Seit
meinem gestrigen Artikel zum Wahnsinn
des Deutschunterrichts beschäftigt mich einmal mehr die Frage: Welche Ausbildung haben eigentlich bundesdeutsche Bildungsminister, wenn
sie jahrelang einen methodischen Humbug in der Rechtschreib-Ausbildung nicht
bemerken, der eine ganze Generation zu halben Analphabeten machte?
Ich
habe das einmal recherchiert:
Bund: Anja Karliczek (CDU) ist seit diesem Jahr Bundesministerin
für Bildung und Forschung. Nach dem Abitur absolvierte sie eine Ausbildung zur
Bankkauffrau und arbeitete im elterlichen Hotelbetrieb. Weiterhin erlernte sie
den Beruf der Hotelfachfrau und studierte Betriebswirtschaftslehre mit dem
Abschluss Diplom-Kauffrau. Ihre politische Laufbahn führte über den Stadtrat
Tecklenburg, wo sie 2011 Fraktionsvorsitzende wurde. Seit 2013 ist sie Mitglied
des Bundestags und wurde 2017 Parlamentarische Geschäftsführerin ihrer
Fraktion.
Baden-Württemberg: Susanne Eisenmann (CDU) studierte
Germanistik, Linguistik und Politikwissenschaft und erlangte den Magister
Artium. Anschließend promovierte sie im Fachbereich Philosophie mit einer
Dissertation über den mittelalterlichen Prediger Johann Geiler von Kaysersberg. Sie wurde Mitglied des Stuttgarter
Gemeinderats, dann Fraktionsvorsitzende und schließlich Bürgermeisterin für
Kultus, Jugend und Sport. Seit 2016 ist sie Landesministerin für diesen Bereich.
Bayern: Bernd Sibler (CSU) studierte nach dem
Abitur Deutsch und Geschichte für das Lehramt an Gymnasien. Nach seinem
Referendariat (1995-1997) war er ein Jahr Lehrer am Gymnasium, seit 1998 ist er
Abgeordneter im Bayerischen Landtag. 2007 und 2008 war er Staatssekretär im
Ministerium für Unterricht und Kultus, dann wieder ab 2011. Seit diesem Jahr
ist er Kultusminister.
Berlin: Sandra Scheeres (SPD) absolvierte eine
Ausbildung zur Erzieherin und studierte im Anschluss Pädagogik mit dem
Abschluss als Diplom-Pädagogin 1999. Nach vierjähriger Mitarbeit in einem
Bundesmodellprojekt für soziale Brennpunkte war sie ab 2003 Wissenschaftliche
Referentin bei der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe. Von 2011
bis 2016 war sie Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Für Bildung und
Jugend ist sie seit 2011 als Senatorin zuständig.
Brandenburg: Britta Ernst (SPD) absolvierte nach dem
Abitur eine Berufsausbildung zur Kauffrau der Grundstücks- und
Wohnungswirtschaft. Anschließend belegte sie ein Studium zur
Diplom-Sozialökonomin. Sie war von 1997 bis 2011 Mitglied der Hamburgischen
Bürgerschaft sowie von 2014 bis zum 2017 Ministerin für Schule und berufliche
Bildung in Schleswig-Holstein. Seit 2017 ist Ernst brandenburgische Ministerin für Bildung, Jugend und Sport.
Sie ist verheiratet mit dem Vizekanzler Olaf
Scholz.
Bremen: Claudia Bogedan (SPD) ist seit 2015
Senatorin für Kinder und Bildung im Senat der Freien Hansestadt Bremen. Sie
studierte von 1994 bis 2001 Sozialwissenschaften und wurde 2009 zum Dr.rer.pol.
promoviert.
Von
2001 bis 2003 war sie Geschäftsführerin des Politischen Bildungswerks Verein
zur Förderung politischen Handelns in Bonn. Sie war von 2003 bis 2007
wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen. Seit 2007 war sie
als Referentin am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der
Hans-Böckler-Stiftung zu Fragen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik tätig; von
2011 bis 2015 war sie hier Leiterin der Abteilung Forschungsförderung und des
Referates Erwerbsarbeit im Wandel.
Hamburg: Ties Rabe (SPD) ist seit 2011 Hamburger
Senator für Schule und Berufsbildung und war zuvor ab 2008 Mitglied der
Hamburgischen Bürgerschaft. Nach dem Abitur absolvierte Rabe von 1981 bis 1989 ein Lehramtsstudium für Religion, Deutsch
und Geschichte. Von 1990 bis 2002 war er Redakteur und Redaktionsleiter im
Elbe-Wochenblatt-Verlag und von 2002 bis zu seiner Entlassung 2006
Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg. Von 2006 bis zu seiner Ernennung zum
Senator 2011 arbeitete Rabe als
Lehrer am Gymnasium.
Hessen: Ralph Alexander Lorz (CDU) ist seit
2014 hessischer Kultusminister, zuvor war er 2007 bis 2009 Staatssekretär für
Wissenschaft und Kunst, ab 2012 Staatssekretär im Kultusministerium. Er
studierte Jura und Volkswirtschaftslehre; nach dem Referendariat und der
Promotion zum Dr. jur. legte Lorz
1993 die Zweite juristische Staatsprüfung ab. Während eines Aufenthalts in den
USA erwarb er an der Harvard Law School den Titel Master of Laws und
absolvierte ein Praktikum bei einer Anwaltsfirma und erlangte die
US-Anwaltszulassung. Nach der Rückkehr nach Deutschland 1994 wirkte Lorz bis 2000 als wissenschaftlicher
Assistent. Er habilitierte sich 1999 und erhielt im Jahr 2000 einen Lehrstuhl
als ordentlicher Professor für deutsches und ausländisches öffentliches Recht,
Völkerrecht und Europarecht. 2012 fungierte er als Dekan einer juristischen
Fakultät.
Mecklenburg-Vorpommern: Birgit Hesse (SPD) ist seit 2016
Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur; vorher war sie von 2014 bis
2016 Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales. Nach dem Abitur
studierte Hesse Jura und legte beide
Staatsexamina ab. 2002 trat sie in den Dienst der Landespolizei
Mecklenburg-Vorpommern ein. Daneben studierte sie von 2002 bis 2004 an der
Polizei-Führungsakademie in Münster und war von 2003 bis 2004 Leiterin eines
Polizeireviers. Von 2004 bis 2005 fungierte Hesse als Verkehrsreferentin des
Landes Mecklenburg-Vorpommern. 2008 und 2011 wurde sie zur Landrätin des Kreises
Nordwestmecklenburg gewählt, 2016 dann in den Landtag.
Niedersachsen: Grant Hendrik Tonne (SPD) studierte
nach dem Abitur Jura, legte beide Staatsexamina ab und ist als selbstständiger
Rechtsanwalt tätig. Er fungierte als Gemeinde- und Kreisrat, seit 2006 auch als
stellvertretender Kreistagsvorsitzender und Bürgermeister der Gemeinde Leese.
Von 2008 bis 2017 war er Mitglied des niedersächsischen Landtags, an 2013 auch
parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion. Seit 2017 ist er
Kultusminister.
Nordrhein-Westfalen: Yvonne Gebauer (FDP) ist seit 2012
Mitglied des Landtags und seit 2017 Ministerin für Schule und Bildung. Sie war
2004 bis 2012 Mitglied des Rates der Stadt Köln und auch schulpolitische
Sprecherin. Nach dem Abitur wurde sie Rechtsanwalts-Fachangestellte. In diesem
Beruf arbeitete sie bis 1989, dann bis 1992 als Assistentin eines
Bundestagsabgeordneten. Ab 1994 führte sie ein Boardinghouse (eine Art Hotel
für Kunden aus dem Geschäftsleben). 2004 machte sich Gebauer in der Immobilienbranche selbstständig.
Rheinland-Pfalz: Stefanie Hubig (SPD) ist seit 2016
Ministerin für Bildung. Nach dem Abitur studierte sie Jura, legte beide
Staatsexamina ab und promovierte in diesem Fach 2003. Ab 1996 war sie in
verschiedensten Funktionen des juristischen Bereichs tätig, u.a. als Staatsanwältin,
Richterin, Referatsleiterin und Staatssekretärin im Bundesjustizministerium,
schließlich in der Landesregierung von Rheinland-Pfalz.
Saarland: Ulrich Commerçon
(SPD) ist seit 2012 Minister
für Bildung und Kultur. Von 1989 bis 1993 studierte er slawische Sprach- und
Literaturwissenschaften, von 1993 bis 1999 schloss sich ein Studium der
Politikwissenschaft, der Philosophie und der Neueren Geschichte an. 1999 wurde
ihm der Grad eines Magister Artium der Politikwissenschaft verliehen. Seine
Parteikarriere führte ihn über die Jusos bis in den SPD-Landesvorstand. Seit
1999 ist er Mitglied des Landtags, wo er als Vorsitzender des Umweltausschusses
und stellvertretender Fraktionschef fungierte.
Sachsen: Christian Piwarz (CDU) ist seit 2017 Staatsminister für Kultus.
Nach dem Abitur studierte er Jura, legte beide Staatsexamina ab und arbeitet
als Rechtsanwalt in einer Kanzlei. Seit 2006 gehört er dem Landtag an und
fungiert dort als stellvertretender Fraktionschef und
Fraktions-Geschäftsführer.
Sachsen-Anhalt: Marco Tullner (CDU) studierte nach dem Abitur Geschichte und
Politikwissenschaft (Magisterabschluss). Seine Parteikariere verlief über
Ortsverbands- und Kreisvorsitz bis in den Landtag (Abgeordneter von 2002 bis
2011 und wieder ab 2016). 2011 wurde er Staatssekretär im Ministerium für
Wissenschaft und Wirtschaft, 2016 Minister für Bildung.
Schleswig-Holstein: Karin Prien (CDU) ist seit 2017 Ministerin für Bildung,
Wissenschaft und Kultur. Nach dem Abitur studierte sie Jura, legte beide
Staatsexamina ab und ist seit 1994 selbständige Rechtsanwältin mit Schwerpunkt
Wirtschafts- und Insolvenzrecht, seit
2008 auch Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht. Ihr
politischer Weg führte sie über den CDU-Ortsvorsitz bis in die Hamburgische
Bürgerschaft (2011 bis 2017), wo sie als stellvertretende Fraktionsvorsitzende
und schulpolitische Sprecherin fungierte.
Thüringen: Helmut Holter (Die Linke) ist seit 2017
Minister für Bildung, Jugend und Sport und im Amtsjahr 2018 Präsident der
Kultusministerkonferenz. Zuvor war er von 1998 bis 2006 Minister für Arbeit und
Bau des Landes Mecklenburg-Vorpommern sowie von 2009 bis 2016 Vorsitzender der
Linken-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern.
Nach
dem Abitur absolvierte Holter ein Studium an der Bauingenieurhochschule in Moskau, das er
1976 als Diplomingenieur für Betontechnologie beendete. Danach war er als
Technologe und ab 1979 als Produktionsleiter im VEB Beton Nord tätig. Von 1981
bis 1985 war er hier Sekretär der SED-Betriebsorganisation.1985 begann er ein Studium
an der Parteihochschule der KPdSU in Moskau, das er 1987 als
Diplom-Gesellschaftswissenschaftler abschloss. Anschließend war Holter bis 1989 in der Abteilung
Bau/Verkehr/Energie bei der SED-Bezirksleitung Neubrandenburg tätig.
Das
Ergebnis ist einigermaßen niederschmetternd:
Eine
pädagogische Ausbildung können nur 3 Minister (18 Prozent) vorweisen: Sibler (Bayern) und Rabe (Hamburg) sind studierte Gymnasiallehrer,
Scheeres (Berlin) ist Diplompädagogin. Offenbar wirkt sich Fachwissen positiv auf die Amtszeit aus: Rechnet man beim
bayerischen Kultusminister seine Zeit als Staatssekretär hinzu, so waltet er
schon zirka 10 Jahre seines Amtes,
die beiden anderen etwa 8 Jahre. Die
durchschnittliche Verweildauer der
Kollegen liegt bei weniger als 3 Jahren.
Allerdings
ist eigene Unterrichtserfahrung bei
den Kultusministern ein seltenes Gut: Gerade einmal 1 Jahr (nach dem
Referendariat) beträgt sie beim Bayern Sibler,
der Kollege aus Hamburg hält den Rekord von knapp 6 Jahren. Birgit Hesse (Meckpomm) war immerhin
früher Polizistin – heute eine nicht zu unterschätzende pädagogische
Qualifikation!
Was
haben die anderen gelernt? Abitur
haben sie alle, ein Hochschulstudium
abgeschlossen ebenfalls – bis auf die Ministerin aus NRW. Die „politische Allzweckwaffe“
Jura studiert haben ganze 6 (35 Prozent), der Rest kommt aus dem wirtschaftlichen Bereich (3) und den Sprach- und Gesellschaftswissenschaften
(4). Einen naturwissenschaftlich-technischen
Hintergrund weist genau einer auf: der Thüringer Holter. Kein Wunder, dass gerade dieser Bereich in der deutschen
Bildungspolitik sträflich vernachlässigt wird – und bildungspolitische
Entscheidungen eher nach rechtlichen
und wirtschaftlichen Aspekten
getroffen werden!
Die
meisten heutigen Bildungspolitiker haben schon sehr früh eine Partei-Karriere verfolgt. Die Wahl des
Studienfachs war wohl auch vom Gedanken begleitet, später politisch möglichst vielfältig einsetzbar zu sein. Ein
spezielles pädagogisches Interesse
wird nur in wenigen Fällen ersichtlich: man war halt schon alles Mögliche – und
nun auch mal Bildungsminister!
Um
an allgemeinbildenden Schulen unterrichten zu dürfen, benötigt man in der Regel
ein abgeschlossenes Hochschulstudium
mit zwei Staatsexamina. Über das Wohl und vor allem Wehe der Dreiviertelmillion deutscher Lehrer
entscheiden darf man auch als Fachfremder.
Die nötigen Informationen muss man
sich dann halt von der Ministerialbürokratie
heraufreichen lassen. Zumindest sitzen dort etliche Lehrer, wobei Kollegen, die ins Ministerium berufen werden, nach meinen Erfahrungen meist folgende Trias aufweisen:
·
hervorragende
Examensnoten
·
windschnittige
Anpassungsfähigkeit
·
maximal
desaströse Unterrichtsergebnisse
Beamtenrechtlich
bleibt also nur der Sturz die Treppe
hinauf… Oder man fragt Experten,
die Schüler meist auch nur aus der Ferne kennen.
Ich
gestehe, vor meiner Recherche nicht mit solch katastrophalen Ergebnissen gerechnet zu haben. Nach meiner Ansicht ist
jahrelange Unterrichtserfahrung bei
schulischen Entscheidungen absolut notwendig. Selbst bei Schulleitern, die einige
Jahre nicht mehr vor einer Klasse stehen, machen sich oft erschreckende Realitätsverluste bemerkbar. Wie sieht
es erst bei Leuten aus, welche ihre Eindrücke lediglich aus der eigenen Schulzeit
beziehen?
Gerade
Bildungsminister-Posten gelten wohl bei Kabinettsbesetzungen – nach Verteilung
der Schlüsselministerien – eher als Proporz-
und Verschiebebahnhof. Dafür sprechen kurze
Amtszeiten und fehlende fachliche
Eignung. Ein Paradebeispiel ist die neue Bundesministerin dieses Ressorts:
Als gelernte Wirtschaftlerin und Hotelfachfrau kann sie vielleicht über Qualität
und Kalkulation des Mensaessens
befinden, über kopfschüssige
Rechtschreibmethoden kaum. Wie sie zu diesem Amt gekommen ist, mutmaßten
Medien wie der „SPIEGEL“: „Weil sie eine
Frau und katholisch ist – und aus Nordrhein-Westfalen kommt“. Ihrer Fachfremdheit
möchte sie nach eigener Aussage damit begegnen, „die richtigen Fragen zu stellen“.
Schön
und gut – aber ein paar Antworten
wären auch nicht schlecht…
Ein bisschen Schifferl fahren und Sprechblasen
produzieren wird nicht reichen:
Quellen:
nebst den Links zu den einzelnen Personen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.