Seit
2011 bin ich nicht mehr im aktiven Schuldienst, daher nehmen die
bildungspolitischen Neuerungen zu, welche mir nicht mehr oder erst nach einiger
Zeit bekannt werden. In den meisten Fällen empfinde ich dies als Gnade.
So
bekam ich von einer „neuen“ Methode im Deutschunterricht erst Wind, als die
ersten Kultusminister wieder am Zurückrudern waren: Susanne Eisenmann (CDU), seit 2016 Chefin des
baden-württembergischen Bildungsressorts, hat in einem Zeitungsartikel
völlig neue Zielsetzungen erkannt:
„Nun
muss gelten: strikte Orientierung auf Unterrichtsqualität. Und keine
ideologische Gefälligkeit bei den Methoden.“
Überschrift: „Wir
setzen auf Leistung in der Schule.“
Na
prima, besser spät als nie…
Worum
geht es?
Die
Schüler im „Musterländle“ schnitten bei der neuesten bundesweiten Leistungserhebung
in den 3. und 8. Klassen („VERA 3“ bzw. „VERA 8“) deutlich schlechter ab als bislang:
34
Prozent der Schüler verfehlten bei Rechtschreibung den Mindeststandard, also
verfügten nicht einmal über ein Minimum von Kompetenzen, das sie zum Abschluss
der dritten Klasse haben sollten. Knapp ein weiteres Drittel erreichte gerade
den Mindeststandard.
In
den 8. Klassen der Gemeinschaftsschulen sind 11 Prozent der Schüler
funktionelle Analphabeten, 20 Prozent erfüllten gerade den Mindeststandard. In
Mathematik sieht es nicht besser aus.
Von
den üblichen Spitzenplätzen rutschte Baden-Württemberg somit ins untere
Mittelfeld.
Als
eine wichtige Gegenmaßnahme hat die Ministerin an den Grundschulen die
Lernmethode „Schreiben nach Gehör“
abgeschafft. Entwickelt hat das Konzept „Lesen
durch Schreiben” der 2009 verstorbene Schweizer Reformpädagoge Jürgen Reichen. Er verfolgte den
Ansatz, dass nicht das Lesen, sondern das Schreiben am Anfang stehen sollte.
Zum
Schreiben Lernen wird nicht mehr die klassische Fibel verwendet, sondern eine
sogenannte Anlauttabelle, mit deren
Hilfe sich die Kinder die Buchstaben zu den Lauten zusammensuchen. Das Kauderwelsch,
welches dabei im Schülerheft landet, wird nicht korrigiert, um die armen
Kleinen nicht zu verunsichern. Es liest sich dann beispielsweise so:
"Libe Elke.wir
haben Den Zoo aus Pape gmahct unt wir Haben Plastik Tire zumbeischbil Lamas wir
heisluftpistole gmahct und einen kjos Die Lamas schbilen uno uno die Roben
kinder sint im Wasr Die krokodile Lesen Dort Gips keine Fögel Unser Zoo hat aur
file zepras Das Girfen kint schdet im Futer Napf Die kengros Ligen über Nander
Von Tanja".
Übrigens hat das Ganze einen possierlichen Vorläufer:
In den 20er-Jahren
sorgte ein Mann in Deutschland für Aufsehen. Und manchen zauberte er auch ein
erstauntes Lächeln ins Gesicht. Er hatte langes wallendes Haar, trug manchmal
nur einen Lendenschurz und zog barfuß durch die Lande und durch Berlin. Der
Mann aus dem Altmark-Städtchen Arendsee war ein Naturmensch, auch
„Kohlrabi-Apostel“ genannt. Er predigte den Vegetarismus und überhaupt eine
naturgemäße Lebensweise.
Er hieß Gustav Nagel,
nannte sich „gustaf nagel“ und hatte sogar eine eigene Partei, die „Deutsche
kristliche Folkspartei“, die bei der Reichstagswahl 1924 immerhin 0,01 Prozent
der Stimmen bekam. Zu seinen Forderungen gehörte eine grundlegende
Rechtschreibreform: „schreibe wi du sprichst“.
Seit zirka 10 bis 15 Jahren hat sich dieser Quatsch (in der
Version von Jürgen Reichen) offenbar bundesweit an den deutschen Grundschulen ausgebreitet.
Noch schlimmer: Eltern wurden angehalten, die grauenhafte Orthografie ja nicht
zu „verbessern“.
Inzwischen sind nun „Bildungsexperten“ tatsächlich auf einen
Umstand gestoßen, den ihnen jeder Biologiestudent in höheren Semestern hätte
erklären können: Durch Konditionierung
prägen sich falsche Schreibweisen halt ein – und das Umlernen („Extinktion“)
ist entsprechend mühsamer. An den weiterführenden Schulen landen dann „Legastheniker
aus eigener Fertigung“… und spätestens beim ersten Bewerbungsschreiben schlägt
das Imperium zurück: Nur wenige Rechtschreibfehler sind ein absoluter „Jobkiller“.
Aus meiner Erfahrung als Gymnasiallehrer weiß ich, wie lax dort
schon in meiner Dienstzeit mit der Pflege einer korrekten Sprache umgegangen
wurde. In meinem Buch „Der bitterböse Lehrer-Retter“
schrieb ich bereits 2012:
„Es ist
eine dienstliche Alltagserfahrung, dass Kollegen Verstöße gegen
Rechtschreibung, Interpunktion und Grammatik reihenweise unkorrigiert
durchgehen lassen und Formulierungen positiv bewerten, welche von geradezu
jämmerlicher Unbeholfenheit zeugen – getreu dem Motto: „ICH BEWERTE HIER
BIOLOGIE UND NICHT DEUTSCH!“ Dies ist natürlich grober Unfug, da ein fachlicher
Inhalt kaum ohne sprachliche Fähigkeiten adäquat dargestellt werden kann.
Daher
bildet eine Bionote indirekt auch eine Leistungsbewertung im Deutschen – und so
muss es auch sein!“
Schon vor über 30 Jahren hat meine Strategie, päpstlicher als
viele Deutschlehrer zu sein, für elterliche „Palastrevolutionen“ gesorgt. Allen
Ernstes musste ich mich hartnäckig verteidigen, wenn ich Schreibweisen wie „Rückenrad“ (für „Rückgrat“), „Greissaal“
(wohl für ältere Mütter) oder „Geiseltierchen“
(alias verbrecherische Einzeller) in die Bewertung einbezog. Heute würde mich
hierfür wohl ein Disziplinarverfahren erwarten…
Immerhin hat die Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft (GEW), welche bei Unsinn stets für diesen noch
überbietende Statements gut ist, schon protestiert: Es stehe der
Bildungsministerin nicht zu, in die „pädagogische
Freiheit“ der Lehrkräfte einzugreifen…
Zum Trost hat Frau Eisenmann schon angekündigt, das bisherige „Landesinstitut für
Schulentwicklung“ (300 Mitarbeiter) aufzulösen und zwei neue Institutionen für
Bildungsforschung und Fortbildung ins Leben zu rufen. Das dürfte die Zahl der
verbeamteten Theoretiker stark erhöhen – und die brauchen wir ja dringend, um
die Schulen mit neuen Konzepten zu überziehen.
Weiterhin
beruhigt es uns, zu wissen, dass sich neben Baden-Württemberg erst Hamburg zur
Abkehr von der Schlechtschreib-Reform entschieden hat. Nordrhein-Westfalen
überlegt noch. Und in Hessen darf es selbst in der Oberstufe höchstens zwei
Notenpunkte Abzug wegen der Rechtschreibung geben. Eine Eins minus ist also
selbst per Anlauttabelle noch möglich!
Aber auch das Saarland
blieb jüngst nicht von einem Bildungsskandal verschont. Lehrer hatten es
geschafft, eine landesweite Abschlussprüfung in Mathematik mit folgender
Scherzfrage zu erweitern:
"Die Klasse 8b
organisiert zum Abschluss des Schuljahres ein Klassenfest. In der Klasse
befinden sich insgesamt 15 Schülerinnen und Schüler. Über das Schuljahr hinweg
wurden 180 Euro in der Klassenkasse gesammelt. Für das Klassenfest sollen
folgende Artikel gekauft werden: Grillgut für 21,27 Euro, zwei Packungen
Partybrötchen für insgesamt 9 Euro, zwei 6er Pack Wasser für zusammen 9,98
Euro, 1 Kiste Limonade mit 24 x 0,50 L-Flaschen für 38,36 Euro, eine Mix-Box
Schokoriegel für 34,99 Euro, zwei Packungen mit je 90 Fruchtgummis für zusammen
17,98 Euro, fünf Tüten Knabberartikel für insgesamt 9,55 Euro.
Wie viele Indianer
mit knallrotem Gummiboot saßen im Kühlschrank?"
Nach
großem Geheul (wegen Verunsicherung der Kandidaten etc.) kroch das Bildungsministerium
natürlich zu Kreuze.
Meine
ketzerische Ansicht dazu:
Hätten
führende Kulturbeamte in ihrer Schulbildung solche Testfragen bestehen müssen,
wäre ihnen zumindest eine Kompetenz nicht entgangen:
Hanebüchenen Blödsinn
sofort zu erkennen!
P.S.
Einen Artikel von mir zu einem ähnlichen Thema finden Sie hier:
https://gerhards-lehrer-retter.blogspot.de/2017/04/anibal-triole.html
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.