Dienstag, 13. Oktober 2015

Der Fisch stinkt vom Kopfe her



Sprichwort: Im (Fisch)kopf ist das leicht verderbliche Hirn. Dort fängt der Fisch zuerst an zu stinken.“

Der im letzten Artikel beschriebene Ablauf einer ziemlich heftigen Elternbeschwerde bezog ja schon eine wichtige Instanz mit ein: den Schulleiter (wegen der paar Prozent Frauen in diesem Job lohnt eine Gender-Correctness nicht).

Hinsichtlich dieser Person habe ich in solchen Fällen einen ziemlich stereotypen Ablauf erlebt, der es fraglich macht, ob ich bei meinen Erfahrungen stets an Zufälle geraten bin:

·         Während man mit einem eigenen Anliegen oft tagelang auf einen Termin beim Chef warten muss, werden querulierende Eltern gern gleich telefonisch durchgestellt, statt dass man sie zunächst an die zuständige Lehrkraft verweist oder erstmal warten lässt, bis sie sich etwas abgekühlt haben. So wird auch der windigste Firlefanz gleich zur „Chefsache“ aufgeblasen – die einschlägigen Dramatisierungen inklusive.
 
·         Der arme Schulmeister wird bei solch „hochwichtigen“ Affären dann oft unverzüglich vom Flur ins Direktorat gezerrt: „Gut, dass ich Sie gerade sehe – wir müssten mal was Dringendes besprechen.“ Merke: Elternwünsche haben stets Vorrang! Übrigens besteht zwischen der Hektik der Sachbehandlung und der Wichtigkeit des Vorfalls keinerlei Relation: Es muss keine Note Fünf im Abitur sein – es reicht durchaus, wenn Sie einen „Turnbeutelvergesser“ zum Aufräumen der Gymnastikmatten verdonnert haben: Hauptsache, die Erziehungsberechtigten sind empört genug!
 
·         A priori spricht ein solches Vorkommnis schon mal gegen den Lehrer, was man oft schon unter Augenbrauenrunzeln als ersten Satz vernimmt: „Der Vater des Schülers … hat vorhin angerufen und sich über Sie beklagt.“ Merke: Einem guten Lehrer passiert so etwas nicht – und nun machen Sie Ihrem Direktor mit der „leidigen Angelegenheit“ auch noch Arbeit!
 
·         Nicht, dass Sie nun glauben, bei der anschließenden Unterredung ginge es um die Berechtigung oder gar den Sinn Ihrer Maßnahme! Ziel ist einzig und allein die „Wahrung des schulischen Friedens bzw. Ansehens“ – vulgo, die Eltern sollen genügend beruhigt werden, um von weiteren Attacken abzulassen. Zugeständnisse Ihrerseits werden als selbstverständlich vorausgesetzt – eine geeignete Lehrkraft beharrt eben nicht stur auf Ihrem Standpunkt, und mag der noch so richtig sein!
 
·         Zu oft kommt es schließlich dazu, dass Ihre ursprüngliche Entscheidung relativiert oder gar storniert wird. Mit der Folge, dann als Lehrer zu gelten, dessen Anweisungen nicht ernst zu nehmen sind, dürfen Sie alleine fertig werden – oder mit der berühmten „Schere im Kopf“, lieber inkonsequent zu sein als die nächste Beschwerde am Hals zu haben.

Ich war wohl in meinem Berufsleben (vielleicht am Anfang mehr als gegen Ende) das, was man einen „strengen Lehrer“ nennt. Der Grund dafür könnte nicht zuletzt darin liegen: Während zu meiner eigenen Schulzeit Lehrer „Halbgötter“ waren (der Chef natürlich das Doppelte), hatten sich die Machtverhältnisse in meiner Referendarzeit schon ziemlich umgekehrt. Der typische Seminarlehrer warf dann im Notfall lieber seine Leute den Schülern zum Fraß vor, auf dass sie ihn selber in Ruhe ließen. Sehr bald wurde mir klar:

Wir Lehrer haben den Rücken frei, denn hinter uns steht niemand mehr.

Am besten war es, seine Entscheidungen im Alleingang durchzudrücken – auf Hilfe „von oben“ sollte man sich lieber nicht verlassen. Da wird man dann im Unterricht schon mal etwas lauter und entschlossener, als einem wirklich zumute ist…

Was ist der Hintergrund des ganzen Dilemmas? Wir könnten hierzu natürlich eine Vielzahl gesellschaftlicher Faktoren diskutieren, um hernach festzustellen, dass wir diese nicht ändern werden. Ich möchte mich dagegen auf einen Punkt konzentrieren, der – zumindest nach meinen Erfahrungen – ziemlich maßgeblich für die zunehmende Frustration und „innere Emigration“ in der Lehrerschaft ist:

Die meisten Schulen werden von Personen geleitet, die hierfür nicht sehr geeignet sind.

Wenn Sie sich von Ihrer Ohnmacht wieder erholt haben, möchte ich Ihnen gerne typische Persönlichkeitsstrukturen und Verhaltensweisen von Menschen beschreiben, die gemeinhin an die Spitze von Bildungsinstituten führen:

·         Diese Personen weisen fast immer ein exzellentes Fachwissen auf, was durch beste Noten im ersten und zweiten Staatsexamen dokumentiert wird.
 
·         In ihrer schulischen Karriere fallen sie durch höchst innovativen (vielleicht nicht immer effektiven) Unterricht auf und machen sich einen Namen durch Beteiligung an allen möglichen klassen- und schulübergreifenden Projekten.
 
·         Sie zeichnen sich durch hohe kommunikative Kompetenz aus, welche sie vielleicht nicht ganz altruistisch, sondern durchaus zum Verfolgen des eigenen Fortkommens einsetzen. Daher erhalten sie beste Beurteilungen, was ja zur Berufung auf eine solche leitende Position unabdingbar ist.
 
·         Sie gehören zum Typus des „24-Stunden-Lehrers“: Die Schule ist ihr einziger Lebensinhalt, sie verbringen dort mehr als die Hälfte des Tages, was natürlich ihren Vorgesetzten sehr positiv auffällt.
 
·         Sie denken und handeln „mainstream“ unter steter Beachtung einer größtmöglichen Zustimmung für ihre Aktivitäten. Fällt diese zu gering aus, können sie ihre Inhalte ziemlich flexibel und ohne schlechtes Gewissen variieren. Konflikten mit Gleich- oder Höherrangigen gehen sie aus dem Weg. Ein „Querkopf“ oder gar „Rebell“ sind sie niemals.

Stellt man eine solche Person an die Spitze eines Instituts mit einer eher vierstelligen Schülerzahl, beginnen die obigen Eigenschaften sich (weiter) zum Negativen zu entwickeln:

·         Da sie auf Grund ihrer professionellen Leistungen sowieso zu einem gewissen „Primusdenken“ neigen, verfestigt sich die Einstellung, nun aber auch wirklich alles Schulische besser beurteilen zu können als der Rest.
 
·         Eingedenk ihrer eigenen Aktivitäten ist ihnen ein Kollegentypus, der seine Arbeit auf den Unterricht konzentriert (und mag der noch so wirkungsvoll sein) ein Gräuel – „Aktivitätsepileptiker“, „Sozialarrangeure“ und "Grillfestorganisatoren" haben da mehr Chancen.
 
·         Ihre Neigung, das Leben außerhalb der Schule zu ignorieren, setzt sich weiter fort mit dem Ergebnis, dass sie zum „Workaholic“ werden - in der Endphase getrieben von der Überzeugung, dass sie unersetzlich sind und ohne sie nichts mehr geht.

·         Hieraus resultieren schwerste Mängel in der Fähigkeit, Aufgaben zu delegieren: Wenn, dann erfolgt dies höchstens aus totaler Arbeitsüberlastung, und beim geringsten Zweifel mischt man sich wieder ein und demonstriert dem Untergebenen, dass er es „halt nicht kann“ – was zumindest auch ein Grund für die fortschreitende Unselbstständigkeit in der Lehrerschaft ist.
 
·         Der „Mainstream-Zwang“ weitet sich aus: Entscheidungen von Lehrkräften werden weniger auf ihre Richtigkeit denn ihre Popularität geprüft. Konflikte scheut man wegen des „großen Ganzen“ mehr denn je – und Eltern können halt mehr Ärger machen als Lehrer, welche man ja notfalls per Dienstrecht in den Griff kriegt.
 
·         Natürlich ist es wahr, dass die Bildungsministerien sich alle Mühe geben, Direktoren mit jeder Menge Erlassen und Anweisungen zu beschäftigen – ebenso stimmt es aber auch, dass kaum ein Chef es wagt, unsinnigen Formularmüll einmal liegen zu lassen. Wie gesagt: Rebellen sind sie nicht, und mit steigender Position wächst die Angst vor dem Absturz.
 
·         Wegen all der Arbeitsüberlastung müssen die Leiter größerer Schulen meist keinen oder kaum noch selber Unterricht geben. Nach einiger Zeit wandelt sich daher ihre Berufsauffassung völlig: Sie sind kein Lehrer mehr, sondern Verwaltungsbeamter. Ob dies nun ihr Motiv für die Bewerbung um einen Chefposten war oder nicht: Das Verständnis für die Probleme „an der Front“ geht verloren. Man vergisst, wie leicht man dort straucheln kann und wie nötig dann eine Rückendeckung wäre.

Ich hätte mir in meinen Berufsleben mehr Schulleiter gewünscht, die

·         ruhig hätten schlechtere Staatsexamensnoten haben können. Hochgestochenes akademisches Wissen oder pädagogische Definitionen spielen im Klassenzimmer kaum eine Rolle, bei der Leitung einer Bildungseinrichtung gar keine.
·         in erster Linie Meister des Unterrichtens sind und dies auch weiterhin tun – als Vorbild für ihre Lehrer.
·         das unterrichtsferne Schaufenster-Getütere in Form von „Projekten“ und „Schulinnovations-Geschwätz“ in Grenzen halten zugunsten des Fokus darauf, wie man den Schülern wichtige Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln kann.
·         wissen, an wen sie welche Aufgaben vertrauensvoll delegieren können – und ihn dann auch machen lassen.
·         nach außen und oben hin Courage zeigen und unpopuläre Entscheidungen vertreten, wenn sie von deren Richtigkeit überzeugt sind.
·         wissen, dass es ein Leben außerhalb der Schule gibt, und intensiv daran teilnehmen – auch, wenn das „Forum Schulentwicklung“ dann einmal ausfallen sollte...
·         sich bei Attacken auf ihre Lehrer nicht als „neutraler Moderator“ gerieren, sondern sich daran erinnern, dass die Lehrkräfte ihre Kollegen sind – und nicht nur waren.

Dies alles dürfte in vielen Ohren hart klingen. Man muss aber wissen, dass Direktoren an ihrer Schule eine sehr weitgehende Entscheidungsbefugnis haben. Wenn es daher in einer solchen Einrichtung müffelt, sollte man die Geruchsquelle nicht im Klassenzimmer suchen...

3 Kommentare:

  1. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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    1. Danke für Ihren Kommentar, den ich sehr interessant fand. Wunschgemäß habe ich ihn gelöscht. Bedenken Sie bitte, dass ich solche Anmerkungen erst nach vorläufiger Freischaltung vollständig lesen kann - eine halbe Minute war er also online.
      Bitte benutzen Sie für private Mitteilungen meine Mailadresse (siehe Website)!
      Beste Grüße
      Gerhard Riedl

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  2. Gerade habe ich einmal bei Google das Folgende eingegeben: "Bayerischer Schulleiter protestiert gegen G 8" - Fehlanzeige, keine einschlägigen Treffer!

    Für mich ein gutes Beispiel: Ich durfte selber erleben, welche "Spitzkehren" Direktoren damals vollzogen - zwischen dem Mitlaufen bei Protestdemos und dem Bekenntnis, man müsse sich "den neuen Herausforderungen stellen", lagen nur Wochen.

    Wahrlich, zum Heldentum neigen Schulleiter nicht. Ich bin immer noch fest davon überzeugt: Hätten damals auch nur 20 Prozent der Herrschaften den Arsch in der Hose gehabt, sich öffentlich gegen diesen Stoiber-Wahnsinn zu stellen, hätten wir in Bayern noch das G 9!

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