anderen
lehnen sie ab und bezeichnen eine solche als ‚Anbiederung an Systemparteien‘.
Jegliche Kritik von außen wird als ‚Lügenpresse‘ abgetan oder als ‚Verleumdungskampagne‘.
So verschließt man sich jeder selbstkritischen Einschätzung, und eine
Entwicklung kann nicht stattfinden. Eine sehr einfache, aber radikal
praktizierte Methode. (…) Damit sind Tür und
Tor offen für Radikale, Sektierer, Verschwörungstheoretiker und Psychopathen. (…)
Radikale kann man nicht integrieren.
Dafür müssten sie ja vernünftig sein, dann wiederum wären es aber keine
Radikalen. Nein, die Radikalen sind kompromisslos. Die Beschäftigung mit ihnen,
die uns über all die Jahre viel zu viel Zeit gekostet hat, ist reine Zeit- und
Energieverschwendung. Sollen sie die x-te radikale Partei in Deutschland
bilden. Jeder Demokrat weiß, dass Demokratie immer ein Wettstreit der Argumente
bedeutet, dass niemand die Wahrheit gepachtet hat und dass in aller Regel in
der Politik Kompromisse gefunden werden müssen.
Auch die AfD hat noch ihre Aufgabe
im Parteiensystem. Sie dient dem Ablassen von Wut und Frust für sogenannte
Protestwähler. Und sie sammelt Radikale ein, so dass diese andere Parteien
nicht belästigen. Es liegt nun an den bestehenden Parteien zu erkennen, welche
der Anliegen der AfD berechtigt waren und welche nicht. Soweit sie berechtigt
waren, steht es den bestehenden Parteien frei, diese zu übernehmen, wenn sie
das Entstehen einer neuen Partei verhindern wollen. (…)
Für mich steht eines jedenfalls
fest: Politisch werde ich bleiben, der ich bin. Ich werde mich auch weiter für
die Werte einsetzen, für die ich mich bisher eingesetzt habe, wie etwa
Rechtsstaatlichkeit, soziale Marktwirtschaft, Meinungsfreiheit, innere
Sicherheit oder Subsidiarität in der EU.“
Hier der vollständige Text:
Wie
Dr. Manthei trat auch die Studentin Franziska
Schreiber 2013, also zu „Gründerzeiten“, in die AfD ein. 2014 wurde sie
Vorsitzende der „Jungen Alternative“ (AL), stellvertretende Pressesprecherin
und 2017 Mitglied im Bundesvorstand. Kurz vor der Bundestagswahl 2017 verließ
sie die Partei.
Kürzlich
hat sie ein sehr empfehlenswertes Buch herausgebracht: „Inside AfD – der Bericht einer Aussteigerin”. Sie schildert darin
ihre persönlichen Erfahrungen sowie ihre zunehmende Radikalisierung. Erst die Abwahl
von Frauke Petry vom Parteivorsitz
hat bei ihr ein Umdenken erzeugt.
In
ihrem Buch schreibt sie im Kapitel „Das Volk: Sucht nach schlechten Nachrichten
und Männlichkeit“:
„Die Basis, das sind
Menschen aller gesellschaftlichen Schichten, die aber alle gleich denken: Sie
sind weder optimistisch noch fortschrittlich, sondern emotional und alles
andere als faktenorientiert (auch wenn sie das zu sein glauben), misstrauisch
und anfällig für Verschwörungstheorien; das Aufbrausende, das Emotionale ist
ihre einzige Konstante, sie sehnen sich nach einer Welt, die nicht mehr
zurückkehren wird, haben Angst vor Veränderung, wollen behalten, was sie
besitzen und nichts riskieren für eine bessere Zukunft, die ihnen nur
Ungewissheit zu versprechen scheint. Bloß keine Experimente! Was da alles
passieren kann! Und wenn etwas Unerwartetes geschieht, reagieren sie mit Angst,
Wut oder Unzufriedenheit. (…)
Wer in der AfD-Blase
lebt, ist unentwegt von negativen Gefühlen umgeben. Angst vor einem
Wirtschaftskollaps, vor einem Bürgerkrieg oder dem Abstieg des Hamburger SV,
die einem je nach Gusto auf der Tasche liegen oder den Arbeitsplatz wegnehmen.
Fakten? Egal. (…)
Aber in der Blase ist
kein Aufwärtsstreben, keine Freude über gute Wirtschaftsdaten. In der AfD sind
schlechte Nachrichten gute Nachrichten, und gute Nachrichten werden zu
schlechten umgedeutet. (…)
Das Volk ist keine
klar abgrenzbare Einheit. Aber jedem AfDler ist klar, was gemeint ist: Es gibt ‚uns‘
und die anderen. Wer zu ‚uns‘ gehört, definieren wir selbst, und wer die
anderen sind, das wissen wir genau. Wer deutsche Identität schützen will, denkt
an – Blut. Und an Volksgemeinschaft. An glücklicherweise vergangene Zeiten. (…)
Mit einem Wort: Das
Volk, das die AfD regieren will, gibt es nicht.“
Größere
Kommentare kann ich mir sparen. Und
ich will die ernsten Probleme, die mit der Zuwanderung verbunden sind, überhaupt
nicht leugnen. Aber an diejenigen, welche nun meinen, mit ihrer „gerechten Empörung“ die richtigen Verbündeten gefunden zu haben,
habe ich nur eine einfache Frage:
Glauben
Sie im Ernst, es würde noch Gesetze geben, auf die man sich berufen darf,
Zeitungen, die frei berichten könnten, Politiker, die sich demokratischen
Entscheidungen unterwerfen, Polizisten, Staatsanwälte und Richter, die
politisch neutral agieren?