Die
Tatsachen sind schnell erzählt und gehen derzeit massenhaft durch die Presse:
Die
Alice
Salomon Hochschule in Berlin (eine Fachhochschule für Sozialarbeit)
hatte 2006 einen Lyrik-Preis gestiftet, den 2011 Eugen Gomringer gewann.
Der international bekannte, heute 93-jährige Begründer der konkreten Poesie wollte damals dem Institut eines seiner Gedichte
widmen, bei denen es entscheidend auf die räumliche Anordnung der Wörter ankommt.
Es sollte die Fassade der Hochschule zieren.
Angeblich
war es die damalige Rektorin Theda Borde
selber, welche sich für das folgende Werk entschied:
avenidas
avenidas y flores
flores
flores y mujeres
avenidas
avenidas y mujeres
avenidas y flores y mujeres y
un admirador
Übersetzt
bedeuten die Zeilen des in Bolivien geborenen Dichters:
Alleen
Alleen und Blumen
Blumen
Blumen und Frauen
Alleen
Alleen und Frauen
Alleen und Blumen und
Frauen und
ein Bewunderer
Bis
Anfang 2016 prangte das Werk unwidersprochen an der Fassade des
Bildungsinstituts. Dann stieß der Text der Studierendenvertretung (AStA) sauer
auf. Ohne das Gesamtwerk Gomringers in
Frage stellen zu wollen, artikulierten die Student_innen doch Missfallen:
„Dennoch kommen wir
nicht umhin, ausgerechnet dieses Gedicht als offizielles Aushängeschild unserer
Hochschule zu kritisieren: Ein Mann, der auf die Straßen schaut und Blumen und
Frauen bewundert. Dieses Gedicht reproduziert nicht nur eine klassische
patriarchale Kunsttradition, in der Frauen ausschließlich die schönen Musen
sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren, es erinnert zudem
unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen alltäglich ausgesetzt sind.“
Nach
einer Online-Abstimmung der Studierenden, Podiumsdebatten und sonstigem Hin und
Her hat der Akademische Senat der Hochschule vorgestern beschlossen: Das
Gedicht wird im Herbst anlässlich einer „Renovierung“
übermalt und durch ein Werk der letztjährigen Lyrik-Preisträgerin Barbara
Köhler ersetzt, die sich hierzu freundlicherweise schon selber
angeboten hatte. Welches, ist noch nicht raus. Hauptsache, erstmal weg!
Zukünftig soll das Höchsthaltbarkeitsdatum der Fassadenlyrik auf 5 Jahre
begrenzt werden. Zum Trost werde eine Gedenktafel an Gomringer und die Umstände der Streichung angebracht.
Nun
wollen wir uns nicht in der Frage vertiefen, welche maroden Schulfassaden im
verschuldeten Berlin die Farbe vielleicht notwendiger bräuchten. Festzustellen
bleibt jedoch, dass sich die Zustimmung zur Streichungsaktion außerhalb der
betreffenden Fachhochschule in engsten Grenzen bewegt.
Während
sich Rektor Uwe Bettig auffallend zurückhält, verteidigt seine Konrektorin Bettina
Völter die Aktion in einem 2500 Wörter-Schwurbelmemorandum. Kostprobe
aus dem Pressetext:
Prof. Dr. Völter,
Prorektorin der größten staatlichen SAGE-Hochschule Deutschlands (Soziale
Arbeit, Gesundheit, Erziehung und Bildung) erklärt weiter, dass ‚Bildungsprozesse
durch Partizipation, Ernstnehmen und durch wechselseitiges Lernen im Prozess
der Auseinandersetzung, auch mit unliebsamen Argumenten erreicht werde.‘ Und
dass ‚Demokratie von der gemeinsamen Erarbeitung der besseren Argumente im
Diskurs lebt.‘ Das Vorgehen der Studierenden könne nicht mit Bilderstürmerei
verglichen werden. Das Vorgehen sei – im absoluten Gegensatz zur
Bilderstürmerei – ein gewaltfreies, demokratisch legitimiertes sowie ein
ideologie-, diskriminierungs- und klischeesensibles Verfahren.“
Gomringer selber spricht von „Dummheit“ und einer „Säuberungsaktion“, das deutsche PEN-Zentrum
schreibt in einer Stellungnahme:
„Die Studierenden,
die sich für die Übermalung des ihrer Meinung nach anstößigen Gedichtes
einsetzen, bitten wir zu überdenken, welche Konsequenzen eine solche Zensur
letztlich hätte, und sich mit dem Phänomen der Bilderstürmerei in Vergangenheit
und Gegenwart auseinanderzusetzen. Die Leitung der Hochschule fordern wir auf,
unberechtigten und auf Missverständnissen, gar Unverständnis beruhenden
Forderungen nicht opportunistisch Folge zu leisten.“
Und
der Ehrenpräsident des deutschen PEN,
Christoph
Hein, legt noch einen drauf:
„Wirklich skandalös
an diesem barbarischen Schwachsinn eines AStA ist: Die Alice-Salomon-Hochschule
Berlin ist eine Fachhochschule mit den Schwerpunkten Erziehung und Bildung,
d.h. diese Kulturstürmer werden einst den Nachwuchs ausbilden.“
Tobias
Wenzel
kommentiert im „Deutschlandfunk“:
„Dass Bettina Völter,
die Prorektorin der Alice-Salomon-Hochschule, behauptet, Gomringer könne sich
doch freuen, weil die Debatte seinem Gedicht zu einer ‚generationenübergreifenden
Wirkung‘ verholfen habe, ist eine bodenlose Unverschämtheit. Alice Salomon, die
Namensgeberin der Hochschule, hätte sich im Grab umgedreht. Wegen ihrer
jüdischen Abstammung wurde die deutsche Sozialreformerin von Menschen ins Exil
getrieben, die Bücher verbrannten, weil sie glaubten, so die eigene Bevölkerung
vor dem vermeintlich bösen Wort schützen zu können.
Die
Alice-Salomon-Hochschule Berlin hat sich nach ihrer Entscheidung, auf Geheiß
von verwirrten Studierenden das Gomringer-Gedicht zu ersetzen, dieses bewundernswerten
Kunstwerks als unwürdig erwiesen und auch ihrer Namensgeberin Alice Salomon.
Die Hochschule sollte sich deshalb umbenennen. In Hochschule für angewandte
Ignoranz.“
Kulturstaatsministerin
Monika Grütters hat die geplante Entfernung scharf gerügt: „Die Entscheidung des Akademischen Senats der Alice Salomon Hochschule,
das Gomringer-Gedicht zu übermalen, ist ein erschreckender Akt der
Kulturbarbarei", sagte die CDU-Landesvorsitzende.
Fazit
Bei
aller Komik einer solchen „Provinzposse“
sollte man sich schon überlegen, wann es zu einer „Säuberungsaktion“ der
gesamten deutschen Literatur kommen wird, in deren Lyrik ja nicht selten die
Kerle unverblümt Weiber anschmachten. Gerade Altmeister Goethe hat uns ja nicht nur auf das männliche Geschlecht des
Faustschen Pudels festgelegt (welcher sich logischerweise dann in Mephisto
verwandelt – vielleicht wär’s mit einer Pudelin nicht passiert). Auch ansonsten
lieferte er wahrlich genügend genderspezifisches Überstreichmaterial:
Geh den Weibern zart
entgegen,
Du gewinnst sie, auf
mein Wort;
Und wer rasch ist und
verwegen,
Kommt vielleicht noch
besser fort.
Und der wilde Knabe
brach
's Röslein auf der
Heiden.
Röslein wehrte sich
und stach,
Half ihm doch kein
Weh und Ach,
Mußt' es eben leiden.
Für
die Neugestaltung der Berliner Hausfassade würde mir jedoch Detlev von Liliencron (1844
-1909) vorschweben. Sein Gedicht „Hans
der Schwärmer“ hat zwar vier längere Strophen, aber die weiße Fläche der
Hochschule ist ja groß genug:
Hans Töffel liebt
schön Doris sehr.
Schön Doris Hans
Töffel vielleicht noch mehr.
Doch seine Liebe, ich
weiß nicht wie,
Ist zu scheu, zu
schüchtern, zu viel Elegie.
Im Kreise liest er
Gedichte vor,
Schön Doris steht
unten am Gartentor:
Ach, käm er doch
frisch zu mir hergesprungen,
Wie wollt ich ihn
herzen, den lieben Jungen.
Hans Töffel liest
oben Gedichte.
Am andern Abend, der
blöde Tor,
Hans Töffel trägt
wieder Gedichte vor.
Schön Doris das
wirklich sehr verdrießt,
Daß er immer weiter
und weiter liest.
Sie schleicht sich
hinaus, er gewahrt es nicht,
Just sagt er von
Heine ein herrlich Gedicht.
Schön Doris steht
unten in Rosendüften
Und hätte so gern
seinen Arm um die Hüften.
Hans Töffel liest
oben Gedichte.
Am andern Abend ist
großes Fest,
Viel Menschen sind
eng aneinandergepreßt.
Heut muß ers doch
endlich sehn, der Poet,
Wenn schön Doris
sacht aus der Türe geht.
Potztausend, er merkt
es und merkt es auch nicht,
Er spricht und
verzapft gar ein eigen Gedicht.
Und unten im stillen,
dunklen Garten
Muß schön Doris
vergeblich, vergeblich warten.
Hans Töffel liest
oben Gedichte.
Am andern Abend, beim
heiligen Gral,
Schön Doris fehlt im
Gesellschaftssaal.
Und ist auch Hans
Töffel mein Freund und mir wert –
Die Katze schläft
unten am Feuerherd,
Beim Kätzchen steht
sinnend schön Doris und sehnt,
Ihr Köpfchen an meine
Schulter gelehnt.
Und hätte ich auch
eine Legion Verdammer:
Zu süß war die Stunde
bei ihr in der Kammer.
Hans Töffel liest oben Gedichte.
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