Sonntag, 29. Dezember 2019

Von Omas, Motorrädern und Shitstürmern


Nun hat sich auch der Westdeutsche Rundfunk einen Shitstorm verdient – noch dazu mit ziemlich schlichten Mitteln: Auf WDR2 veröffentlichte man kürzlich das Video eines Kinderchors, welcher das alte Kinderlied „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ mit neuem Text sang.

Dieser karikiert die Oma nun als „alte Umweltsau“, da sie mit ihrem Zweirad unter anderem „tausend Liter Super jeden Monat“ verpulvere, „zwei Opis mit Rollator“ überfahre und sich „jeden Tag ein Kotelett“ aus billigem Discounterfleisch brate. Und obwohl in der Schlusszeile dann (ironisch wegen ihrer Kreuzfahrten) festgestellt wird: „Meine Oma ist doch keine Umweltsau“ lief die hierzulande bestens eingeübte Empörungsmaschine an. In kurzer Zeit gab es auf Facebook über 15000 Kommentare – in der Mehrzahl kritisch bis vernichtend:

Geschmacklos und diskriminierend nannte man das – und als minimale Lösung wird die fristlose Entlassung der Verantwortlichen gefordert. Skandalös sei es, die singenden Kinder instrumentalisiert zu haben – Pfui Deibel aber auch!

Selbst der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet fand die Affäre wichtig genug, öffentlich seine Entrüstung zu bekennen – und WDR-Intendant Tom Buhrow zog alsbald die Reißleine, ließ das Video vom Netz nehmen und entschuldigte sich „ohne Wenn und Aber“ dafür. In einer Sondersendung stellte sich der WDR2-Chef Jochen Rausch den Hörermeinungen. Natürlich hat es die Produktion längst auf YouTube geschafft und ist dort zu besichtigen:



Den genauen Text kann man hier nachlesen:

Noch lustiger wird es, wenn man die Quelle des Kinderlieds genauer recherchiert:
Es benützt den Refrain des 1922 von Robert Steidl geschriebenen Rheinländers „Wir versaufen unsrer Oma ihr klein Häuschen“. Der Text ist an den Foxtrott „Meine Oma fährt Motorrad, ohne Bremse, ohne Licht“ von 1928 angelehnt.

Im Laufe der Zeit entstanden immer wieder neue Strophen, beispielsweise:

„Meine Oma hat ’nen Nachttopf mit Beleuchtung …“
„Meine Oma hat ’nen Pet[t]icoat aus Wellblech …“
„Meine Oma hat im Strumpfband ’nen Revolver …“

Allerdings stellt hier der Refrain der Großmutter jeweils ein ehrendes (nicht ganz ironiefreies) Zeugnis aus:

„Meine Oma ist ’ne ganz patente Frau.“

Das Deutsche Volksliedarchiv in Freiburg schreibt dazu:
„Es ist ein Spiegelbild des spielerischen Vergnügens am Absurden und zugleich ein typisches und virulentes Beispiel für jenes Liedgut, das sich parallel zur medial geprägten Musikkultur des 20. Jahrhunderts entwickelt und mit einer gewissen Eigendynamik beständig verändert.“

Ich kann hierzu nur feststellen: Jahrzehntelang ist die Frauenfeindlichkeit und Altersdiskriminierung des Machwerks niemandem aufgefallen. Die Kombination von Nachttopf über blechernen Unterrock bis hin zu Strumpfbändern im James Bond-Stil sagt ja wohl genug! Und wo blieb bitteschön der Empörungs-Feldzug der Tierfreunde? Hühnerstall statt Freilandhaltung – und dann verängstigt man das Gefügel noch mit lautem Motorradlärm, überfährt vielleicht sogar noch eins!

Wahrlich: Solche Schmierfinken gehören geteert und gefedert (na ja, letzteres vielleicht doch nicht, die armen Hühner…)

Im Klartext: Dem deutschen „Empörialismus“ ist offenbar inzwischen kein Thema mehr zu dämlich für einen Shitstorm!

Klar kann man darüber diskutieren, ob hier die Wortwahl „Umweltsau“ vielleicht zu drastisch war – aber man vergleiche einmal, was sich Politiker in Satiresendungen wie der „Heute Show“ alles sagen lassen müssen. Darüber regt man sich eher nicht auf. Und der Gag funktioniert natürlich nur, wenn man das Lied einen Kinderchor singen lässt – das relativiert die Aussage. Zudem freuen sich Menschen dieses Alters sehr, wenn sie einmal ganz öffentlich „unanständige Wörter“ benützen dürfen!

Wie viele Komödien geben den Altersstarrsinn der Lächerlichkeit preis? Durch wie viele Fastnachtsreden geistert der Opa auf der Suche nach seinem Zahnersatz? Das alles jetzt verbieten, die Intendanten rausschmeißen? Nein – von Greta bis Oma gibt es am Theater sowohl das Rollenfach „jugendliche Naive“ wie „komische Alte“.

Wen darf man heute mittels Satire noch angreifen? Alte Menschen also nicht – wen dann? Kinder? Junge Leute? Menschen im mittleren Alter?

Ach, darf man alles, wenn nur die Richtung stimmt! So kriege ich selber ja in Permanenz die „Oberlehrer-Schelte“ ab, man attestiert mir, nur wegen altersbedingten Beschäftigungsmangels zu bloggen, und auch das Stereotyp von den „heterosexuellen alten weißen Männern“ durfte ich bereits genießen. Man hat sogar schon der Aussicht auf mein baldiges Ableben Ausdruck verliehen:
http://milongafuehrer.blogspot.com/2019/04/warten-auf-den-sensenmann.html

Allerdings würde ich die Bezeichnung „alte Umweltsau“ zurückweisen: Beispielsweise habe ich in 69 Jahren noch nie in einem Flugzeug gesessen und fahre selten in Urlaub – jedoch nicht aus ökologischen Gründen, sondern, weil ich mit Werner Schneyder der Ansicht bin, Reise bilde nicht, sondern verwirre eher. Daher habe ich die Hoffnung, von der „Deutschen Umwelthilfe“ mal mit einem Preis geehrt zu werden, längst aufgegeben…

Deswegen geht es bei der neuen deutschen Empörungskultur keineswegs darum, Menschen vor Entgleisungen zu schützen – nein: Wer in eine Richtung pöbelt, mit welcher man übereinstimmt, darf das natürlich, und wehe, man kritisiert das! Reine Zensur, die Meinungsfreiheit ist in Gefahr, weil man „das ja nicht mehr sagen darf“!

Wird in die falsche Richtung gehetzt, ist freilich Schluss mit lustig: Sofort verbieten, rausschmeißen, teeren, federn… (ach nein, hatten wir schon). Auch, wenn‘s nur Satire ist.

Und ich bitte herzlich, mir nun nicht mit den „zwangsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sendern“ zu kommen! Seit Jahrzehnten toleriere ich klaglos Sendungen wie den „Musikantenstadel“ und bin froh – anders als bei den Privaten“ – nicht jede Viertelstunde mit Werbung belästigt zu werden.

Daher – auch wenn sich nun die letzten Facebook-Freunde von mir abwenden sollten: Wer der Satire (ob nun gelungen oder auch mal nicht so toll) an den Kragen will, kriegt es mit mir zu tun. Da lebe ich mit Wonne meinen Altersstarrsinn aus!

Und vielleicht kaufe ich mir morgen doch noch ein Feuerwerk – nur, damit sich gewisse Leute wieder aufregen können und ich meinen Spaß dran habe…

Meinen (verbliebenen) Lesern ein gutes Neues Jahr!

P.S. Man hätte das Oma-Epos schon längst sprachwissenschaftlich sezieren sollen. Thomas Freitag hatte es ja mal unternommen:

 

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