Nun
hat sich auch der Westdeutsche Rundfunk
einen Shitstorm verdient – noch dazu
mit ziemlich schlichten Mitteln: Auf WDR2 veröffentlichte man kürzlich das
Video eines Kinderchors, welcher das alte Kinderlied „Meine Oma fährt im Hühnerstall
Motorrad“ mit neuem Text sang.
Dieser
karikiert die Oma nun als „alte Umweltsau“, da sie mit ihrem
Zweirad unter anderem „tausend Liter
Super jeden Monat“ verpulvere, „zwei
Opis mit Rollator“ überfahre und sich „jeden
Tag ein Kotelett“ aus billigem Discounterfleisch brate. Und obwohl in der
Schlusszeile dann (ironisch wegen ihrer Kreuzfahrten) festgestellt wird: „Meine
Oma ist doch keine Umweltsau“ lief die hierzulande bestens eingeübte
Empörungsmaschine an. In kurzer Zeit gab es auf Facebook über 15000 Kommentare –
in der Mehrzahl kritisch bis vernichtend:
Geschmacklos
und diskriminierend nannte man das – und als minimale Lösung wird die fristlose Entlassung der
Verantwortlichen gefordert. Skandalös sei es, die singenden Kinder instrumentalisiert zu haben – Pfui Deibel aber
auch!
Den
genauen Text kann man hier nachlesen:
Noch
lustiger wird es, wenn man die Quelle
des Kinderlieds genauer recherchiert:
Es
benützt den Refrain des 1922 von Robert
Steidl geschriebenen Rheinländers „Wir
versaufen unsrer Oma ihr klein Häuschen“. Der Text ist an den Foxtrott „Meine
Oma fährt Motorrad, ohne Bremse, ohne Licht“ von 1928 angelehnt.
Im Laufe der Zeit entstanden immer wieder neue Strophen, beispielsweise:
„Meine Oma hat ’nen
Nachttopf mit Beleuchtung …“
„Meine Oma hat ’nen
Pet[t]icoat aus Wellblech …“
„Meine Oma hat im
Strumpfband ’nen Revolver …“
Allerdings
stellt hier der Refrain der
Großmutter jeweils ein ehrendes (nicht ganz ironiefreies) Zeugnis aus:
„Meine Oma ist ’ne
ganz patente Frau.“
Das
Deutsche Volksliedarchiv in Freiburg
schreibt dazu:
„Es ist ein
Spiegelbild des spielerischen Vergnügens am Absurden und zugleich ein typisches
und virulentes Beispiel für jenes Liedgut, das sich parallel zur medial
geprägten Musikkultur des 20. Jahrhunderts entwickelt und mit einer
gewissen Eigendynamik beständig verändert.“
Ich
kann hierzu nur feststellen: Jahrzehntelang ist die Frauenfeindlichkeit und Altersdiskriminierung
des Machwerks niemandem aufgefallen. Die Kombination von Nachttopf über
blechernen Unterrock bis hin zu Strumpfbändern im James Bond-Stil sagt ja wohl
genug! Und wo blieb bitteschön der Empörungs-Feldzug der Tierfreunde? Hühnerstall statt Freilandhaltung – und dann
verängstigt man das Gefügel noch mit lautem Motorradlärm, überfährt vielleicht sogar
noch eins!
Wahrlich:
Solche Schmierfinken gehören geteert
und gefedert (na ja, letzteres vielleicht doch nicht, die armen Hühner…)
Im
Klartext: Dem deutschen „Empörialismus“
ist offenbar inzwischen kein Thema mehr zu dämlich für einen Shitstorm!
Klar
kann man darüber diskutieren, ob hier die Wortwahl „Umweltsau“ vielleicht zu
drastisch war – aber man vergleiche einmal, was sich Politiker in
Satiresendungen wie der „Heute Show“
alles sagen lassen müssen. Darüber regt man sich eher nicht auf. Und der Gag
funktioniert natürlich nur, wenn man das Lied einen Kinderchor singen lässt – das relativiert die Aussage. Zudem freuen
sich Menschen dieses Alters sehr, wenn sie einmal ganz öffentlich „unanständige
Wörter“ benützen dürfen!
Wie
viele Komödien geben den
Altersstarrsinn der Lächerlichkeit preis? Durch wie viele Fastnachtsreden geistert der Opa auf der Suche nach seinem
Zahnersatz? Das alles jetzt verbieten, die Intendanten rausschmeißen? Nein –
von Greta bis Oma gibt es am Theater sowohl das Rollenfach „jugendliche Naive“
wie „komische Alte“.
Wen
darf man heute mittels Satire noch
angreifen? Alte Menschen also nicht – wen dann? Kinder? Junge Leute? Menschen im
mittleren Alter?
Ach,
darf man alles, wenn nur die Richtung
stimmt! So kriege ich selber ja in Permanenz die „Oberlehrer-Schelte“ ab, man
attestiert mir, nur wegen altersbedingten Beschäftigungsmangels zu bloggen, und
auch das Stereotyp von den „heterosexuellen
alten weißen Männern“ durfte ich bereits genießen. Man hat sogar schon der Aussicht auf mein baldiges Ableben Ausdruck verliehen:
http://milongafuehrer.blogspot.com/2019/04/warten-auf-den-sensenmann.html
http://milongafuehrer.blogspot.com/2019/04/warten-auf-den-sensenmann.html
Allerdings
würde ich die Bezeichnung „alte Umweltsau“ zurückweisen:
Beispielsweise habe ich in 69 Jahren noch nie in einem Flugzeug gesessen und
fahre selten in Urlaub – jedoch nicht aus ökologischen Gründen, sondern, weil
ich mit Werner Schneyder der Ansicht
bin, Reise bilde nicht, sondern verwirre eher. Daher habe ich die Hoffnung, von
der „Deutschen Umwelthilfe“ mal mit einem Preis geehrt zu werden, längst
aufgegeben…
Deswegen
geht es bei der neuen deutschen
Empörungskultur keineswegs darum, Menschen vor Entgleisungen zu schützen –
nein: Wer in eine Richtung pöbelt, mit welcher man übereinstimmt, darf das natürlich, und wehe, man kritisiert das!
Reine Zensur, die Meinungsfreiheit ist in Gefahr, weil man „das ja nicht mehr sagen darf“!
Wird
in die falsche Richtung gehetzt, ist
freilich Schluss mit lustig: Sofort verbieten, rausschmeißen, teeren, federn…
(ach nein, hatten wir schon). Auch, wenn‘s nur Satire ist.
Und
ich bitte herzlich, mir nun nicht mit den „zwangsfinanzierten öffentlich-rechtlichen
Sendern“ zu kommen! Seit Jahrzehnten toleriere ich klaglos Sendungen
wie den „Musikantenstadel“ und bin
froh – anders als bei den „Privaten“ – nicht jede Viertelstunde mit Werbung
belästigt zu werden.
Daher
– auch wenn sich nun die letzten Facebook-Freunde von mir abwenden sollten: Wer
der Satire (ob nun gelungen oder
auch mal nicht so toll) an den Kragen will, kriegt es mit mir zu tun. Da lebe
ich mit Wonne meinen Altersstarrsinn aus!
Und
vielleicht kaufe ich mir morgen doch noch ein Feuerwerk – nur, damit sich gewisse Leute wieder aufregen können
und ich meinen Spaß dran habe…
Meinen
(verbliebenen) Lesern ein gutes Neues Jahr!