Jedes Ding hat zwei Seiten, auch
Elternsprechstunden. Daher bin ich der Autorin für die Perspektive einer nicht
allein erziehenden, jedoch sorgeberechtigten Mutter sehr dankbar:
Schulen haben
seit meiner Kindheit diesen ganz eigenen Geruch von Spitzerdreck, Apfelbutzen
in diversen Verwesungszuständen und in den Wintermonaten diesen leichtgelben
Hauch von Streptokokken.
Ich solle an
der Tür des Lehrerzimmers klopfen, dort würde ich die Lehrerin meines Sohnes
finden, teilt mir die Sekretärin mit. Meine telefonische Anfrage vor Abfahrt Richtung
Bildungsinstitut, „ob die Dame auch im Hause sei“, schwebt noch in kursivgedruckten
Buchstaben um genervte Büroohren und lenkt die Mundwinkel Richtung Linoleum.
Eine blonde
Rotbackige öffnet. Sie beugt sich in den Hüften nach unten, runter zu mir mit
schräggelegtem Kopf – lächelnd – wie zu einem Kind. Sie ist nur eine halben Kopf
größer als ich. Frau M. käme gleich. Dann knallt die schwere Tür vor meiner
Nase zu und ich warte mit Mütze in der Hand auf dem Flur.
Nach einigen
Minuten flattert Frau M. aus dem Lehrerrefugium. Das Sprechzimmer ist
augenscheinlich belegt, so bittet sie mich zu den Tischen in der Pausenhalle.
Ob es mir etwas ausmache, wenn wir uns dort zu unterhalten? Bevor ich mich
setze, kehre ich Brösel vom Tisch und kontrolliere den mir zugewiesenen Stuhl
auf hygienische Bedenklichkeiten, während ich die Tonart (nicht den Inhalt)
ihres seit unserem Zusammentreffen plätschernden Redeschwalls einordne.
Ich eröffne
mit meiner Schilderung der familiären Situation: geschieden, Sohn lebt beim
Vater, einmal die Woche plus jedes zweite Wochenende bei mir. Ja, auch ich bin selbstverständlich
sorgeberechtigt und gebe gleich unumwunden zu, dass ich es nicht geschafft
habe, den Exmann zur Weitergabe der Informationen zu erziehen. Das gilt lehrerinnenseits
IMMER (!) als die Aufgabe der Frau. Deswegen bitte ich darum, parallel über
schulische Belange informiert zu werden.
Diese Basisformulierungen
kann ich inzwischen auswendig hersagen. Dann tue ich nichts anderes als: WARTEN
und mir überlegen, was ich heute Mittag koche, während wie erwartet der Lehrerinnensprechfluss
von oben am Berg fleißig sprudelt.
Die aktuelle Vetreterin
dieses Berufsstands wählt die eher harmlose „Wie können Sie das als Mutter
aushalten? Mir wär' das zuwenig, mein Kind soooo selten zu sehen...“-Variante.
(Hin und wieder erlebe ich auch „Empörung über eine Rabenmutter, die ihre
Familie verlassen hat“. Die ist ein bissel schwerer zu knacken.)
„Sein Vater
hat gar nichts von Ihnen erzählt... ich konnte ja von Ihrer Existenz gar nichts
wissen... Es ist mir völlig neu, dass Ihr Sohn auch eine Mutter hat... und Sie
sind wirklich auch erziehungsberechtigt...?“, plätschert über den Tisch und
spült die letzten Krümel fort.
Geschenkt –
das bin ich gewohnt, damit habe ich gerechnet. Aus diesem Grund liegt in Sohnemanns
Schülerakt mein Brief mit den eben aufgesagten Auskünften: Das bringt – wie
erwartet – doch einige Unruhe ins Wasser zwischen uns. Altbekannte
Defensivwellen bestückt sie mit Äußerungen zum Datenschutz, während sie
Argumente zur beruflichen Arbeitsüberlastung von der Wand hinter mir abliest
und dazulegt: Das könne die Schule nicht leisten. Das sei an dieser Schule
nicht vorgesehen. Man könne nicht erwarten, dass sie jeden Schülerakt lese bei
so vielen Schülern. Mit einem Fuß stehe sie ja sowieso ständig im Gefängnis!
Und die Zeit, die mein Anliegen in Anspruch nähme! Undenkbar! Außerdem seien
ihr Familienkonstellationen dieser Art nicht bekannt. Ja, „andersrum“ schon, wo
die Kinder bei der alleinerziehenden Mutter leben, der Vater nicht
sorgeberechtigt ist bzw. informiert werden darf. Da habe sie auch die
entsprechenden Akten gelesen. Dafür gäbe es durchaus Handlungsvorgaben. Aber
dass ein Kind beim Vater wohnt, obwohl eine Mutter existiert?
Nein, ich bin
nicht tot.
Ich lasse sie
noch ein paar Minuten echauffiert weiterpumpen, während ich einen Zettel
beschrifte, zum Schiffchen falte und lächelnd in den verbalen Sturzbach
zwischen uns setze. Verblüfft beobachtet sie weiter plappernd, wie es
rechtwinklig zum Strom zu ihr hinüberschwimmt. Herausgepflückt und entfaltet
offenbart sich ihr die Unverschämtheit: „Einen zweiten Sorgeberechtigten zu ignorieren,
ist nicht schulrechtskonform.“
In der darauf
folgenden, verlängerten Einatempause setze ich nach: Ich habe als Mutter ein
großes Interesse, mögliche schulische Schieflagen frühzeitig zu erkennen und
gemeinsam mit den Lehrkräften rechtzeitig gegenzusteuern.
Jetzt
schnappt sie nach Luft, zieht die Strickjacke vor der Brust zusammen. Noch eine
ganz kleine Weile, und wir können endlich auf dem kurzen Dienstweg
funktionierende Vereinbarungen treffen! Hurra! Und zusätzlich, als Bonbon
sozusagen, bekomme ich einen kleinen Einblick in die schulischen Leistungen
meines Sohnes: alles soweit im grünen Bereich. Wie schön!
Fazit nach fünf Jahren Erlebnissen als
„verschwiegene zweite Sorgeberechtigte“ mit zwei Söhnen an verschiedenen
Schularten:
Das Drehbuch
solcher Unterhaltungen bleibt das gleiche: Wertung, Angriff, Defensive – zirka
je 30 Prozent (tendenziell mehr) der Gesprächszeit plus 10 Prozent (eher
weniger), um über die Leistungen meines Kindes zu sprechen und gegebenenfalls Lösungsvorschläge
zu erarbeiten.
Der Begriff „Elternsprechstunde“
ist somit nicht zutreffend.
Aber das
Tigerfell habe ich inzwischen in den Keller verfrachtet.
Soweit der Bericht, welcher mich im
Gegensatz zu „Dinner for one“ kein bisschen amüsiert. Ich habe mich bei der
Autorin für solche Kolleg/innen entschuldigt, was die Sache aber auch nicht
besser macht.
Für solche Schulvertreter vielleicht
noch ein paar Erläuterungen:
- Seit 1998 gilt das gemeinsame Sorgerecht als familienrechtlich angestrebter Normalfall. Es wäre schön, wenn sich dies nach 18 Jahren allmählich in den Bildungsinstituten herumsprechen würde.
- Dessen Ausgestaltung führt zwischen den Ex-Partnern häufig zu Problemen. Insbesondere werden schulische Informationen oft nicht an den Elternteil weitergegeben, welcher das Kind nur stunden- oder tageweise betreut.
- Dieser muss spätestens dann gesondert informiert werden, wenn er dies der Schule gegenüber erklärt.
Wer’s auf juristisch
braucht:
„Erziehungsberechtigte
oder Erziehungsberechtigter im Sinne dieses Gesetzes ist, wem nach dem
bürgerlichen Recht die Sorge für die Person der minderjährigen Schülerin oder
des minderjährigen Schülers obliegt.“ (Bayerisches Gesetz über das Erziehungs-
und Unterrichtswesen – BayEUG – Art. 74)
„Widerspricht freilich
ein Elternteil ausdrücklich oder wird von vornherein erklärt, dass es bei
sämtlichen Vorgängen im Schulbereich ausdrücklich beteiligt werden will, so
muss die Schule dies respektieren.“
(Kiesl/Stahl: Das
Schulrecht in Bayern, Kommentar zum BayEUG)
- Bei welchem Elternteil ein Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, unterliegt nicht der Bewertung der Schule.
- Die Einstellung, geschiedene Frauen hätten sich gefälligst allein mit ihrem Exmann herumzuschlagen, ist inzwischen etliche Lichtjahre vom Familienrecht (und dem Grundgesetz) entfernt!
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