Dienstag, 2. Juli 2024

Zum Fremdschämen

 

„Quidquid agis, prudenter agas et respice finem“ (aus der Abiturrede eines Schulleiters)

Am bayerischen Gymnasium Dorfen scheint das Klima zwischen Schulleitung und den künftigen Abiturientinnen und Abiturienten ziemlich gestört gewesen zu sein. Dies quittierten die Studiosi in spe im Vorfeld mit einem Abiturstreich, der es in sich hatte: Da man keine Wasserbomben werfen durfte (heute der Ausweis für akademische Reife), legte man die Schule unter Rasierschaum und köpfte eine Pappmaschee-Puppe in der Kleidung des Chefs. Herumliegende Schnapsflaschen komplettierten das Ensemble.

Auch über die Abiturzeitung, in der fast nur über Partys berichtet wurde, gab es Zoff: „Wir sind keine Kommunionkinder mehr und singen nicht im Kirchenchor“, so der Abiturienten-Sprecher. Na ja, aus Pörnbacher Sicht wäre der Kirchenchor aber sehr anzuempfehlen, vor allem in sozialer Perspektive!

Der Schulleiter jedenfalls habe sich beim Abi-Streich „völlig humorlos gezeigt“. Man könnte wohl sogar davon sprechen, dass er den Kopf verloren habe…

Die Quittung ereilte den Chef dann bei der Abiturfeier, bei der die beiden Redner der Abituria in die Vollen gingen und ihn als „Gefängnisleiter“ bezeichneten. Na gut, die Oberstufe bayerischer Gymnasien scheint der einzige Knast zu sein, in den alle reinwollen – ehrgeizige Eltern erzählen schließlich bereits der Hebamme von der Studierfähigkeit des zu erwartenden Nachwuchses. Ein dritter Abiturientensprecher, der das Manuskript vorher gelesen hatte, verzichtete auf seinen Redebeitrag.

Man sprach vom „diktatorischen System des Dorfener Gymnasiums“ und davon, dass man „Autoritäten hinterfragt“ habe. Es sei aber „kein Platz für rebellierende Fragen“ gewesen – eine mir nicht geläufige Kategorie. Eventuell sind das solche, auf die man keine Antwort erwartet. Im Vorfeld jedenfalls, so Schulleiter Markus Höß, seien Gesprächsversuche gescheitert.

In seiner Ansprache befand er, dass nun „Schluss sei“: Weder er noch sein Stellvertreter mochten den Abiturientinnen und Abiturienten ihre Zeugnisse überreichen. Die armen Kinder mussten sich mit den beiden Oberstufen-Koordinatoren begnügen. Es gab Buhrufe und Sprechchöre – auch von einem Teil der Elternschaft. Nun war die Sache so weit gediehen, dass sie dort landete, wo die Abituria es offenbar wollte: in den Medien.  

Quellen:

https://www.nordbayern.de/panorama/schlammschlacht-bei-abi-feier-in-bayern-schulleiter-weigert-sich-zeugnisse-zu-ubergeben-und-geht-1.14324831

https://www.merkur.de/lokales/erding/dorfen-ort28598/fremdschaemen-dorfen-eine-abi-feier-zum-93160281.html

https://www.merkur.de/lokales/erding/dorfen-ort28598/ueberschritten-markus-hoess-die-rote-linie-wurde-endgueltig-93160561.html

https://www.merkur.de/lokales/erding/dorfen-ort28598/fremdschaemen-dorfen-eine-abi-feier-zum-93160281.html

Aus meiner Berufserfahrung weiß ich, dass es selten die fleißigen und sozial engagierten Schülerinnen und Schüler sind, welche solche Situationen provozieren, sondern eher diejenigen, welche das Gymnasium als Partyanlass sehen und mit ihrem Ego bereits ohne Studienabschluss nicht durch die Tür kommen. Gegen akademisch gesonnene Störenfriede fährt man von vornherein einen knallharten Konfrontationskurs und tut alles dafür, die Verhältnisse eskalieren zu lassen. Das dürfte wieder einmal gelungen sein.

Da stört es nicht, dass sogar die Schülersprecherin das Ganze „zum Fremdschämen“, „unfair“ und „peinlich“ fand und dem Chef „nur gute Noten“ ausstellen wollte. Überhaupt sehe ich im Ablauf der Affäre einige Ansätze seltener Zivilcourage.

Insgesamt wehte da wohl ein Hauch von Realismus durch die Aula, wo man einander sonst gerne vormacht, mit welchen Traumergebnissen das jeweilige Abitur wieder einmal geendet habe. Dass hierzulande an die 30 Prozent der Studierenden ihre Ausbildung erfolglos abbrechen (in den MINT-Fächern sogar mehr), macht man lieber nicht zum Thema. Mangelnde Hochschulreife muss man nicht erst durch solche Kasperiaden nachweisen. Die ist auch so mit Händen zu greifen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Studienabbruch

„Was du auch tust, handle klug und bedenke das Ergebnis“ – diese Weisheit ist vielen heute an den Gymnasien unklar. Jedenfalls, so lange man sie ihnen nicht übersetzt…

P.S. Tatsächlich würde ich heute Abiturzeugnisse nur noch verleihen. Damit ich sie wieder zurückfordern kann!

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