Den
Astrophysiker Prof. Harald Lesch
kenne ich schon seit seiner Sendereihe „alpha-Centauri“,
wo er ab 1998, oft vor einer altmodischen Tafel mit Kreide und Schwamm,
berückend einfach Fragen aus seinem Arbeitsgebiet behandelte. Inzwischen wird
seine glänzende Fähigkeit, Naturwissenschaften
laientauglich zu vermitteln, nicht nur vom Bayerischen Rundfunk, sondern
auch von vielen anderen Medien genutzt.
Ich
gestehe, die Sendungen von Lesch inzwischen weniger zu verfolgen, da er für
meinen Geschmack etwas zu sehr politisiert
und sein Tonfall oft dozierend bis dogmatisch ausfällt. Dennoch gehört er mit Recht
zu den populärsten Naturwissenschaftlern
Deutschlands.
https://de.wikipedia.org/wiki/Harald_Lesch
https://de.wikipedia.org/wiki/Harald_Lesch
Kürzlich
stolperte ich über ein 10 Minuten-Video von ihm, das mich elektrisierte –
betitelt „Unser Schulsystem ist Mist“.
Sichtlich
hat er sich über eine Geschichte aufgeregt, die ihm sein bester Freund
erzählte, der eine junge Dame bei einem Einstellungsgespräch
vor sich hatte und ihr eine einfache
Rechenaufgabe stellte, so in der Art von: Eine Ware kostet 49,90 €, und sie
bekomme zehn Prozent Rabatt. Wieviel das dann wäre?
Na
klar, ein Zehntel,
also knapp 5 €. Dann müsste sie fast 45 € löhnen.
Die
Kandidatin meinte aber, das müsse sie nicht wissen. Ja, wie sie dann
entscheide, ob das Angebot vielleicht günstiger sei als ein anderes. Antwort: „mit dem Bauch“.
Es
wäre wohl auch aussichtlos gewesen, die junge Dame nach der Bedeutung des
einschlägigen lateinischen Sprichworts zu fragen: „Plenus venter non studet libenter.“ Nö, kann man ja googeln…
Lesch
empört sich mächtig darüber: Bei Zahlen
dürfe man halt nicht nach dem Bauch entscheiden. Prozentrechnen sollte eben jeder können, der einen Schulabschluss
habe – egal welchen. Und zwar ohne Hilfsmittel – einfach im Kopf.
Was
sei eigentlich, so der studierte Physiker, inzwischen an den Schulen passiert?
Seien die überhaupt noch Bildungseinrichtungen in dem Sinne, dass es zu mehr
reiche als dem Funktionieren im Wirtschaftsprozess? Und selbst die Unternehmen würden sich
inzwischen beschweren, dass die Schüler heute „gar nix mehr“ könnten!
Anschließend
schießt er sich auf den Kompetenzbegriff
ein: Man wisse dann nur noch, wo etwas stehe. Selber etwas zu wissen und zu können
sei offenbar nicht mehr gefordert.
Warum
könne man sich angesichts der immer höheren Lebenserwartung mit der Bildung nicht mehr Zeit lassen, anstatt
beispielsweise die Gymnasialdauer um ein Jahr zu verkürzen? Persönlichkeit erfordere
doch eine ausreichend lange Reifezeit.
An einer guten Schule gehe es vor allem langsam
zu.
Spaß und Vergnügen am Lernen
seien an den Schulen kaum noch vorhanden. Schüler, Eltern und Lehrer vereine der „dicke Hals“, wenn es um Unterricht gehe.
Warum
könne man sich nicht auf einen simplen
Kanon einigen, was alle nach der Ausbildung beherrschen müssten: Rechnen, Schreiben, Lesen – und zwar
fehlerfrei. Und nicht die „Kompetenz des
Lesens“ nach dem Motto: „Ich weiß, wo
ich nachgucken müsste, wenn ich lesen wollte“.
Und
was die Mathematik betreffe: Es
könne doch nicht sein, dass eine Nation, die ihren Wohlstand der Technologie verdanke, in weiten Teilen
aus einer Bevölkerung bestehe, die man nur noch als „mathematisches Prekariat“ bezeichnen könne! Immer wieder höre er
in Gesprächen, für Mathematik habe man „kein
Gefühl“. Warum habe man nicht längst dieses Fach zu einem Bestandteil unserer Kultur erklärt? Schließlich
werde kein Haus, kein Auto ohne Kenntnisse dieses Fachs gebaut. Es sei das
Bindeglied zwischen Wissenschaft und Technik.
Zu
Originalität, Neugier, Fantasie würde an der Schule nicht erzogen. Musik,
Sport, Kunst und Theater würden wegrationalisiert, wobei doch gerade diese
Fächer die Persönlichkeit bildeten.
Statt
Kinder würden Fächer unterrichtet. Man vergesse, dass man Schülern nicht beliebig
viele Inhalte ins Hirn prügeln könne. Es koste Zeit, bis Informationen so weit verarbeitet und vernetzt seien, bis daraus Erkenntnis entstünde. Eine gebildete Person
wisse, wer sie ist, und könne sich in Raum, Zeit und Kultur einordnen. Und so
eben auch andere Kulturen verstehen.
In
meinem Buch „Der bitterböse Lehrer-Retter“
habe ich mich schon vor Jahren mit der Unsitte der „Kompetenz-Ideologie“
auseinandergesetzt: „Alles können, aber
nix wissen“. Eigene Kenntnisse und Fertigkeiten werden auch in Abituraufgaben
durch die Anforderung ersetzt, aus einer Fülle an Material etwas
zusammenzuschmieren, das die eigene geistige Leistung weitgehend ersetzt.
Motto:
Man muss nichts mehr selber wissen, kann
man doch alles googeln!
Ich
fürchte, auch die jetzigen geistigen Offenbarungseide von „Corona-Skeptikern“ wären vermeidbar, wenn man noch gelernt hätte,
die Seriosität von Quellen zu
beurteilen und das Gelesene mit dem bislang aufgebauten Wissen zu vergleichen, es so zu beurteilen. Aber nein, man übernimmt irgendeinen Schmarren eins zu
eins.
An
der Misere sind natürlich viele Gruppen
beteiligt: Klar gefällt es den Eltern, wenn ihnen erklärt wird, korrekte
Rechtschreibung sei kein hohes Bildungsziel mehr, höchstens eine Nebensache.
Und weichen Sie mal im Unterricht vom Lehrplan ab – der Anwalt irgendwelcher
Helikopter-Eltern wird sich freuen!
Originalität,
Fantasie oder Risikobereitschaft, wie Lesch sie fordert, stellen in der Lehramtsausbildung geradezu Ausschlusskriterien vom Staatsdienst
dar. Man muss einmal das gottähnliche Gebaren von Seminarlehrern erlebt haben, welche die Referendare auf die
momentan „richtige“ Methodik dressieren, um zu wissen: Was da nach dem 2.
Staatsexamen übrigbleibt, ist angepasst und wartet lieber auf Anweisungen.
Die
ganze Lehrerausbildung lebt von falschen Auswahlkriterien. Schon bei
der Zulassung zum Studium ist eben der Notendurchschnitt im Abiturzeugnis entscheidend und nicht
die Fähigkeit, die ich bei jedem Studienanfänger testen würde: Ob er aus dem
Stand einem Laien eine fachliche Tatsache einfach
erklären kann. So wie Harald Lesch.
Dann hätten wir in den Lehrerzimmern fantasiebegabte Wissens-Motivatoren statt angepasster Lehrplan-Umsetzer.
Ja,
„Something
is rotten in the state of Denmark“, wie der Physiker Lesch am Anfang
seines Videos zitiert und listig fragt: „Von
wem ist das?“
Na
klar, „Es ist was faul im Staate Dänemark“,
Shakespeare, Hamlet, weiß man doch.
Dass
es in dem Stück Marcellus nach dem
Erscheinen von Hamlets Geist sagt, habe ich allerdings gegoogelt.
Übrigens
benötigte Harald Lesch in der Schule
Förderunterricht in Mathematik, bis er in der Oberstufe bei einem Fahrradunfall
einen Schädelbasisbruch erlitt. Danach galt er in diesem Fach als hochbegabt.
Man
sieht also: Ein Schlag auf die Birne kann Geisteskräfte freisetzen!
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