Montag, 31. Oktober 2016

Irrweg Hochschulstudium



Die „Xing-Bildungsnews“ lieferten mir heute einen sehr aufschlussreichen Artikel von Dr. Rainer Zitelmann. Der Autor gilt als führender Immobilienexperte und brachte bereits 18 Bücher heraus. Der studierte Historiker hat Erfahrungen auf ganz verschiedenen Berufsfeldern wie Journalismus, Lektorat, Versicherungswesen sowie unternehmerische Tätigkeit: https://de.wikipedia.org/wiki/Rainer_Zitelmann

Er befasst sich in dem Beitrag mit der Illusion, ein Hochschulstudium sei auf jeden Fall erstrebenswert und garantiere höchste Bildung sowie Verdienstaussichten: „Ich habe als Unternehmer über viele Jahre Hochschulabsolventen, die sich bei unserer Firma beworben haben, einen kleinen Ausschnitt des LSAT-Tests durchführen lassen, den Hochschulbewerber in den USA absolvieren müssen. Die meisten sind durchgefallen.“ (LSAT: „Law School Admission Test“ – überprüft Leseverständnis sowie logische und argumentative Begabungen von Studienbewerbern)

„Bei mündlichen Tests merkte ich, dass viele Bewerber Textpassagen auswendig gelernt hatten - für mich ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie die Inhalte nicht verstanden. Heute wird an den Universitäten viel auswendig gelernt, denn das ist die Methode für diejenigen, die intellektuell nicht in der Lage sind, Sachzusammenhänge zu verstehen.

Bereits als Dozent an der FU Berlin Ende der 80er bzw. Anfang der 90er Jahre war ich beim Lesen vieler Hausarbeiten und Abschlussarbeiten verzweifelt. Ich fühlte mich so ähnlich wie ein hochmusikalischer Mensch, der den ganzen Tag Anfängern zuhören muss, wie sie auf einem hoffnungslos verstimmten Klavier spielen. Sätze fangen irgendwo an und hören nirgendwo auf, sind logisch nicht stimmig und zeugen eigentlich nur davon, dass der Student nicht richtig verstanden hat, was er da überhaupt schreibt.“

Beim Lesen dieser Zeilen musste ich an die letzte Folge von Günther Jauchs „Das große Zocker-Special“ vom 28.10.16 denken:

Zweifel am universitären Bildungsniveau konnten einem schon kommen, wenn da als Telefonjoker ein leibhaftiger Kunstprofessor „Josef K.“ nicht mit Franz Kafka und schon gar nicht mit dessen bekanntestem Werk, „Der Prozess“, verbinden kann.

Wie der Herr, so‘s Gescherr: Ebenfalls ahnungslos war ein Kandidat bei der Frage:

„Bei den Früchten welches Baums handelt es sich um Flügelnüsse?“
-       Birke
-       Eichel
-       Pappel
-       Fichte“

Aber die Rettung nahte ja in Form eines Studenten des Forst-Ingenieurwesens im 5. Semester als Publikums-Kandidat: Das müsse wohl „zu 70 Prozent“ die Fichte sein!

Nun muss vielleicht nicht mal ein angehender Fachmann auf genanntem Gebiet wissen, dass man die kleinen, mit einem dünnen Rand versehenen Bummerl der Birke „Flügelnüsse“ heißt. Wer allerdings als Hochschulstudent in einem zumindest botanisch beeinflussten Fach keine Ahnung davon hat, dass natürlich Fichten als Vertreter der Nacktsamigen Pflanzen („Gymnospermen“) überhaupt keine Früchte haben können, muss sich schon fragen lassen, was er an einer Hochschule überhaupt will… und die Hochschule, was sie ihm bietet! Vielleicht könnten die dortigen Professores wieder einmal mehr Wert auf Zusammenhänge statt Auswendiggelerntem legen – auch auf die Gefahr hin, damit die Mehrheit ihrer Klientel zu überfordern… (Als ehemaliger mündlicher Prüfer in Staatsexamina weiß ich ungefähr, wovon ich da spreche…)

Da wundern einen die von Zitelmann zitierten Zahlen dann nicht mehr:

„Im Jahr 2000 studierten 33% eines Jahrgangs, heute sind es 59%.“ (…) „Bis zu 50% brechen ihr Studium ab Dass immer mehr junge Menschen Abitur machen und studieren, ist weder eine Folge davon noch hat es dazu geführt, dass die Zahl der begabten und intelligenten Menschen gleichermaßen gestiegen wäre. 60.000 bis 75.000 Studenten brechen jedes Jahr ihr Studium ab, das sind 28 Prozent. In Fächern wie Bauingenieurwesen und Mathematik, wo man sich mit ‚labern‘ nicht durchmogeln kann, liegt die Abbruchquote bei etwa 50 Prozent.“

Auf der Hochschulseite sieht der Autor ein falsches Anreizsystem und zitiert dazu die „Welt am Sonntag“: „Jede Hochschule, die einen neuen Studienplatz meldet, bekommt dafür derzeit 26.000 Euro überwiesen - ganz gleich, ob der Student auf diesem Platz sein Studium erfolgreich abschließen wird oder nach einem Semester wieder abbricht. Viele Hochschulen öffnen ihre Tore, kassieren und kümmern sich dann wenig um ihre Studenten."

Und selbst die, welche einen Abschluss schaffen, müssen sich anschließend oft mit „Eingangsgehältern unter 2000 Euro monatlich“ oder „befristeten Verträgen“ abfinden – und ich füge hinzu: nicht selten auch mit minderqualifizierten Jobs oder gar Arbeitslosigkeit.

So kann man Zitelmanns Folgerung nur zustimmen: „Ein Studium ist eine tolle Sache - ich habe sehr gerne studiert. Aber es eignet sich eben nicht für jeden, und wahrscheinlich nicht einmal für meisten jungen Menschen als Einstieg in das Berufsleben.“

Genüsslich weist der Autor auf das Buch von Woody Woodward „Millionaire Droupouts. Inspiring Stories of the World's Most Successful Failures" hin: Viele höchst erfolgreiche Unternehmer und Selbstständige haben weder Abitur noch gar ein Hochschulstudium vorzuweisen. Aber selbst deutsche BWL-Studenten würden auf unternehmerische Themen nicht vorbereitet – und auf der anderen Seite seien in diesem Sommer noch 172000 Lehrstellen unbesetzt.

Aber in Deutschland gilt offenbar nur der etwas, welcher einen Schein vorweisen kann: Abitur oder, noch besser, einen Studienabschluss. Dass selbiger Schein dann oft genug trügt, wird ignoriert – und erst recht derjenige, welcher sich als Autodidakt in eine Sache vertieft hat und vielleicht gar (man wagt das Wort kaum noch auszusprechen) über eine herausragende Begabung verfügt. Wenn er dann die Schar der universitären Diplominhaber in den Schatten stellt, gilt dies bestenfalls als Betriebsunfall…

Der Komödienautor Curt Goetz beschreibt in „Frauenarzt Dr. Prätorius“ einen solchen Fall: „Was man ihm nicht verzeiht, ist, dass er mit Mitteln arbeitet, die in Apotheken nicht erhältlich, mit Methoden, die streberhaft nicht erlernbar sind, sondern persönliche Fähigkeiten voraussetzen, von denen man zwar Proben, aber keine Prüfungen ablegen kann.“

Den gesamten Text des Artikels findet man hier:

Und noch der Link zum neuesten Buch des Autors:

Schnell noch als Zusammenfassung für nicht eben textsichere Abiturienten:
Die Kombination „sauberer Bürojob + hohes Gehalt + von nichts ‘ne Ahnung“ ist selten!

P.S. Mich erinnert dieses Thema auch an den Bau unseres Wintergartens von 20 Jahren: Einen Architekten fanden wir sofort – allerdings erst nach Wochen zähen Ringens einen Maurermeister, der uns das Fundament lieferte. In dieser Zeit wären wir wohl locker an hundert Bauingenieure gekommen… Und Monteure, um das Ding aufzustellen? Das dauerte einige Monate!

Donnerstag, 29. September 2016

Karin Law Robinson-Riedl: Wie viel ist Bildung wert?



Ein entschlossener Ruck am Tischtuch, und schon sitzt der Sprössling inmitten der heruntergefallenen, interessanten Gegenstände, um sie genüsslich zu inspizieren – meist wenig zur Freude seiner Eltern…

Wie ungerecht ist das! Erweckt doch diese Aktion des Kleinen die schönsten Hoffnungen bezüglich seiner Anlagen: Wissbegier, Forscherdrang, Entschlossenheit und Intelligenz beim Streben nach „Höherem“.

Wie glücklich wären die Erwachsenen, wenn diese Energie erhalten bliebe!

Jahre später Gespräche wie: „Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?“ – „Nein.“ – „Warum nicht?“ – „Langweiliges Zeug.“ – „Was ist‘s denn?“ – „Lektüre lesen.“ – „Welche denn?“ – „Evi Briest.“ – „Als wir das in der Schule gelesen haben, hieß die aber noch ‚Effi Briest‘“. – „Von mir aus, dann halt ‚Effi‘. Ändert nix – is immer noch ätzend. Leute wie da vorkommen, gibt’s eh nicht.“ – „Aber damals doch! Und viele Probleme, um die es da geht, gibt’s eben schon noch.“

Hoffnungslos: der Schüler der 12. Klasse des Gymnasiums wird sich eher nicht überzeugen lassen. Bis zu dem Tag der Sendung „Wer wird Millionär?“, in der ein Kandidat schlagartig alle seine finanziellen Sorgen loswerden konnte, durch die Beantwortung der Frage: „Wo fand Baron Innstetten die Liebesbriefe, die Major Crampas an seine Frau Effi geschrieben hatte?“ – „In ihrem Nähkasten.“

Das überzeugt: Wissen bringt Kohle.

Also doch die ganzen alten Schwarten lesen? Bewahre! Man kann sich das Ganze inzwischen locker in 11 Minuten reinziehen:

Effi Briest to go“ - dafür lässt man jeden Kaffee kalt werden. Literatur extra light in Fast Food-Manier und auf Playmobil-Niveau.

Fazit: Wissen muss materiell „was bringen“ und schnell zu erwerben sein!

Stimmt: Das erwähnte neugierige Kleinkind hat sich seine „Lerninhalte“ auch schnell beschafft, aber – wenn es denn nicht von den Eltern vermutlich gebremst worden wäre – hätte es sich anschließend gemütlich über jene hergemacht, sie genau untersucht, seine Fantasie daran entzündet.

Wo ist dieser Eifer geblieben? Wer oder was hat ihn wann erstickt?

Klar, die ganz natürliche Entwicklung der Kinder verändert sie. Ablehnende Coolness gegen das, was die Erwachsenen tun, gehört dazu, ja muss sein, um die eigene Rolle zu finden.

Aber wie steht es mit dem Umfeld? Was tut die Erwachsenenwelt selbst, um Wissen, ja Bildung ganz allgemein, attraktiv zu machen? Wie gehen wir mit unserer Bildung um?

Lehrer, die klassischen Vermittler von Bildung, wenn sie nicht gleich als „faule Säcke“ abgestempelt werden, haben gegenüber anderen Berufsgruppen ein eher unterirdisches gesellschaftliches Image. Entweder sind sie die ewigen Besserwisser oder sie können den Besserverdienenden eh nicht das Wasser reichen.

Lerninhalte aller Fachrichtungen werden in zeitlichen Abständen immer wieder gerne kritisch betrachtet und dann, gemessen an aktuellem Bedarf an Wissen, als „Ballast“ abgestempelt, worauf man die Lehrpläne „entrümpelt“. Die Schule soll keine Zeit mit „Totem Wissen“ verschwenden.

Ich erteile zwar einer nötigen Aktualisierung und Anpassung an moderne Lebensumstände, auf die Jugendliche vorzubereiten sind, ausdrücklich keine Absage!

Aber muss auch diese Diktion dabei sein, diese arrogante Abwertung von Inhalten, welche die Jugendlichen nur zu gerne aufnehmen, um ihren Frust über schwierige, mühevolles und langsames Erarbeiten erfordernde Inhalte zu begründen? Wobei ihnen dann auch noch gesellschaftliche, bis in die höchsten Kreise reichende Akzeptanz sicher ist.

Bildung verliert offenbar ihren unanfechtbaren Status. Sie wird zunehmend verhandelbar, nach Kriterien der Nützlichkeit, die sich oft genug am (materiellen) Gewinn orientieren.

Die persönliche Karriere unterstützt es, wenn man „den Durchblick hat“.
Das Ansehen können Bücher wie „Latein für Angeber“ fördern, wenn man in gewissen Kreisen reüssieren will, aber eben kein Latein hatte…
Arbeitgeber wünschen sich vielleicht eher den unkritischen, loyalen Angestellten, der seine Aufgaben erfüllt, ohne viel zu hinterfragen.

Wie groß oder klein ist da noch der Schritt zum unkritischen, da nicht gebildeten Bürger, der manipulier- und unterwerfbar ist?

Bildung ist in unserem Land – verglichen mit anderen Regionen dieser Erde (!) – sehr bequem und kostengünstig zu haben. Vielleicht zu bequem, so dass sie nicht mehr als erstrebenswert gilt.

Wie peinlich ist es eigentlich, dass wir Bildung und ihre Inhalte in unserer seit über 70 Jahren in Frieden lebenden Gesellschaft überhaupt bewerten, anzweifeln, abqualifizieren, ja sie in Wort und Tat herabsetzen?

Müssen wir uns erst von einem jungen, vom Leben wahrhaftig hart geprüften Mädchen wecken lassen, das genau weiß, was Bildung bedeutet?

„Ein Kind, eine Lehrkraft, ein Stift und ein Buch können die Welt verändern. Bildung ist die einzige Lösung.“
(die jüngste Trägerin des Friedensnobelpreises, Malala Yousafzai, vor der UN-Generalversammlung am 12. Juli 2013)


Ich freue mich sehr, dass meine Frau die Zeit für diesen Gastbeitrag gefunden hat.
Hinzufügen möchte ich noch:

Liebe Politiker, Bildungsreformer, Schulleiter und andere Nicht-Lehrer,

das ganze Gedüdel um die x-te Neufassung von Lehrplänen, den aktuellsten Trend der Methodik, die ultimative Strukturreform ist sinnlos, wenn Lehrer eines nicht überzeugt und selbstbewusst vermitteln:

Bildung ist ein Wert an sich und nicht nur billige Kompetenz-Beschaffung für die Berufs- und Arbeitswelt, Party-Plaudereien oder Gewinnspiele.

Haben wir noch solche Lehrer?

Und wenn ja: Lasst sie in Ruhe!