Mittwoch, 26. September 2018

Und die Fibel hat doch recht


Vor einem knappen Jahr hatte ich diesen bildungspolitischen Wahnsinn bereits angeprangert:

Es geht um „reformpädagogische“ Methoden im Deutschunterricht: So dürfen Schüler beim Konzept „Lesen durch Schreiben“ (auch „Schreiben nach Gehör“) die Wörter nach eigenem Gusto gestalten – orthografische Korrekturen erfolgen nicht, damit die armen Kleinen nicht „frustriert“ werden. Ebenso up to date war offenbar die „Rechtschreibwerkstatt“, wo den Kindern Material zur Verfügung gestellt wurde, das sie individuell und ohne Zeitvorgaben bearbeiten sollten. Als veraltet galt die Beschulung via  „Fibel“ – also die klassische Art, Wörter Buchstabe für Buchstabe strukturiert richtig schreiben zu lernen.

Immerhin hatte die Bildungsministerin Baden-Württembergs bereits letztes Jahr – alarmiert durch schlechte Testergebnisse – die Abkehr von den Reformmethoden befohlen. Nun scheint man auch bundesweit auf dem Rückzug:

Eine Studie der Universität Bonn an 3000 Grundschülern Nordrhein-Westfalens hat klar erwiesen, dass die neuen Ansätze weit schlechtere Ergebnisse produzieren als die hergebrachte Verwendung der Rechtschreibfibel: Am Ende der 4. Klasse machten „Lesen durch Schreiben-Schüler“ im Schnitt 55 Prozent mehr Rechtschreibfehler als die „Fibelkinder“, die aus der „Rechtschreibwerkstatt“ sogar 105 Prozent. Auch insgesamt ist die Entwicklung desaströs: Der „Grundschul-Lese-Untersuchung IGLU von Ende 2017 zufolge kann jeder fünfte Zehnjährige in Deutschland nicht so lesen, dass er den Text auch versteht. Und der bei Viertklässlern erhobene IQB-Bildungstrend 2016 ergab, dass nur 55 Prozent orthografische Regelstandards erreichen oder übertreffen.“

Übrigens kommt die Studie auch zu dem Ergebnis, gerade Kinder, die Deutsch nicht als Muttersprache beherrschen, profitierten besonders von der Fibel-Methode…


Aus dem Tiefschlaf gerissene Schul-Promis wie die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und der Lehrerverbands-Präsident Heinz-Peter Meidinger fordern nun die Umsetzung der Studienergbnisse in die Praxis, um „möglichst schnell weiteren Schaden von unseren Grundschulkindern abzuwenden“, so Meidinger. Und selbst der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Helmut Holter (Die Linke), meint, die Studie gebe wichtige Hinweise…

Wahrscheinlich wird man hierzu eine „Experten-Kommission“ einsetzen. Damit ist man dann wieder einmal Teil des Problems statt der Lösung. Es gibt hierzulande eine immer weiter ausufernde „Expertokratie“: In der Bildung bedeutet dies, Entscheidungen an professoralen Klugschwätzern zu orientieren, die Schüler vornehmlich aus Statistiken und Blicken durch Einwegspiegel kennen, jedoch nie auch nur einen einzigen Tag (in voller Länge!) unterrichtet haben.

In Deutschland gibt es doch zehntausende Grundschullehrer mit einer zweistelligen Zahl von Dienstjahren. Warum hat man diese erfahrenen Kollegen nicht mal gefragt, ob sie meinten, Schüler lernten richtig zu schreiben, wenn man ihre Wortschöpfungen unkorrigiert stehen ließe? Wie wichtig in der Bildung Struktur und nicht zielloses Herumwursteln in der „Rechtschreibwerkstatt“ ist? Dass Frust genauso zum Auslöschen von Falschem gehört wie Motivation das Ergebnis von Richtigem ist?

Ich halte es für die Mutter allen Übels, dass man sich hierzulande – ob bei Bildung, Nasenbohren oder Tango – immer mehr auf „Experten“ und sonstige angeblich zertifizierte Existenzen verlässt, anstatt zumindest auch den eigenen, mehr oder weniger gesunden Menschenverstand zu bemühen – ja sich vielleicht sogar auf das persönliche „Bauchgefühl“ zu hören: Oft genug hat man recht mit der Vermutung, dass etwas, das aussieht, riecht und sich anfühlt wie Käse, auch einer ist!

Bildungsfunktionäre sind jedenfalls mit der Produktion von Blödsinn noch lange nicht fertig:

„Der Bildungsverband VBE zeigte sich hinsichtlich der neuen Ergebnisse skeptisch. Grundsätzlich sei es ‚nicht zielführend‘, die Rechtschreibfähigkeit als einzelnen Aspekt losgelöst von allen anderen Lernprozessen zu untersuchen. Der Vorsitzende Udo Beckmann meint: ‚Eine einseitig festgelegte Rückkehr zum Unterricht mit der Fibel ist keine Lösung.‘"

Bei der Beachtung eines Mindestmaßes an Vernunft hätte man sich auch in Bayern 14 in den Sand gesetzte Jahre erspart, in denen Schüler und Lehrer mit der Stoiberschen „Reform“ eines achtjährigen Gymnasiums überzogen wurden. Dabei hätten alle am Gymnasium Beteiligten, inklusive der Hausmeister und Putzfrauen, von vornherein erkennen können, dass Edmunds Vision von einer achtjährigen Ausbildung mit besseren Lernergebnissen als die neunjährige Version genau das war, wonach sie sich anhörte: Bullshit.

Immerhin war es der momentan an der Innenpolitik grandios scheiternde Horst Seehofer, der endlich den Irrsinn mit Wirkung dieses Schuljahres abstellte – und Markus Söder ersetzte anschließend aus Pietätsgründen den bislang amtierenden Kultusminister. Hoffentlich werden seine Ex-Kollegen aus den anderen Bundesländern auch mit der „Reformpädagogik“ im Fach Deutsch so verfahren und damit „Analphabeten aus eigener Fertigung“ in Zukunft vermeiden.

Auch dazu hatte ich vor zwei Jahren schon einen Artikel verfasst:   


Nun möchte ich ja gar nicht so recht haben wie der Autor Werner Keller mit seinem Bestseller:
Viel lieber wäre es mir, nicht (weitgehend unbeachtet) gegen offensichtliche Idiotien anschreiben zu müssen.

Und immerhin schafft man es ja in Politik und Bildung gelegentlich, krassen Unsinn zu korrigieren: So werden auch illoyale Verfassungsschutz-Präsidenten dann doch nicht befördert und Fraktionsvorsitzende – trotz gegenteiliger Experten-Vorhersage – abgewählt.

In einer Sparte jedoch sehe ich die Erfolgschancen als äußerst gering an: Ich werde es wohl im traditionellen Tango nicht mehr erleben, dass man auch Musik nach 1955 als „tanzbar“ ansieht. Aber dort regieren ja nicht Experten, sondern Gurus



P.S. Wer seine eigenen Rechtschreib-Fähigkeiten einmal testen will:
  http://www.spiegel.de/quiztool/quiztool-67136.html

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