Am
Valentinstag dieses Jahres (14.2.) hat ein ehemaliger Schüler der Marjory
Stoneman Douglas High School in
Parkland (Florida) dort 17 Menschen
mit einem Schnellfeuergewehr erschossen, 14 Personen wurden verletzt. Es war im
laufenden Jahr bereits der 18. Vorfall
mit Schusswaffen in US-amerikanischen
Bildungseinrichtungen – seit 2013 waren es insgesamt 290.
Die
USA halten mit 89 Schusswaffen pro 100 Einwohner den unangefochtenen Weltrekord,
ebenso bei der Zahl der Todesfälle durch
Schusswaffen (2012: 29,7). 2017
starben so 15590 Menschen.
Am
17.2.18 hielt die 18-jährige Schülerin Emma Gonzalez, die das Attentat
selber miterlebte, bei einer
Gedenkveranstaltung in Fort Lauderdale
eine Rede, die es leider bislang nicht in voller Länge auf Deutsch gibt. Daher
habe ich sie übersetzt:
Wir hatten im
Repräsentantenhaus noch keine Schweigeminute, deshalb hätte ich gerne hier
eine. (Stille) Vielen Dank.
Jeder einzelne Mensch
hier oben, all diese Menschen sollten zu Hause trauern. Aber stattdessen stehen
wir hier zusammen, denn wenn unsere Regierung und unser Präsident nicht mehr
tun können als nur „Gedanken und Gebete" zu senden, dann ist es an der Zeit, dass
die Opfer die Veränderung verkörpern, die wir erreichen müssen. Seit der Zeit der
Gründerväter und seit dem zweiten Zusatzartikel der Verfassung haben sich
unsere Waffen so entwickelt, dass mir schwindlig wird. Die Waffen haben sich
geändert, aber unsere Gesetze nicht.
(Anmerkung:
Der zweite Verfassungszusatz gewährt den Amerikanern das Recht, Waffen zu
tragen. Im republikanisch regierten Florida ist man da besonders „liberal“:
Dort darf man erst mit 21 Jahren ein Bier bestellen, aber schon mit Achtzehn
eine Waffe kaufen.)
Wir verstehen überhaupt
nicht, warum es am Wochenende schwieriger ist, mit Freunden Pläne zu schmieden
als eine automatische oder halbautomatische Waffe zu kaufen. In Florida
brauchen Sie, um eine Waffe zu erwerben, keine Genehmigung, keinen Waffenschein,
und Sie müssen sich beim Kauf nicht registrieren. Sie benötigen keine
Erlaubnis, um ein Gewehr oder eine Schrotflinte versteckt zu tragen. Sie können
so viele Waffen gleichzeitig kaufen, wie Sie wollen.
Ich habe heute etwas
sehr Kraftvolles gelesen. Es war aus der Sicht eines Lehrers. Ich zitiere: „Wenn
Erwachsene mir sagen, dass ich das Recht habe, eine Waffe zu besitzen, kann ich
nur hören, dass mein Recht, eine Waffe zu besitzen, das Recht des Schülers auf
Leben überwiegt. Alles, was ich höre, ist mein, mein, mein, mein“.
Anstatt uns Gedanken
über unseren Sozialkunde-Test zu machen, müssen wir unsere Notizen studieren,
um sicherzustellen, dass unsere Argumente, die auf Politik und politischer
Geschichte basieren, wasserdicht sind. Die Schüler dieser Schule haben gefühlt
schon ihr ganzes Leben Debatten über Waffen geführt. (…) Einige Diskussionen zu
diesem Thema fanden sogar während des Attentats statt, während sich Schüler in
den Schränken versteckten. Die Leute, die nun betroffen sind, diejenigen, die
dort waren, ihre Postings, Tweets, Interviews und Gespräche werden plötzlich
gehört, wie es gefühlt das erste Mal bei einem Thema ist, das allein in den
letzten vier Jahren mehr als 1000 Mal behandelt wurde.
Ich habe heute
herausgefunden, dass es eine Website „shootingtracker.com“ gibt. Nichts in dem
Titel deutet darauf hin, dass sie ausschließlich die Shootings der USA verfolgt,
aber muss man das überhaupt dazu sagen? Australien hatte eine Massenschießerei 1999
in Port Arthur, danach wurde die Schusswaffensicherheit eingeführt, und es gab
keine mehr. Japan hatte noch nie Amokläufe. Kanada hatte drei und das Vereinigte
Königreich einen, und beide führten die Waffenkontrolle ein. Und alles, was wir
haben, sind Webseiten, die Tatsachen zu diesen Tragödien zusammentragen, so
dass wir sie zu statistischen Zwecken benützen können.
Ich habe heute Morgen
ein Interview gesehen. Eine der Fragen war, ob deine Kinder weitere
Amok-Sicherheitsübungen durchmachen müssen? Unsere Antwort ist, dass unsere
Nachbarn sich das nicht antun müssen, wenn wir der Regierung unsere Ansage
gemacht haben. Vielleicht haben sich die Erwachsenen daran gewöhnt, zu sagen „es
ist, wie es ist" – aber wenn wir Schüler etwas gelernt haben, dann ist es,
dass du versagen wirst, wenn du nicht dazulernst. Das heißt in diesem Fall, wenn du aktiv nichts tust, sterben
weiterhin Menschen, also ist es Zeit, mit etwas anzufangen.
Wir werden die Kinder
sein, von denen du in den Lehrbüchern liest. Nicht, weil wir eine weitere
Statistik über Massenerschießungen in Amerika sein werden, sondern weil, wie
David sagte, wir das letzte Massenerschießen sein werden. Genau wie im Kampf um
die politischen Schülerrechte während des Vietnamkriegs („Tinker v. Des Moines“)
werden wir das Gesetz ändern. Das wird dann unsere Schule in diesem Lehrbuch sein,
und es wird so werden aufgrund der unermüdlichen Bemühungen der Schulbehörde,
der Fakultätsmitglieder, der Familienmitglieder und vor allem der Schüler. Der Schüler,
die tot sind, der Studenten, die noch im Krankenhaus liegen, der Schüler, welche
nun unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, der Schüler, die
Panikattacken während der Nachtwache hatten, weil die Hubschrauber uns nicht
allein ließen und 24 Stunden am Tag über der Schule schwebten.
Es gibt einen Tweet,
auf den ich aufmerksam machen möchte. Es gab so viele Anzeichen, dass dieser Täter
geistig gestört, sogar wegen schlechten und unberechenbaren Verhaltens von
der Schule verwiesen worden war. Nachbarn und Klassenkameraden wussten, dass er
ein großes Problem darstellte. Man muss solche Fälle immer wieder den Behörden melden. Wir
haben es getan – wieder und wieder. Seit er in der Mittelschule war, war es
keine Überraschung für jeden, der ihn kannte, dass er der Schütze ist. Zu
denen, die uns nun sagen, wir hätten ihn nicht vertreiben sollen: Ihr kennt
diesen Jungen nicht. Okay, wir schon. Wir wissen, dass man sich nun auf
psychische Probleme beruft, und ich bin kein Psychologe, aber wir müssen sehen,
es nicht nur eine Sache der psychischen Gesundheit ist: Er hätte nicht so
viele Schüler mit einem Messer verletzen können.
Und wie wäre es, wenn
wir aufhören würden, die Opfer für etwas verantwortlich zu machen, das die
Schuld dieses Schülers war, die Schuld der Leute, die ihn überhaupt Waffen kaufen
ließen, die der Waffenshows, der Leute, die ihn ermutigten, Zubehör für seine
Waffen zu kaufen, um sie vollautomatisch zu machen, der Leute, die sie ihm nicht
wegnahmen, obwohl sie wussten, dass er mörderische Neigungen äußerte. Und ich
spreche nicht mal über das FBI. Ich rede von den Leuten, mit denen er lebte. Ich
spreche von den Nachbarn, die ihn draußen mit Gewehren sahen.
Wenn der Präsident zu
mir kommen und mir ins Gesicht sagen will, dass es eine schreckliche Tragödie
war und es nie hätte passieren dürfen und uns weiterhin erzählt, wie nichts
dagegen unternommen wird, werde ich ihn freundlich fragen, wieviel Geld er von
der US-Waffenlobby erhalten hat.
Wisst ihr was? Es ist
unnötig, weil ich es schon weiß: dreißig Millionen Dollar. Gemessen an der
Anzahl der Opfer von Schussverletzungen in den USA in den anderthalb Monaten im
Jahr 2018 beläuft sich dies auf 5.800 Dollar pro Person. Ist es das, was diese Leute Ihnen
wert sind, Trump? Wenn Sie nichts tun, um zu verhindern, dass dies weiterhin
geschieht, wird die Zahl der Schussopfer steigen, und der Preis, den sie wert
sind, sinken. Und wir werden Ihnen wertlos sein.
An jeden Politiker,
der Spenden von der National Rifle Association nimmt: Schäm dich!
(Sprechchöre: „Schäm
dich!“)
Wenn Ihr Geld genauso
bedroht wäre wie wir, wäre Ihr erster Gedanke, wie wird sich das auf meine
Kampagne auswirken? Was sollte ich wählen? Oder würdest du uns wählen, und
wenn du uns antwortest, wirst du dich einmal so verhalten? Weißt du, was ein
guter Weg wäre, so zu handeln? Ich habe ein Beispiel dafür, wie man sich nicht
verhalten darf. Im Februar 2017, vor einem Jahr, hob Präsident Trump eine
Verordnung der Obama-Regierung auf, die es leichter gemacht hätte, den Verkauf
von Schusswaffen an Menschen mit bestimmten psychischen Erkrankungen zu
verhindern.
Von den Begegnungen,
die ich vor der Schießerei mit dem Schützen hatte, und von den Informationen,
die ich derzeit über ihn habe, weiß ich nicht wirklich, ob er geisteskrank war.
Ich habe das geschrieben, bevor ich gehört habe, was Delaney gesagt hat. Meine
Mitschülerin sagte, dass er diagnostiziert wurde. Ich brauche keinen
Psychologen und ich muss kein Psychologe sein, um zu wissen, dass die Aufhebung
dieser Regelung eine wirklich dumme Idee war.
Der republikanische
Senator Chuck Grassley aus Iowa war der einzige Sponsor dieser Gesetzesvorlage,
die das FBI daran hindert, Hintergrund-Checks bei psychisch kranken Menschen
durchzuführen, und jetzt sagt er: „Es ist eine Schande, dass das FBI keine
Hintergrund-Checks durchführt über diese psychisch kranken Menschen." Na
prima, Sie haben diese Möglichkeit letztes Jahr beseitigt.
Die Leute
in der Regierung, die wir gewählt haben, belügen uns. Und wir Kinder und unsere
Eltern scheinen die einzigen zu sein, die das merken und es BS (Bullshit)
nennen.
Unternehmen, die
heutzutage versuchen, Karikaturen von Teenagern zu zeichnen, indem sie sagen,
dass wir selbstverliebt und trendbesessen seien und uns zur Unterwerfung
zwingen, wenn unsere Botschaft die Ohren der Nation nicht erreicht: Wir sind bereit,
das Blödsinn zu nennen.
Politiker, die auf
ihren vergoldeten Abgeordnetenhaus- und Senatsposten sitzen, die von der Waffenlobby
finanziert werden und uns sagen, nichts hätte getan werden können, um dies zu
verhindern, nennen wir Blödmänner.
Sie sagen, härtere
Waffengesetze verringerten die Waffengewalt nicht. Wir nennen das Blödsinn.
Sie sagen, dass ein
guter Typ mit einer Pistole einen bösen Kerl mit einer Pistole stoppt. Wir nennen
das Blödsinn.
Sie sagen, Waffen
sind nur Werkzeuge wie Messer und so gefährlich wie Autos. Wir nennen das
Blödsinn.
Sie sagen, dass kein
Gesetz hätte Hunderte von sinnlosen Tragödien verhindern können. Wir nennen
das Blödsinn.
Sie sagen, dass wir
Kinder nicht wissen, wovon wir reden, dass wir zu jung sind, um zu verstehen,
wie die Regierung funktioniert. Wir nennen das Blödsinn.
Wenn ihr
einverstanden seid, registriert euch als Wähler. Kontaktiert eure lokalen
Kongressabgeordneten. Gebt ihnen ein Stück eures Verstandes.
Wie
man von Otto Wels, Martin Luther King und Malala
Yousafzai weiß, hält man eine solche Rede nur einmal im Leben. Was
die Schülerin sich da handschriftlich auf der Rückseite ihrer Notizen aus dem
Politikunterricht aufgeschrieben hatte und im Stakkato, mit den Tränen
kämpfend, in 11 Minuten und 40 Sekunden heraushaute, ist atemberaubend und zu
Recht ein Internet-Hit.
Überall
im Land formiert sich derzeit eine Protestbewegung von Schülern und Studenten. Motto:
„Wir wollen weiterleben“. Wird es
einer jungen Latina gelingen, was selbst Präsident Obama versagt blieb – den Schusswaffen-Fetischismus
in den USA in den Griff zu kriegen?
I
have a dream…
Und
hier das Original im Wortlaut:
Statistiken:
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/usa-traurige-statistik-zu-waffengewalt-an-schulen-a-1193644.html
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