Montag, 9. Juli 2018

Es nuschelt und tschillert


In zwei bemerkenswerten Artikeln hat die „Süddeutsche Zeitung“ nun ein Thema aufgegriffen, das mich schon länger beschäftigt: Um den „guten Ton“ scheint es im „Tatort“ und anderen Unterhaltungsproduktionen immer weniger zu gehen. Man kriegt die Dialoge schlichtweg oft nicht mit.

Im Beitrag vom 2.6.18 gab man noch eher dem (älteren) Zuschauer die Schuld – Stichwort ungeeignete Empfangsgeräte plus deren Einstellung. Immerhin aber stellte man damals schon fest, es könnte eventuell auch an den Schauspielern respektive der Aufnahmetechnik liegen: Im Münchner Polizeiruf ‚Der Tod macht Engel aus uns allen‘ aus dem Jahr 2013 waren die Schauspieler kaum zu verstehen. Der Bayerische Rundfunk rechtfertigte die Tonprobleme so: Die Schauspieler hätten ohne konkrete Vorgaben ‚ihren improvisatorischen Spielimpulsen spontaner folgen‘ können.“

Zudem ist wohl eine gute Sprechtechnik dramaturgisch nicht mehr erwünscht, so der Sender: „Wenn Regisseure wie im Theater sprechen lassen, sind die Dialoge zwar verständlicher, dafür leidet unter Umständen die Glaubwürdigkeit der Inszenierung."
Folglich legt man Wert auf „authentisch-umgangssprachliche Dialoge, realistische Milieuschilderungen" und dialektgefärbte Gespräche".


Im Artikel vom 26.6.18 lässt man einen Zuschauer zu Wort kommen:  
„Der Hintergrundton überdeckt die Gespräche. Die Lautstärkewechsel (...) sind teilweise unerträglich." An seinem Gehör allein liege es nicht, „da andere Sendungen wie Nachrichten, Talkshows, Kommentare und Dokumentationen keine Probleme bereiten."

Nunmehr diskutiert man die Anpassung an die „Seherwartung der Kernzielgruppe der 14- bis 49-Jährigen“ mit  „dynamischen, kurz geschnittenen Szenenfolgen" und einer deutlich erhöhten Erzählgeschwindigkeit. Anders ist offenbar die schwindende Gruppe der Jüngeren nicht mehr an der Glotze zu halten. Und die Ollen sollten halt die Untertitel zuschalten.


Offenbar ging das Vertretern meiner Generation nun doch über die Hutschnur – heute veröffentlichte die SZ etliche Leserbriefe zum Thema:

Man regte sich schon einmal auf, pauschal als „Hör- und Sehgeschädigte beleidigt und diffamiert“ zu werden. Und weiter:

„Krimis sind bei uns schon seit längerer Zeit gestrichen, da auch hier die Musik wahnsinnig laut, die Dialoge meist nur genuschelt und die Bildfrequenzen meist viel zu schnell sind.“

Und früher ging es ja auch noch anders: „Vor Kurzem ein neuer Tatort mit der üblichen Unverständlichkeit von einem Drittel, unmittelbar darauf eine Tatortwiederholung von 1980 mit Bayrhammer/Fischer mit annähernd voller Verständlichkeit.“

„Müssen Wortbeiträge mit einem Lärm (ich weigere mich, so etwas Filmmusik zu nennen) übertüncht werden bis zur Unhörbarkeit?“

Und auch die „authentisch-umgangssprachlichen Dialoge“ bekommen ihr Fett ab:

„Das akustische Phänomen begann vor langer Zeit, als die Sparte Fernsehspiel sich vorgenommen hatte, den sogenannten Theaterton und seine künstlich ausgestellte Sprache abzuschaffen, um einer authentischen, beiläufigen Sprechweise Platz zu machen – dem Medium durchaus angemessen; auch im Theater selbst hat das ‚uneigentliche‘ Sprechen seinen Platz gefunden. Inzwischen jedoch hat man diese Sprechweise gnadenlos überkultiviert - die DarstellerInnen unterbieten sich geradezu darin, ihren Ton aufs Allerbeiläufigste herunterzudimmen und jeden noch so kleinen Spannungsbogen flachzunuscheln, wobei häufig die nicht stattgehabte Sprechausbildung leider als Qualität behauptet wird.“


Ich gestehe, dass meine nostalgisch-positiven Erinnerungen an die Reihe „Tatort“ noch auf Charakteren wie Hansjörg Felmy („Kommissar Haferkamp“) fußen. Seit viele der heutigen Ermittler fast so gebrochene Typen darstellen wie die von ihnen zu fassenden Ganoven, überzeugen mich Drehbücher und Charaktere immer weniger. Und wenn ich immer wieder sehen muss, wie statt des SEK eine junge Beamtin solo und mit vorgehaltener Waffe ins Verbrecherquartier stürmt, muss ich herzlich lachen anstatt vor Spannung zu erschauern.

Und es liegt bei den Schauspielern nicht an der „natürlichen Spielweise“, sondern schlichtweg daran, dass wohl Sprechtechnik an den Ausbildungsstätten nicht mehr besonders ernst genommen wird. Da schließe ich mich der „FAZ“ an, welche zum Thema schreibt: „Den Tonmeister des Films wird man für die Sprachqualität des ‚Tatorts‘ freilich kaum verantwortlich machen können. Vielleicht wäre ein Besuch beim Logopäden empfehlenswert.“


Und ich möchte mich gar nicht an dem seinem Namen leider nur bedingt Ehre machenden Til Schweiger alias „Nick Tschiller“ abarbeiten – wie man am folgenden Trailer sieht, spielen Dialoge in diesen Produktionen eh keine entscheidende Rolle:



Zudem „tschillert“ es in vielen Produktionen – am wenigsten übrigens beim Münsteraner „Tatort“ mit dem herrlichen „Cat and Dog“-Duo Börne und Thiel. Das Drehbuch ist so gut, dass man es doch nicht völlig vernuscheln und mit Musik totdröhnen möchte.

Apropos: Ohne das, was man wohl optimistisch für „Filmmusik“ hält, geht wohl gar nichts mehr. Da offenbar gerade jüngere Zuschauer die Bedeutung eines Dialogs nicht mehr ohne Weiteres ergründen können, pfeffert man über jeden Satz irgendein dümmliches Georgel, welches dann fallweise Dramatik, Trauer oder Brünstigkeit transportieren soll. Der genaue Text hat dann eh keine Chance mehr, was für manche Drehbuchautoren mit der Lebenserfahrung eines abgebrochenen Soziologiestudiums durchaus einen Gnadenerweis bedeuten kann.

Einen ähnlichen Effekt, den man als „Mickey Mousing“ bezeichnet, beobachtet man übrigens verstärkt bei Dokumentationen: „Eine Filmmusiktechnik, bei der Geschehnisse im Film punktgenau von Musik begleitet werden. Diese oftmals stark akzentuierten musikalischen Elemente finden in dieser Form vor allem in frühen Zeichentrickfilmen von Walt Disney Verwendung.“


Das hört sich dann eventuell so an:

„Die Sonne (bizzel, sprazzel), seit Milliarden von Jahren (orgel) Zentrum unseres heimischen Planetensystems (hui, zisch), mit der heimischen Erde als Hort unseres Lebens (fidel), hat sich wie das gesamte Universum (orgel) seit dem Urknall (rumms, wummer)…“
Dabei könnte ich mir mit begrenzter Fantasie durchaus vorstellen, dass der „Big Bang“ ziemlich heftig war!

Für Jungschauspieler könnte sich jedenfalls eine gute Sprecherziehung durchaus lohnen. Mühelos habe ich im Internet einfache Tipps wie den folgenden gefunden:



Abschließend gestehe ich gerne, ein „Sprach-Junkie“ zu sein: Gute Texte erhöhen meine Lebenserwartung, schlechte Rhetorik macht mich krank. Und nachdem ich mich zum Finden eines Beispielvideos durch schlimme Miesnuschel-Sequenzen quälen musste, sei mir abschließend etwas Kompensation erlaubt. Ja, ich weiß, total altmodisch – und vielleicht gerade daher eine Hommage an das, was uns Sprache geben kann:





1 Kommentar:

  1. Gelegentlich stellen auch große Schauspieler dieser „Gründgens-Generation" die Deutlichkeit des Wortes zugunsten von brillantem Tempo und sprechtechnischer Virtuosität zurück, so z.B. Will Quadflieg in dem berühmten Nacht-Monolog: https://www.youtube.com/watch?v=4sDFPY6IPH0.
    Vielleicht aber durften sie davon ausgehen, dass der Zuschauer mit Goethes „Faust"-Drama inhaltlich vertraut war?

    Wenn man in einer Oper die Arien-Texte nur schwer versteht, weil auch die beste Gesangstechnik der Verständlichkeit der Sprache in der Musik natürliche Grenzen setzt, wäre ein probates Hilfsmittel, sich vorher mit dem Libretto vertraut zu machen.

    Schwieriger wird es schon mit dem TV-Krimi!
    Aber – so zeigt es der obige Filmausschnitt ja überdeutlich – da gibt es ohnehin nicht viel zu verstehen, wenn denn einfach Fäuste und rohe Gewalt sprechen ...

    Wenn man angeblich um Authentizität in TV-Filmen bemüht ist, dann muss man auch in Betracht ziehen, dass die Sprache ein Kommunikationsmittel ist, das Botschaften authentisch (!) transportieren sollte.
    Genuschel übermittelt jedoch nichts, höchstens Gleichgültigkeit des Sprechers gegenüber seinem Gesprächspartner.

    Und zwischen manieriertem Bühnenpathos und einer kultivierten, verständlichen Sprechweise ist immer noch ein himmelweiter Unterschied.

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