Montag, 26. Dezember 2016

Unfrohe Weinnachten



Zu den Festtagen bekomme ich wieder viel Post – manchmal sogar mit interessanten „Jahresberichten“ von Freunden und Bekannten. Üblicherweise lautet die darin propagierte Grundstimmung in unserem Alter „Hauptsache gesund“ (was ich heftig bestreite). In diesem Jahr aber werden fallweise Katastrophenszenarien aufgemacht: Klar, der Syrienkrieg, die Flüchtlingskrise und der internationale Terrorismus, zuletzt nun sogar in unserer Bundeshauptstadt mit Todesopfern!

Gerade Lehrerkollegen können hierbei (trotz gesicherter Pension) ihr Naturtalent zum Jammern voll ausleben. So heißt es in einem Weihnachtsbrief:

„Wir sitzen in unserem (…), und in der Welt da draußen spielen sich Katastrophen ab. Geldgierigen ist es einerlei, wenn der Lebensraum der Menschen auf den Pazifischen Inseln im Meer versinkt. Der Klimawandel ist nur das Produkt der „Lügenpresse". Hauptsache, die Aktien steigen, wie Trump vorausgesagt hat. Machtgierigen ist es egal, dass Kinder im Schneegestöber fliehen, Väter in ihrer Heimat von neuen Besitzern abgeknallt werden, Mütter verzweifeln, da sie ihren Kindern nur Lehmkekse anbieten können und Größenwahnsinnige Menschen nach Religionen sortieren und über Leben bestimmen. Die Europaidee gerät ins Wanken, und wir können nur hoffen, vielleicht an einigen Stellen mithelfen, dass die Welt nicht zu einem unmenschlichen Planet wird.“

Ein anderer Kollege stellt fest:

„Hoffen wir nur, dass im nächsten Jahr der Friede im Vordergrund steht. Der war noch nie so bedroht.“

Da kamen mir die ersten Zweifel: Wie war das denn beispielsweise 1962 bei der Kubakrise, als die Welt kurz vor einem Atomkrieg stand? Ich war damals 11 Jahre und kann mich noch ansatzweise erinnern! Oder etliche Jahre später, als wir gegen den Vietnamkrieg auf die Straße gingen?

Aber es gibt ja inzwischen Statistiken für und gegen alles Mögliche. Wie steht es also heute mit Kriegsopfern, Diktatur, Verbrechen und sozialer Ungerechtigkeit? Einige Stunden Internet-Recherche brachten mir verblüffende Einsichten:

Demokratie auf dem Rückzug?

Die jüngste Entwicklung in der Türkei könnte das suggerieren. Tatsächlich sind zirka 60 Prozent der Staaten auf dieser Welt mehr oder weniger demokratisch verfasst. Nach dem „Demokratieindex“ der Zeitschrift „The economist“ hat sich das in den letzten 10 Jahren kaum verändert. Unter 167 Ländern belegt Norwegen Platz 1, Deutschland Rang 13, und das Schlusslicht Nordkorea überrascht wohl niemanden.
Quellen:

Mord und Totschlag zunehmend?

Bei uns gab es nach einem Maximum Anfang der 1990-er Jahre (5,2 Taten pro 100000 Einwohner) einen kontinuierlichen Rückgang auf derzeit etwa 2,7. Damit liegen wir auf einem der untersten Plätze weltweit – bei einer Aufklärungsquote um die 95 Prozent!
Der gefährlichste Aufenthaltsort, gerade für Frauen, ist das eigene Heim, da dort meist die Beziehungstaten stattfinden.
Im Schnitt starben europaweit in den letzten 20 Jahren 48 Menschen jährlich an einem Terroranschlag – statistisch ist also wahrscheinlicher, auf einer Autofahrt von uns aus nach Nizza tödlich zu verunglücken als dort einem Anschlag zum Opfer zu fallen!

Das Beste, was wir zur Ahndung von Verbrechen gegen das Leben tun könnten, wäre nicht eine Verschärfung der Strafen, sondern die längst fällige bundeseinheitliche Regelung der Leichenschau: Nach vorsichtigen Schätzungen bleibt nämlich mindestens jedes zweite Opfer von Mord, Vernachlässigung oder medizinischer Fehlbehandlung unentdeckt!

Immer mehr Kriegsopfer?

Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Maximum von 600000 Toten (Koreakrieg 1950) nie mehr erreicht. Große Anstiege waren vor allem um 1970 zu verzeichnen (400000 im Bangladesch-Krieg), um 250000 Opfer jährlich zu Zeiten des 1. Golfkriegs, am Anfang der 1990-er Jahre zirka 170000 im 2. Golfkrieg, Ende der 1990-er Jahre etwa 150000 im 2. Kongokrieg.
Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends wurde ein absoluter Tiefststand mit etwa 20000 Kriegstoten pro Jahr verzeichnet, seit 2011 nun wegen des Syrienkriegs eine Opferzahl von rund 70000 jährlich.

Allein im 1. Weltkrieg fielen vor Verdun und in der Schlacht an der Somme jeweils über 300000 Soldaten!

Eine Unzahl statistischer Daten liefert der amerikanische Hobby-Historiker Matthew White in seinem Online-Werk „Atrocitology“. Danach waren die opferreichsten 7 Kriege in der Menschheitsgeschichte (nach der Zahl der gefallenen Soldaten):

2. Weltkrieg (1939-45): 20 Millionen
1. Weltkrieg (1914-18): 8,5 Millionen
Koreakrieg (1950-53): 1,2 Millionen
Chinesischer Bürgerkrieg (1945-49): 1,2 Millionen
Vietnamkrieg (1965-73): 1,2 Millionen
Erster Golfkrieg (1980-88): 0,85 Millionen
Russischer Bürgerkrieg (1918-21): 0,8 Millionen

Allerdings steigt der Anteil der getöteten Zivilisten unentwegt: Im 2. Weltkrieg waren es schätzungsweise zwei Drittel, was die Zahl der Opfer auf gut 60 Millionen ansteigen ließ.

Der Autor bemerkt dazu sarkastisch: „In einem Krieg ist die Armee der sicherste Ort.“

Übrigens hat sich historisch keine andere Religion so viele Scharmützel mit Andersgläubigen geliefert wie das Christentum – die Opfer waren allerdings an erster Stelle andere christliche Konfessionen, erst danach kamen Muslims und Juden!


Bekanntlich sind all diese Kriege schon ein paar Jahre her… und in Europa herrscht nun – einmalig in der Geschichte – seit über 70 Jahren Friede!

Wachsende soziale Ungerechtigkeit?

Ohne Kommentar dazu zwei Statistiken, die mich wirklich verblüfften:

Deutschland: staatliche Ausgaben pro Einwohner und Jahr für Sozialsysteme

1950: 73 €
1970: 335 €
1980: 2819 €
1990: 4357 €
2000: 6244 €
2010: 7659 €


„Die obersten 10 Prozent der Einkommensteuerpflichtigen hatten im Jahr 2011 einen Anteil von 54,6 Prozent am gesamten Lohn- und Einkommensteueraufkommen. Bei den untersten 50 Prozent waren es lediglich 5,4 Prozent.“


(Nebenbei ist mir schon auch klar, dass dies nur die direkten Steuern betrifft – aber Ärmere zahlen wohl wegen des geringeren Konsums auch weniger Verbrauchssteuern wie Mehrwertsteuer etc.)

Vielleicht muss man ein Zitat aus einem der heurigen Weihnachtsbriefe vom Kopf auf die Füße stellen:

 „So konzentrieren sich Jung und Alt auf (wenn vorhanden) das private Glück. Schließlich erleben wir die weltweiten Katastrophen meist nur medial, also noch weit entfernt von unserem Alltag.“

Könnte es eher sein, dass wir heute jeden negativen Vorfall auf der Welt binnen 5 Minuten auf dem Smartphone haben, während die Nachricht früher der nächste Frachter nach 3 Monaten brachte – wenn überhaupt?

Was mich besonders fuchtig macht: Die Autoren solcher Apokalyptik sind Empfänger einer nicht unerheblichen und sicheren Pension des Höheren Dienstes, ihre Kinder durften studieren, was und wo sie wollten, die ganze Welt bereisen und haben inzwischen einen sicheren Arbeitsplatz! Wäre das nicht Grund für ein paar weihnachtliche Zeilen der Dankbarkeit?

Ehrlich gesagt bin ich froh, dass solche Kollegen inzwischen nicht mehr die Gelegenheit haben, ihre Schüler mit derartig unfrohen Botschaften zu versorgen, anstatt ihnen den Optimismus zu lehren, die Welt habe es verdient, sich für Gutes zu engagieren!

Abschließend für kleine Jammerpausen (strengt ja an) eine Fernsehempfehlung:

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