Ausnahmsweise
dürfen nun Sie als Lehrer (oder sonstwie Erziehender) eine kleine Prüfung
absolvieren: Nachfolgend einige Beispiele aus meiner Unterrichtspraxis, zu
denen ich Ihnen jeweils vier Reaktionsmöglichkeiten vorschlage.
Nach
dem Lesen der Frage sollten Sie nicht länger als jeweils eine Minute brauchen, um zu einer Entscheidung zu gelangen.
Bedenken Sie das Motto:
„Ein
Manager entscheidet schnell, sicher und falsch!“
1.
Wegen einer plötzlichen Erkrankung in der Familie werden Sie
daheim noch aufgehalten und können nicht
pünktlich starten. Das ist Ihnen umso unangenehmer, als Sie in der ersten
Stunde eine Klasse haben, in der immer wieder Schüler mit allen möglichen
Ausreden zu spät kommen. Wie entscheiden Sie sich?
1.a Sie melden sich kurz vor acht Uhr für
diesen Tag telefonisch arbeitsunfähig.
1.b Sie rufen in der Schule an und sagen
die erste Stunde wegen der Erkrankung des Familienmitglieds ab.
1.c Sie kommen mit fünfzehn Minuten
Verspätung in der Klasse an und erklären den Schülern genau den Grund für Ihre
Unpünktlichkeit.
1.d Sie gehen in der Schule zuerst ins
Lehrerzimmer, ruhen sich dort fünf Minuten aus und beginnen nach zwanzig
Minuten kommentarlos mit Ihrem Unterricht.
2.
Wie verbringen Sie Ihre Pausen an einem Tag mit sechs Stunden?
2.a Sie studieren Ihre Vorbereitungen für
die nächsten Klassen.
2.b Sie erledigen längst fällige
Unterredungen mit Kollegen.
2.c Sie ziehen sich in einen abgelegenen
Raum zurück, wo Sie Getränke sowie einen Recorder mit Ihrer Lieblingsmusik
deponiert haben.
2.d Sie sitzen in der Teeküche und
beteiligen sich an Diskussionen über schulische Themen.
3.
Kollege X ist wegen seiner unheilbar chaotischen Arbeitsweise
(hält keine Termine ein, hat ständig Sonderwünsche) hinlänglich bekannt und verrufen.
Nun bittet er sie, nächste Woche auf eine Unterrichtsstunde zu verzichten, da
er diese dringend noch zur Vorbereitung auf eine Prüfung brauche. Das brächte
aber Ihre Planung durcheinander. Wie verhalten Sie sich?
3.a Sie verweigern Ihre Zustimmung mit
Hinweis auf die prekäre Situation Ihrer Stoffeinteilung.
3.b Sie sagen zu, weisen Ihre Klasse aber
an, in der betreffenden Stunde zu Ihnen in den Unterricht zu kommen.
3.c Schweren Herzens sagen Sie ja, nehmen
sich aber vor, mit dem Kollegen zu geeigneter Zeit über seine Unzuverlässigkeit
zu sprechen.
3.d Sie geben ihm gerne Ihre Stunde, da Sie
ja dann frei haben.
4.
In der Pause werden Sie ins Sekretariat geholt. Ein Vater sei am
Telefon, der sich bei Ihnen über eine kürzlich gegen seinen Sohn ausgesprochene
Sanktion beschweren wolle. Aus beruflichen Gründen könne er nicht in Ihre
Sprechstunde kommen. Was jetzt?
4.a Sie teilen Ihm persönlich mit, dass Sie
nur zum regulären Termin Zeit hätten.
4.b Sie lassen ihm ausrichten, dass Sie
derzeit verhindert seien, für berufstätige Eltern jedoch – nach vorheriger
Anmeldung – freitags zwischen 19 und 20 Uhr in der Schule erreichbar wären.
4.c Schweren Herzens opfern Sie Ihre Pause
für das Gespräch, um die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen.
4.d Sie lassen dem Vater mitteilen, er möge
sich gleich an den Schulleiter wenden.
5.
Auf Umwegen wird Ihnen zugetragen, dass Kollegin Y schon
wiederholt mit Ihrer Klasse über Ihre „viel zu autoritären“ Unterrichtsmethoden
diskutiert hat. Was tun Sie?
5.a Gar nichts – soll sie doch reden, worüber sie will!
5.b Sie führen im Gegenzug ein Gespräch mit
Ihren Schülern über Frau Y.
5.c Sie vereinbaren mit dieser Lehrkraft
einen Gesprächstermin und machen ihr ultimativ klar, dass Sie ihr Verhalten
nicht hinnehmen.
5.d Sie beschweren sich gleich über die
Kollegin beim Schulleiter.
6.
Sie haben die Hefte Ihrer Klasse eingesammelt und korrigiert. In
einigen Fällen haben Sie unzureichende und schlampige Einträge durchgestrichen
und mit dem Vermerk „nochmals“ versehen. Einer dieser Schüler legt Ihnen in der
Folgestunde seine Unterlagen vor. Darin findet sich nach Ihrem Auftrag eine
Notiz des Vaters: Er habe seinen Sohn angewiesen, den durchgestrichenen Text
nicht erneut zu schreiben, da er Ihre Maßnahme für überzogen halte. Wie
reagieren Sie?
6.a Gar nicht. Sollen die beiden doch
selber sehen, was sie davon haben!
6.b Sie bestehen nicht auf Ihrer Anweisung,
prüfen den Stoff aber in der Folge schriftlich mit der ausdrücklichen Maßgabe,
dass die äußere Form der Arbeit mit bewertet werde. Bei Verstößen setzen Sie
die Note herab.
6.c Sie erneuern Ihre Anweisung mit der
Bemerkung, dass Ihre schulischen Entscheidungen nicht zur Disposition der
Eltern ständen. Widrigenfalls würden Sie zu „amtlichen“ Sanktionen (z.B. „Nachsitzen“)
greifen.
6.d Sie bestellen den Vater in Ihre
Sprechstunde, um ihm die Behinderung Ihrer Erziehungsarbeit vorzuhalten.
7.
Der Schüler G ist der Albtraum aller Lehrer: Dumm, frech und
faul – sein Papi zudem Rechtsanwalt und Elternbeiratsvorsitzender. Dank dieser
Kombination hat er es bis in Ihre Klasse geschafft. Als Sie einen schriftlichen
Test abhalten, schaut er – Ihrem Eindruck nach – deutlich in die Arbeit seines
Nachbarn. Wenn Sie ihm jetzt die Angabe wegnehmen und wegen „Unterschleifs“
(vulgo: Spickens) eine Sechs erteilen, können Sie sich auf einen kleinen
Weltuntergang gefasst machen: Wie schon bei ähnlichen Vorkommnissen mit
Kollegen werden Vater und Sohn sich lauthals beschweren. Ersterer dürfte nicht
nur juristisch gegen die Schule zu Felde ziehen. Und da der junge Herr in der
Klasse einen dominierenden Einfluss hat, wird er genug „Zeugen“ finden, die
„nichts bemerkt“ haben. Ihr Entschluss?
7.a Da für Sie hier Aufwand und Effekt in
keinem Verhältnis stehen, „übersehen“ Sie das Vorkommnis.
7.b Sie versetzen daraufhin G junior auf
einen Platz, der wegen der Isolation ein weiteres Abgucken deutlich erschwert.
7.c Sie warnen ihn ultimativ vor weiteren
Blicken zum Nachbarn und erteilen Ihm im Wiederholungsfall einen Spicksechser.
7.d Da er nach Ihrem Eindruck klar
abschreiben wollte, kriegt er diese Sanktion sofort.
Halt,
Sie wollen doch nicht selber spicken? Erstmal schön die Aufgaben bearbeiten!
Lösungen:
1.
Verspätung:
1.d zeugt von Souveränität und Ruhe und ist daher die beste
Lösung. Ganz kurzfristige Krankmeldungen (1.a und b) kommen bei
Schulorganisatoren schlecht an – und die erstellen Ihren nächsten Stundenplan!
1.c billigt den Schülern eine Gleichrangigkeit zu, die gefährlich werden kann.
Unpünktliche Schüler haben sich bei Ihnen zu entschuldigen – nicht umgekehrt!
2.
Pausengestaltung:
An einem Tag mit so vielen Stunden brauchen Sie die
unterrichtsfreie Zeit unbedingt zum Abschalten – daher ist Rückzug angesagt:
2.c. Alle anderen Varianten führen zu einer Stress-Steigerung, die Sie in solchen
Situationen überhaupt nicht brauchen können!
3.
Kollegialer
Sonderwunsch:
Möglichkeit 3.c ist völlig für die Katz – einen unheilbaren
Chaoten können Sie nicht therapieren, sondern lediglich Ihre Zeit verschwenden!
3.a bringt Ihnen auch nur Stress, da Sie solche Zeitgenossen gerne in endlose
Diskussionen verwickeln, bis Sie endlich „weich gekocht“ sind oder noch Ärger
abkriegen. 3.d ist unprofessionell – wenn Sie die Stunde brauchen, müssen Sie
diese auch halten! Alternative 3.b bringt noch am meisten: Wenn der Kollege
sich nicht an Zusagen hält, warum sollten Sie es tun? Und wenn er dann wütend in
der Klasse erscheint und seine Stunde fordert, steht er vor den Schülern als
Unsympath da und nicht Sie – zudem besteht die Hoffnung, dass Sie nach diesem
Erlebnis mit Ansprüchen verschont werden!
4.
Dringender
Elternanruf:
Es schlägt nur dann bei Ihnen ein, wenn Sie zu nahe am
Blitzableiter stehen – also keinesfalls selber ans Telefon gehen (4.a/4.c)! Wenn Sie den Vater zum Chef umleiten,
erhöhen Sie grundlos seinen Rang (4.d) – keine Angst, darauf kommt der Herr im
Zweifel leider auch allein… 4.b dagegen bewirkt, dass er Ihnen keine
Verweigerung des Gesprächs vorwerfen kann – und dennoch bleibt Ihnen die
persönliche Debatte höchstwahrscheinlich erspart. (Keine Bange: Ärger werden
Sie in jedem Fall kriegen – aber so minimieren Sie wenigstens Ihren
Arbeitsaufwand…)
5.
Kritik
von Kollegin Y:
Hierbei handelt es sich um eine ernsthafte Attacke auf Ihre
Ranghöhe, da sich die Dame den Schülern gegenüber als Ihnen übergeordnet
darstellt. Nachdem dies schon mehrfach passierte, kann man auch nicht von einem
„Ausrutscher“ ausgehen, sondern von einer längerfristigen Strategie. Dies
sollten Sie nicht tatenlos hinnehmen (5.a). Beteiligen Sie die Schüler (5.b),
so billigen Sie diesen eine „Schiedsrichterrolle“ zu, was gar nicht geht.
Gleich zum Chef zu rennen, bringt Ihnen den Vorwurf des Querulantentums ein,
wobei Sie sich zudem einem höheren Urteil unterstellen (5.d)! Überdies dürfte
es dort auf ein kalorienarmes „Sowohl-als-auch-Gesabbel“ hinauslaufen... Hier
hilft nur der direkte Rangordnungskampf (5.c) – weitere Konsequenzen ja nicht
ausgeschlossen!
6.
Väterlicher
Hefteintrag:
Dieses Verhalten von Eltern ist wirklich eine unsägliche
Zumutung! Was würden die eigentlich sagen, wenn Sie sich per Anweisung ins
familiäre Privatleben einmischten? Sie können diesen Eingriff in Ihre
schulische Kompetenz nicht tatenlos hinnehmen (6.a). Wenn Sie dem Schüler mit
offiziellen Sanktionen drohen (6.c), stürzen Sie ihn in einen
Loyalitätskonflikt – seinen eventuell noch vorhandenen guten Willen erledigen
Sie so endgültig. Und die Sprechstunde (6.d)? Wenn ein Vater sich derartiges
erdreistet, wird er entweder gar nicht erscheinen oder die Gelegenheit
ergreifen, sich bei Ihnen nochmal als „pädagogischer Robin Hood“ aufzuspielen.
Viel Vergnügen! Die beste der schlechten Möglichkeiten: Sie reduzieren das
Problem auf seinen Kern: Mit schlampiger Darstellung wird die Leistung
gemindert – und der schlechten Note muss dann der Vater hinterherhecheln:
Lösung 6.b.
7.
Prominenter
Abschreiber:
Wenn Sie die Sache übersehen (7.a), fällt Ihr Ansehen ins
Bodenlose – nicht nur beim Schüler G, sondern wegen Ihres Kneifens vor allem
vor der restlichen Klasse, bei der G mit seiner „Heldentat“ hinterher angeben
dürfte. Bei 7.b ermöglichen Sie eine juristische Debatte: Hat er nun gespickt
oder nicht? Im ersten Fall hätten Sie ihm die Sechs geben müssen, ansonsten
haben Sie einen „Unschuldigen“ während der Arbeit gestört und diskriminiert.
(Und was, wenn die Sache bei den anderen Schülern Mode wird? Haben Sie so viele
freie Plätze?) 7.c und 7.d sind
gleichwertige Lösungen: Wenn Sie G sofort abstrafen, ist das eine
Tatsachenentscheidung, gegen welche der Vater rechtlich keine Chance hat. Bei
einem Rest an Zweifel können Sie genauso gut eine letzte Warnung aussprechen
und dann umso überzeugender die Sanktion verhängen. Den folgenden Ärger müssen
Sie eben aushalten. Zum Trost: Selbst wenn Papi Ihren Chef „weich klopfen“
sollte, hat dieser es, je nach betreffender Schulordnung, auch nicht ganz
leicht, Ihren Spicksechser per Dienstanweisung zu kassieren (und kriegt
eventuell noch Probleme mit dem Kollegium). Und das Schönste: Ihr mutiges
Eingreifen wird sich herumsprechen und Ihnen auf längere Sicht Schwierigkeiten
dieser Art ersparen…
Feedback:
Wahrscheinlich
sind Sie bei einzelnen (vielleicht sogar allen) Fragen zu anderen Lösungen
gekommen oder hatten sogar eine ganz andere Idee, das jeweilige Problem zu
lösen. Prima, Gratulation!
Schlimmer
wäre es, wenn Sie meine Vorschläge relativiert hätten nach dem Motto „kommt halt darauf an“, „müsste man noch genauer klären“ oder gar
„würde ich erst mit Kollegen besprechen“.
Bedenken Sie den anfänglich zitierten Manager-Spruch und entscheiden Sie
rasch, klar und sicher! Ob es – nachträglich betrachtet – vielleicht
geeignetere Varianten gegeben hätte, ist dem gegenüber unbedeutend. Das
Schlimmste in der Erziehung besteht darin, Probleme zu verschleppen und nach
längerer Haarspaltung jegliche Option eines adäquaten Verhaltens zu verspielen.
Fazit: Seien Sie kein „Mamüma-Lehrer“ („man
müsste mal“)!
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