Was ich nie vermutet
hätte: Der Text ist mit fast 2000 Zugriffen bis heute der mit
Abstand meistgelesene dieses Blogs!
Wie lustig: Da schreibt
man ketzerische Texte zur Bildung,
und was Schüler und Kollegen interessiert, ist ein Musteraufsätzchen!
Aber gut – meine Seite
hat sich ja der pädagogischen Lebenshilfe
verschrieben. Und im Germanistik-Studium
lernt man bekanntlich eine Menge Sprachwissenschaft,
nicht jedoch, selber einen guten Text
hinzubekommen…
Aber bevor ich nun wieder in Satire verfalle: Vorletztes Jahr durften die Prüflinge meines Bundeslandes ja etwas zum Thema verfassen. Ich habe es daher auch einmal probiert:
Aber bevor ich nun wieder in Satire verfalle: Vorletztes Jahr durften die Prüflinge meines Bundeslandes ja etwas zum Thema verfassen. Ich habe es daher auch einmal probiert:
Deutsch Bayern – Abiturprüfung 2018
Aufgabe 5: Materialgestütztes Verfassen eines
argumentierenden Textes
Variante 1: Erörtern
Sie Möglichkeiten und Grenzen der Satire! Beziehen Sie sich dabei auf Formen
der Satire in Wort und Bild! Nutzen Sie dazu die folgenden Materialien 1-9
sowie eigenes Wissen und eigene Erfahrungen!
Gliederung
A.
Einleitung
Satire:
Wie sich die Probleme wandeln
B.
Hauptteil
B
1. Möglichkeiten der Satire
1.1
Satire – kaum zu fassen
1.2 Der Vorzug des Unernstes
1.3 Satire: nicht zweckfrei
1.4 Idealismus als Waffe
B
2. Grenzen der Satire
2.1
Was ihr verboten ist
2.2 Lächeln oder Schärfe?
2.3 Gegen den Mainstream
B
3. Satire – eine Gratwanderung
C.
Schluss
Das
Beispiel Helmut Palmer
A. Satire: Wie sich die Probleme wandeln
Im
19. Jahrhundert war die Welt noch übersichtlich: Satire galt hierzulande als
unbotmäßiger Angriff auf die Obrigkeit, Schriftsteller wie Heinrich Heine
wurden verfolgt und mussten ins Exil flüchten. Das Verbot solcher Artikel oder
Karikaturen war normal, wie der Autor es in einem Text von 1827 andeutet, in
denen nur die Begriffe „Die deutschen Censoren“ und „Dummköpfe“ nicht gelöscht
sind (Mat. 8). Auch im wilhelminischen Kaiserreich konnte man für Unbotmäßiges noch
ins Gefängnis kommen, und nach einer kurzen Blüte dieser Kunstform in der Weimarer
Republik mit Autoren wie Kästner und Tucholsky war 1933 Schluss: Berufsverbote,
Haft oder sogar KZ drohten denen, welche auf die Freiheit des Wortes bestanden.
Erst
unter dem Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit des Grundgesetzes und einer
sehr liberalen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes konnte sich die
Satire im Nachkriegsdeutschland als „erlaubte“ Kunstform durchsetzen. Beliebt
ist sie jedoch bis heute eher bei denen, deren jeweilige Meinung sie vertritt.
Vom Rest wird ihr häufig die Wesensart bestritten: „Das ist doch keine Satire!“
Shitstorms gegen Kabarettisten wie Dieter Nuhr oder gar der Mordanschlag auf
die französische Zeitschrift „Charlie Hebdo“ beweisen: Es gibt auch heute noch „Unsagbares“!
Blogger
wie ich machen diese Erfahrung beinahe tagtäglich, selbst wenn ihre Satiren nur
einen Gesellschaftstanz wie den argentinischen Tango berühren. Mit heftigsten Anwürfen
wird man selten in der Sache, meist dagegen als Person angegriffen.
Legendär
ist das Wort von Kurt Tucholsky, wonach die Satire „alles darf“ (Mat. 5). Die
Frage ist nicht nur, ob er damit recht hat – sondern vor allem: Was sie
überhaupt erreichen kann.
B
1.1 Satire – kaum zu fassen
Der
Vorteil dieser Kunst ist vor allem, dass sie schwer zu fassen ist. Entzieht sie
sich doch – typisch Satire – einer genaueren Beschreibung oder gar Eingrenzung:
„Eine Definition für ‚Satire‘ existiert nicht“ schreibt der Jurist und Autor
Jan Hedde im SPIEGEL. Es gebe „keinen verbindlichen Katalog von Eigenschaften“,
den sie aufzuweisen habe. (Mat. 4).
Entsprechend
benötigt Gero von Wilpert in seinem „Sachwörterbuch der Literatur“ elf
Adjektive zu ihrer Charakterisierung: „sarkastisch, bissig, zornig, ernst,
pathetisch, ironisch, komisch, witzig, humoristisch, heiter, liebenswürdig“.
Immerhin ihr Ziel scheint fester umrissen: „durch Aufdeckung der Schäden eine
Besserung zu bewirken“. (Mat. 3).
Somit
ist es sicherlich eines der dümmsten Argumente gegen eine Satire, ihr zu
attestieren, keine zu sein. Diesen Kampf kann sie nur gewinnen.
B
1.2 Der Vorzug des Unernstes
Wie
Jan Hedde im SPIEGEL-Artikel schreibt, schafft diese Kunstform eine „Umgebung
des Unernsten“, in der Aussagen möglich seien, die im ernsten Rahmen
Widerspruch oder gar Gegenmaßnahmen provozieren würden. In ihrer Welt dürfe man
nicht auf eine Ordnung hoffen, die einem beistehe. (Mat. 4).
Überspitzung,
Pointe und Witz sind sicherlich die erfolgreichsten Waffen der Satire. Wer
ausgelacht wird, kann sich schwerlich ernsthaft verteidigen. Sie schafft stets
eine Gegenwelt zu herrschenden, als ungerecht empfundenen Verhältnissen, in der
man fabulieren und träumen darf. Einem „Faktencheck“ braucht sie sich nicht zu
stellen. Gegen den häufigen Vorwurf, „alles ins Lächerliche zu ziehen“, muss
sie sich nicht verteidigen – im Gegenteil: Ohne diese Eigenschaft würde sie
nicht wirken.
B
1.3 Satire: nicht zweckfrei
Die
Satire ist jedoch keine reine „Spaßmacher-Kunst“: „Der Witz ist für Satire das
Mittel, für Comedy der Zweck. Satire ist sich selbst nie genug. Satire ist
immer Satire auf etwas“, schreibt Jan Hedde (Mat. 4).
Dies
ist sicherlich ihre stärkste Option. Während der Komiker die Verhältnisse
erträglicher macht, indem er Späße treibt, will die Satire sie ändern. So wird
sie durchaus zur ernsten Gefahr der Herrschenden. Reglements, über die gelacht
wird, geraten in Gefahr, übertreten zu werden – ja schlimmer noch: Die Frage
aufzuwerfen, ob die Regierenden überhaupt noch die Richtigen seien.
In
den seltensten Fällen kann Satire allein zu politischen Veränderungen führen,
vermag jedoch oft ein Klima zu schaffen, in dem Probleme überhaupt erst bewusst
werden, man sich erlaubt, über Unbotmäßiges nachzudenken.
B.
1.4 Idealismus als Waffe
Glaubwürdig
wird diese Kunst vor allem durch ihren meist moralisch überzeugenden Ansatz: „Der
Satiriker ist ein gekränkter Idealist: Er will die Welt gut haben, sie ist
schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an“, schreibt Kurt Tucholsky.
(Mat.5) Hehre, uneigennützige Ziele wirken auf viele gewinnender als Selbstdarstellung
und Machtansprüche.
Sympathie
erwirbt sich die Satire auch dadurch, dass sie stets aus der Position des
Schwächeren agiert, sozusagen mit der Schleuder Davids den überlegenen Goliath
attackiert. Auf Schwächere einzuhauen ist daher keine Satire, sondern Zynismus –
eine ihrer wenigen Grenzen.
B
2.1 Was ihr verboten ist
„Darf“
Satire wirklich alles? Natürlich nicht, sagen Juristen wie der bekannte
Medienanwalt Christian Schertz: „Ein Blick in die Rechtsprechung ergibt, dass
die klare Antwort ‚Nein“ lauten muss.“ (Mat. 6). Die Grundrechte der Meinungs-
und Pressefreiheit konkurrieren selbstverständlich mit der verfassungsmäßig
ebenso geschützten Menschenwürde. Das Verbot einer staatlichen Vorzensur
bedeutet also nicht, dass „Schmähkritik“ nicht sanktioniert werden kann.
Entscheidend ist stets die Intention: Geht es vorwiegend um die Sache oder
darum, eine konkrete Person oder Menschengruppe herabzusetzen? Beleidigung oder
gar Volksverhetzung bleiben daher weiterhin verboten.
Gerade
bei „identifizierender Berichterstattung“, so der Deutsche Presserat, müsse
stets zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsschutz
derer abgewogen werden, die man persönlich attackiert. (Mat. 7)
Allerdings
steht unsere Rechtsprechung im Zweifel stets auf der Seite der Meinungsfreiheit
– erstaunlich liberale Grundsatzentscheidungen beweisen dies. So entschied das
Bundesverfassungsgericht, das Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ dürfe durchaus
legal verwendet werden.
B
2.2 Lächeln oder Schärfe?
Eine
andere Frage ist, wie sehr man das Publikum durch überzogene Schärfe „vergrätzt“.
Friedrich Schiller unterschied bereits „lachende und strafende Satire“. Die
Erstere meint sicherlich auch Georg Christoph Lichtenberg: „Die feinste Satire
ist unstreitig die, deren Spott mit so weniger Bosheit und so vieler
Überzeugung verbunden ist, dass er selbst diejenigen zum Lächeln nötigt, die er
trifft“. Jean Paul dagegen fordert, „die Toren, die man nicht bessern kann,
wenigstens zu bestrafen.“ (Mat. 2)
Gerade
Karikaturen sind ein wirksames Mittel der Satire, da Bilder mehr sagen als
viele Worte. So stellt Thomas Wizany eine satirische Vollstreckerin dar, die
auf den Delinquenten namens „guter Geschmack“ anlegt: „Darf ich?“, fragt sie. „Müssen
Sie?“, antwortet der. (Mat. 1) Eine wirksame Umschreibung des Problems!
Sicherlich
gibt es auch ungeschriebene Gesetze des guten Benehmens, Äußerungen, welche als
„unanständig“ empfunden werden. Diese Abwägung ist ein satirisches Dauerthema:
Formuliert man zu scharf und humorlos, verschreckt man die Leser. Setzt man zu
sehr auf Witz und Unterhaltung, gerät das angesprochene Problem in den
Hintergrund.
Nur:
Der häufig gegen diese Kunstform verwendete Satz, einem sei „das Lachen
vergangen“, senkt nicht die Wahrscheinlichkeit, es könnte sich um Satire
handeln. Im Gegenteil!
B.
2.3 Gegen den Mainstream
Die
entscheidende Grenze der Satire ist jedoch, dass sie häufig gegen den „Mainstream“
anschreibt, also Ansichten und Verhältnisse, die von einem Großteil als
akzeptabel, ja sogar attraktiv empfunden werden. Hier ein Nachdenken oder sogar
einen Umschwung zu bewirken ist ein schwieriges Geschäft:
„Wenn
ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen, und es klingt hohl, ist das allemal im
Buch?“, fragt der Satiriker Lichtenberg (Mat. 9).
Daher
arten Satiren nicht selten zu Publikumsbeschimpfungen aus – wie bei Kurt
Tucholsky, der die Masse als dumme „Griesbreifresser“ tituliert, die es dann
auch nicht besser verdienten.
Zweifellos
ist das Anrennen der Satiriker gegen Vorurteile und verholzte Einstellungen
mühsam und nicht immer erfolgversprechend.
B.
3 Satire – eine Gratwanderung
So
wohnt der Satiriker oft zwischen Baum und Borke: Er schreibt gegen etwas an,
was herrschende Vorstellung ist – entweder erzwungen oder sogar plebiszitär gerechtfertigt.
Ist er zu scharf, liefert er denen Munition, welche sein Tun als „respektlos“
bis „destruktiv“ denunzieren. Oder seine Texte gar nicht erst weiterlesen, da man
sie nicht lustig genug findet. Ihn im Extremfall sogar vor Gericht zerren oder gleich
ohne Verhandlung einsperren wie in vielen Ländern dieser Welt.
Ist
er hingegen zu unterhaltend, verlagert er die Aktivität vom Kopf auf die
Schenkel, welche dann ersatzweise beklopft werden. Die Missstände, welche er
beheben will, ändert er so nicht.
Um
auf Tucholsky zurückzukommen: Satire kann weniger, als sie darf.
Die
ganze Klaviatur ausgereizt hat eine Person, deren Biografie mich sehr
beeindruckt hat: Der schwäbische Obsthändler und Baumschnittexperte Helmut
Palmer (Vater des heutigen grünen Oberbürgermeisters von Tübingen, Boris
Palmer).
Mit
einem unglaublichen rhetorischen Talent hat sich der „Remstal-Rebell“ immer
wieder in die Politik eingemischt, propagierte ökologische Ideen schon in den
1950-er Jahren. Seine Reden und Zeitungsanzeigen waren voller satirischer
Großangriffe und auch Beleidigungen seiner Gegner, weswegen er oft mit der
Justiz in Konflikt kam.
Bei
etwa 300 Bürgermeister-, Landtags- und Bundestagswahlen kandidierte er, konnte jedoch
zwar Achtungserfolge, aber nie ein Mandat erringen. Erfolglos? Die Historiker
sind sich einig: Er hat bei vielen Menschen die Bereitschaft gefördert, sich
gegen zu viel staatliche Einmischung und einen trägen, autokratischen Beamtenapparat
zu wehren.
Das
Einzige, was er konkret erreichte: Die offenen Enden der Straßen-Leitplanken,
die oft zu schlimmen Unfällen führten, werden seither in Baden-Württemberg im
Boden versenkt – nachdem er öfters und unerlaubt selbst zur Tat geschritten
war.
Und seine zunächst verteufelte Methode zum Schnitt von Apfelbäumen ist nun anerkannt.
Und seine zunächst verteufelte Methode zum Schnitt von Apfelbäumen ist nun anerkannt.
P.S. Der reine Text (ohne Gliederung) hat 1464 Wörter.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.