Montag, 24. August 2015

Lernzielkontrolle



Ausnahmsweise dürfen nun Sie als Lehrer (oder sonstwie Erziehender) eine kleine Prüfung absolvieren: Nachfolgend einige Beispiele aus meiner Unterrichtspraxis, zu denen ich Ihnen jeweils vier Reaktionsmöglichkeiten vorschlage.

Nach dem Lesen der Frage sollten Sie nicht länger als jeweils eine Minute brauchen, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Bedenken Sie das Motto:
„Ein Manager entscheidet schnell, sicher und falsch!“

1.    Wegen einer plötzlichen Erkrankung in der Familie werden Sie daheim noch aufgehalten und  können nicht pünktlich starten. Das ist Ihnen umso unangenehmer, als Sie in der ersten Stunde eine Klasse haben, in der immer wieder Schüler mit allen möglichen Ausreden zu spät kommen. Wie entscheiden Sie sich?

1.a Sie melden sich kurz vor acht Uhr für diesen Tag telefonisch arbeitsunfähig.
1.b Sie rufen in der Schule an und sagen die erste Stunde wegen der Erkrankung des Familienmitglieds ab.
1.c Sie kommen mit fünfzehn Minuten Verspätung in der Klasse an und erklären den Schülern genau den Grund für Ihre Unpünktlichkeit.
1.d Sie gehen in der Schule zuerst ins Lehrerzimmer, ruhen sich dort fünf Minuten aus und beginnen nach zwanzig Minuten kommentarlos mit Ihrem Unterricht.

2.    Wie verbringen Sie Ihre Pausen an einem Tag mit sechs Stunden?

2.a Sie studieren Ihre Vorbereitungen für die nächsten Klassen.
2.b Sie erledigen längst fällige Unterredungen mit Kollegen.
2.c Sie ziehen sich in einen abgelegenen Raum zurück, wo Sie Getränke sowie einen Recorder mit Ihrer Lieblingsmusik deponiert haben.
2.d Sie sitzen in der Teeküche und beteiligen sich an Diskussionen über schulische Themen.

3.    Kollege X ist wegen seiner unheilbar chaotischen Arbeitsweise (hält keine Termine ein, hat ständig Sonderwünsche) hinlänglich bekannt und verrufen. Nun bittet er sie, nächste Woche auf eine Unterrichtsstunde zu verzichten, da er diese dringend noch zur Vorbereitung auf eine Prüfung brauche. Das brächte aber Ihre Planung durcheinander. Wie verhalten Sie sich?

3.a Sie verweigern Ihre Zustimmung mit Hinweis auf die prekäre Situation Ihrer Stoffeinteilung.
3.b Sie sagen zu, weisen Ihre Klasse aber an, in der betreffenden Stunde zu Ihnen in den Unterricht zu kommen.
3.c Schweren Herzens sagen Sie ja, nehmen sich aber vor, mit dem Kollegen zu geeigneter Zeit über seine Unzuverlässigkeit zu sprechen.
3.d Sie geben ihm gerne Ihre Stunde, da Sie ja dann frei haben.

4.    In der Pause werden Sie ins Sekretariat geholt. Ein Vater sei am Telefon, der sich bei Ihnen über eine kürzlich gegen seinen Sohn ausgesprochene Sanktion beschweren wolle. Aus beruflichen Gründen könne er nicht in Ihre Sprechstunde kommen. Was jetzt?
4.a Sie teilen Ihm persönlich mit, dass Sie nur zum regulären Termin Zeit hätten.
4.b Sie lassen ihm ausrichten, dass Sie derzeit verhindert seien, für berufstätige Eltern jedoch – nach vorheriger Anmeldung – freitags zwischen 19 und 20 Uhr in der Schule erreichbar wären.
4.c Schweren Herzens opfern Sie Ihre Pause für das Gespräch, um die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen.
4.d Sie lassen dem Vater mitteilen, er möge sich gleich an den Schulleiter wenden.

5.    Auf Umwegen wird Ihnen zugetragen, dass Kollegin Y schon wiederholt mit Ihrer Klasse über Ihre „viel zu autoritären“ Unterrichtsmethoden diskutiert hat. Was tun Sie?

5.a Gar nichts – soll sie doch reden, worüber sie will!
5.b Sie führen im Gegenzug ein Gespräch mit Ihren Schülern über Frau Y.
5.c Sie vereinbaren mit dieser Lehrkraft einen Gesprächstermin und machen ihr ultimativ klar, dass Sie ihr Verhalten nicht hinnehmen.
5.d Sie beschweren sich gleich über die Kollegin beim Schulleiter.

6.    Sie haben die Hefte Ihrer Klasse eingesammelt und korrigiert. In einigen Fällen haben Sie unzureichende und schlampige Einträge durchgestrichen und mit dem Vermerk „nochmals“ versehen. Einer dieser Schüler legt Ihnen in der Folgestunde seine Unterlagen vor. Darin findet sich nach Ihrem Auftrag eine Notiz des Vaters: Er habe seinen Sohn angewiesen, den durchgestrichenen Text nicht erneut zu schreiben, da er Ihre Maßnahme für überzogen halte. Wie reagieren Sie?

6.a Gar nicht. Sollen die beiden doch selber sehen, was sie davon haben!
6.b Sie bestehen nicht auf Ihrer Anweisung, prüfen den Stoff aber in der Folge schriftlich mit der ausdrücklichen Maßgabe, dass die äußere Form der Arbeit mit bewertet werde. Bei Verstößen setzen Sie die Note herab.
6.c Sie erneuern Ihre Anweisung mit der Bemerkung, dass Ihre schulischen Entscheidungen nicht zur Disposition der Eltern ständen. Widrigenfalls würden Sie zu „amtlichen“ Sanktionen (z.B. „Nachsitzen“) greifen.
6.d Sie bestellen den Vater in Ihre Sprechstunde, um ihm die Behinderung Ihrer Erziehungsarbeit vorzuhalten.

7.    Der Schüler G ist der Albtraum aller Lehrer: Dumm, frech und faul – sein Papi zudem Rechtsanwalt und Elternbeiratsvorsitzender. Dank dieser Kombination hat er es bis in Ihre Klasse geschafft. Als Sie einen schriftlichen Test abhalten, schaut er – Ihrem Eindruck nach – deutlich in die Arbeit seines Nachbarn. Wenn Sie ihm jetzt die Angabe wegnehmen und wegen „Unterschleifs“ (vulgo: Spickens) eine Sechs erteilen, können Sie sich auf einen kleinen Weltuntergang gefasst machen: Wie schon bei ähnlichen Vorkommnissen mit Kollegen werden Vater und Sohn sich lauthals beschweren. Ersterer dürfte nicht nur juristisch gegen die Schule zu Felde ziehen. Und da der junge Herr in der Klasse einen dominierenden Einfluss hat, wird er genug „Zeugen“ finden, die „nichts bemerkt“ haben. Ihr Entschluss?

7.a Da für Sie hier Aufwand und Effekt in keinem Verhältnis stehen, „übersehen“ Sie das Vorkommnis.
7.b Sie versetzen daraufhin G junior auf einen Platz, der wegen der Isolation ein weiteres Abgucken deutlich erschwert.
7.c Sie warnen ihn ultimativ vor weiteren Blicken zum Nachbarn und erteilen Ihm im Wiederholungsfall einen Spicksechser.
7.d Da er nach Ihrem Eindruck klar abschreiben wollte, kriegt er diese Sanktion sofort.

Halt, Sie wollen doch nicht selber spicken? Erstmal schön die Aufgaben bearbeiten!

Lösungen:

1.    Verspätung:
1.d zeugt von Souveränität und Ruhe und ist daher die beste Lösung. Ganz kurzfristige Krankmeldungen (1.a und b) kommen bei Schulorganisatoren schlecht an – und die erstellen Ihren nächsten Stundenplan! 1.c billigt den Schülern eine Gleichrangigkeit zu, die gefährlich werden kann. Unpünktliche Schüler haben sich bei Ihnen zu entschuldigen – nicht umgekehrt!
2.    Pausengestaltung:
An einem Tag mit so vielen Stunden brauchen Sie die unterrichtsfreie Zeit unbedingt zum Abschalten – daher ist Rückzug angesagt: 2.c. Alle anderen Varianten führen zu einer Stress-Steigerung, die Sie in solchen Situationen überhaupt nicht brauchen können!
3.    Kollegialer Sonderwunsch:
Möglichkeit 3.c ist völlig für die Katz – einen unheilbaren Chaoten können Sie nicht therapieren, sondern lediglich Ihre Zeit verschwenden! 3.a bringt Ihnen auch nur Stress, da Sie solche Zeitgenossen gerne in endlose Diskussionen verwickeln, bis Sie endlich „weich gekocht“ sind oder noch Ärger abkriegen. 3.d ist unprofessionell – wenn Sie die Stunde brauchen, müssen Sie diese auch halten! Alternative 3.b bringt noch am meisten: Wenn der Kollege sich nicht an Zusagen hält, warum sollten Sie es tun? Und wenn er dann wütend in der Klasse erscheint und seine Stunde fordert, steht er vor den Schülern als Unsympath da und nicht Sie – zudem besteht die Hoffnung, dass Sie nach diesem Erlebnis mit Ansprüchen verschont werden!

4.    Dringender Elternanruf:
Es schlägt nur dann bei Ihnen ein, wenn Sie zu nahe am Blitzableiter stehen – also keinesfalls selber ans Telefon gehen (4.a/4.c)! Wenn Sie den Vater zum Chef umleiten, erhöhen Sie grundlos seinen Rang (4.d) – keine Angst, darauf kommt der Herr im Zweifel leider auch allein… 4.b dagegen bewirkt, dass er Ihnen keine Verweigerung des Gesprächs vorwerfen kann – und dennoch bleibt Ihnen die persönliche Debatte höchstwahrscheinlich erspart. (Keine Bange: Ärger werden Sie in jedem Fall kriegen – aber so minimieren Sie wenigstens Ihren Arbeitsaufwand…)

5.    Kritik von Kollegin Y:
Hierbei handelt es sich um eine ernsthafte Attacke auf Ihre Ranghöhe, da sich die Dame den Schülern gegenüber als Ihnen übergeordnet darstellt. Nachdem dies schon mehrfach passierte, kann man auch nicht von einem „Ausrutscher“ ausgehen, sondern von einer längerfristigen Strategie. Dies sollten Sie nicht tatenlos hinnehmen (5.a). Beteiligen Sie die Schüler (5.b), so billigen Sie diesen eine „Schiedsrichterrolle“ zu, was gar nicht geht. Gleich zum Chef zu rennen, bringt Ihnen den Vorwurf des Querulantentums ein, wobei Sie sich zudem einem höheren Urteil unterstellen (5.d)! Überdies dürfte es dort auf ein kalorienarmes „Sowohl-als-auch-Gesabbel“ hinauslaufen... Hier hilft nur der direkte Rangordnungskampf (5.c) – weitere Konsequenzen ja nicht ausgeschlossen!

6.    Väterlicher Hefteintrag:
Dieses Verhalten von Eltern ist wirklich eine unsägliche Zumutung! Was würden die eigentlich sagen, wenn Sie sich per Anweisung ins familiäre Privatleben einmischten? Sie können diesen Eingriff in Ihre schulische Kompetenz nicht tatenlos hinnehmen (6.a). Wenn Sie dem Schüler mit offiziellen Sanktionen drohen (6.c), stürzen Sie ihn in einen Loyalitätskonflikt – seinen eventuell noch vorhandenen guten Willen erledigen Sie so endgültig. Und die Sprechstunde (6.d)? Wenn ein Vater sich derartiges erdreistet, wird er entweder gar nicht erscheinen oder die Gelegenheit ergreifen, sich bei Ihnen nochmal als „pädagogischer Robin Hood“ aufzuspielen. Viel Vergnügen! Die beste der schlechten Möglichkeiten: Sie reduzieren das Problem auf seinen Kern: Mit schlampiger Darstellung wird die Leistung gemindert – und der schlechten Note muss dann der Vater hinterherhecheln: Lösung 6.b.

7.    Prominenter Abschreiber:
Wenn Sie die Sache übersehen (7.a), fällt Ihr Ansehen ins Bodenlose – nicht nur beim Schüler G, sondern wegen Ihres Kneifens vor allem vor der restlichen Klasse, bei der G mit seiner „Heldentat“ hinterher angeben dürfte. Bei 7.b ermöglichen Sie eine juristische Debatte: Hat er nun gespickt oder nicht? Im ersten Fall hätten Sie ihm die Sechs geben müssen, ansonsten haben Sie einen „Unschuldigen“ während der Arbeit gestört und diskriminiert. (Und was, wenn die Sache bei den anderen Schülern Mode wird? Haben Sie so viele freie Plätze?)  7.c und 7.d sind gleichwertige Lösungen: Wenn Sie G sofort abstrafen, ist das eine Tatsachenentscheidung, gegen welche der Vater rechtlich keine Chance hat. Bei einem Rest an Zweifel können Sie genauso gut eine letzte Warnung aussprechen und dann umso überzeugender die Sanktion verhängen. Den folgenden Ärger müssen Sie eben aushalten. Zum Trost: Selbst wenn Papi Ihren Chef „weich klopfen“ sollte, hat dieser es, je nach betreffender Schulordnung, auch nicht ganz leicht, Ihren Spicksechser per Dienstanweisung zu kassieren (und kriegt eventuell noch Probleme mit dem Kollegium). Und das Schönste: Ihr mutiges Eingreifen wird sich herumsprechen und Ihnen auf längere Sicht Schwierigkeiten dieser Art ersparen…

Feedback:

Wahrscheinlich sind Sie bei einzelnen (vielleicht sogar allen) Fragen zu anderen Lösungen gekommen oder hatten sogar eine ganz andere Idee, das jeweilige Problem zu lösen. Prima, Gratulation!

Schlimmer wäre es, wenn Sie meine Vorschläge relativiert hätten nach dem Motto „kommt halt darauf an“, „müsste man noch genauer klären“ oder gar „würde ich erst mit Kollegen besprechen“. Bedenken Sie den anfänglich zitierten Manager-Spruch und entscheiden Sie rasch, klar und sicher! Ob es – nachträglich betrachtet – vielleicht geeignetere Varianten gegeben hätte, ist dem gegenüber unbedeutend. Das Schlimmste in der Erziehung besteht darin, Probleme zu verschleppen und nach längerer Haarspaltung jegliche Option eines adäquaten Verhaltens zu verspielen.

Fazit: Seien Sie kein „Mamüma-Lehrer“ („man müsste mal“)!

P.S. Schleichwerbung: Weitere Testfragen sowie natürlich Kapitel zu den Hintergründen (z.B. Entscheidungsverhalten, Zeitmanagement) finden Sie in meinem Buch „Der bitterböse Lehrer-Retter“!

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