Da können Sie als
Lehrer nicht einfach die Wahrheit sagen und den Eltern erklären: „Wenn Sie
Glück haben, findet Ihr verkorkster Halbaffe mit Vierzehn eine Lehrstelle als Roggenbrot.“
Das geht nicht!
(Dieter Nuhr)
Derzeit
ist wohl ganz in unserer Nähe einmal wieder die Hölle los, welche Grundschullehrern – zumal in der
vierten Klasse – sattsam bekannt sein dürfte. Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich war nicht dabei und kann mich nur an dem betreffenden Presseartikel orientieren. Dies dürfte allerdings den meisten Teilnehmern an dieser Debatte so gehen...
An
der Grund- und Hauptschule Hohenwart,
so beklagen Eltern, werde beim Übertritt
an weiterführende Schulen zu viel Druck
gemacht. Kritisiert werden schlechte Ergebnisse bei Prüfungen: Teilweise seien
zu gute Bewertungen nachträglich herunterkorrigiert bzw. Fragen gestellt
worden, welche im Unterricht nicht behandelt wurden.
Anders
als in den meisten Fällen lobt man zwar die betreffenden Klassenlehrer,
kritisiert jedoch den Rektor, welcher hinter alledem stecke: Es gehe ihm wohl
um den Erhalt des Schulstandorts,
der durch zu hohe Übertrittsquoten gefährdet sei.
Die
Kinder litten per Schulangst und psychosomatischen Beschwerden unter
diesen Zuständen. Wenn man sich nun recht erinnere, sei das schon früher so
gewesen – und Druck gebe es auch in höheren Klassen.
Der
Rektor, welcher sich stets
gesprächsbereit gibt, sieht das natürlich anders, ebenso die Direktorin des Schulamts sowie der Bürgermeister als Vorsitzender des Schulverbands, der
sich zudem nicht zuständig fühlt.
Die
Beschwerden im Einzelnen: Dass
manche Bewertungen mit Tipp-Ex korrigiert wurden, kam „Eltern komisch“ vor. Zudem seien bei einer Probe Dinge abgefragt
worden, „die zwar im Schulbuch standen,
aber im Unterricht nicht behandelt wurden“. Und Klassen, welche früher
Zweierschnitte hatten, schrieben nun plötzlich Vierer oder Fünfer. Über 20 Tests würden in der 4. Klasse in den Vorrückungsfächern geschrieben. „Manche Kinder essen fast nichts mehr,
andere essen zu viel" – manche weinten oder es werde ihnen schlecht,
wenn sie in die Schule müssten. Sogar Neurodermitis-Fälle häuften sich.
Dies
alles sind jedoch Dinge, die jeder Lehrer aus seiner ganz normalen Berufserfahrung kennt: Klar richtet sich die Korrektur
nach dem Schwierigkeitsgrad, den man halt im Vorfeld nicht immer sicher
einschätzt. Dann entschließt man sich, den Bewertungsschlüssel zu ändern.
Manchmal leider auch auf „Anregung“ des Schulleiters, was nicht immer zu
überzeugenden Resultaten führt. Nur: In der Denke von gewissen Eltern gibt es „zu
gute“ Noten niemals, sondern ausschließlich „zu schlechte“. Und dass man sich
bei einer Prüfung auch mal davon überzeugen möchte, ob die Schüler sich das
Buch angeschaut haben, war zu meiner Zeit normal – ebenso wie eine Prüfungsarbeit alle 14 Tage (im Zweifel eher mehr).
Tja,
und es soll vorkommen, dass manche Kinder weniger als nötig essen – und leider
immer mehr zu viel. Und dass es sie manchmal belastet, zur Schule gehen zu
müssen, ist ein übliches Phänomen. Sicher muss man dem nachgehen, wenn es
extrem wird – aber das kann tausend
Ursachen haben.
Die
harten Tatsachen, so muss der Autor des Artikels, Mathias Petry, zugeben, würden den Vorwurf nicht belegen, man
siebe in Hohenwart stärker aus: Die Übertrittsquote liege im Durchschnitt des
Schulamtsbezirks (bei 65 bis 70 Prozent – was ich nebenbei für skandalös hoch
halte). Und eine Schließung der Schule, so Bürgermeister
Russer, stehe nicht zur Diskussion. Man merkt es dem Journalisten an, dass
er lieber etwas anderes geschrieben hätte – aber zu einer Objektivität wie
Lehrer bei der Bewertung von Prüfungen ist er ja nicht verpflichtet...
Daher
muss zum Ausgleich das Statement einer Mutter her, das allerdings eher
entlarvend als bestätigend wirkt: „Es
geht ja auch nicht um die sehr guten Schüler, die kommen eh durch, aber bei
denjenigen, die auf der Kippe stehen, reichen ein, zwei schlechte Tests, um
ihnen das Zeugnis zu verhageln."
Bliebe
nur zur fragen, wie sinnvoll es ist, Kinder, die schon (oder noch) in der
vierten Klasse „auf der Kippe stehen“, den Wechsel
ans Gymnasium anzutun. Es gibt ja noch die Möglichkeit, den Probeunterricht zu absolvieren, falls
die Grundschule die Eignung nicht bestätigt. Und, wie ein anderer Vater
bekundet, würden dies solche Schüler dann „locker
packen“. So what?
Aber
um Tatsachen, so scheint es, geht es
in der Debatte nicht wirklich: „Die
nackten Zahlen geben es nicht her, aber das Gefühl ist da“ – so der Autor Mathias
Petry, und zitiert noch eine Mutter: „Mir
kommt das so vor, als ob da höhere Kräfte dahinter stecken." Ist ihm
eigentlich klar, dass er damit die blitzsaubere Definition einer Verschwörungstheorie liefert?
Dunkle Mächte (wohl der Rektor,
die Schulrätin oder gar die klingonische Zentralregierung) wollen „den Kindern den Weg in die Zukunft verbauen“
und hexen ihnen eine Neurodermitis an (Filzläuse noch nicht, kann aber noch
kommen). Von der pädagogischen
Verantwortung, die Kleinen nur wegen des Ehrgeizes der Erzeuger in eine
Schulform zu verfrachten, wo sie nicht glücklich werden, ist weniger die Rede.
Ich kenne solche fünften Klassen vom Gymnasium her – und wäre froh gewesen, man
hätte uns und „auf der Kippe stehenden“
Kindern das erspart!
Irgendwie
erinnert mich das an die bösen Impfungen,
welche ja ebenfalls die Kinder so stark schädigen, dass sie Infektionen wie
Masern nicht durchmachen müssen. Und wenn man ihnen die Schulmedizin als „böse“
hinstellt, weinen sie wahrscheinlich, wenn es denn doch mal einen Mediziner
brauchen sollte…
Ich
könnte mitheulen, wenn ich bedenke, wie man hier für einen gnadenlosen Elternehrgeiz die Basis jeden pädagogischen Handelns
vernichtet: das Vertrauen in den
Erzieher und die Ruhe im Bildungsprozess.
Das Schema ist normiert: Regelmäßig rotten sich in den Übertrittsklassen
mütterliche Helikopter-Brummseln zusammen, um vereint die Bildungsinstitute
unter genau den Druck zu setzen, welchen sie für ihre Kinder ablehnen. Wenn ich als
Sohn oder Tochter schon in der Zeitung lesen könnte, dass meine Schule ungerecht ist, wäre meine
Unbefangenheit dahin, ich würde auch jeden Morgen kotzen.
Und
die Eltern geben dem Nachwuchs ein schönes Vorbild in Sachen Zivilcourage: „Nur ihre Namen nennen wollen sie nicht, sie fürchten Sanktionen für
ihre Kinder und einige auch für Geschwister, die vielleicht noch länger an der
Schule sind.“
Dass
daher bei diesem Klassen-Kampf das Volk die Signale hören wird, steht nicht zu
erwarten.
Daher
ist Dieter Nuhr nicht der einzige
Lehrer, welcher die Flucht auf die Kabarettbühne angetreten hat. Und auch ich
bin froh, mich seit einigen Jahren nur noch als Blogger mit diesem Wahnsinn
abgeben zu müssen – und laut lachen zu dürfen, wo ich früher ernst bleiben
musste:
Quelle: Pfaffenhofener Kurier, 26.2.18, S. 21
http://www.donaukurier.de/lokales/schrobenhausen/DKmobil-Ist-der-Druck-zu-gross;art603,3694585
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