Freitag, 31. Juli 2020

KV – der Nächste!

Von einer über 60-jährigen Lehrkraft (mit Vorerkrankungen) erhielt ich das KMS (Kultusministerielle Schreiben) vom 24.7.2020 – also eine Dienstanweisung aus dem bayerischen Kultusministerium. Der Hintergrund: Der Kollege wollte im kommenden Schuljahr aus Gesundheitsgründen nicht in den Präsenzunterricht.

Da ich dessen Chancen beurteilen sollte, durfte ich mich mit der Sache beschäftigen:



Nun könnte man der Ansicht sein, als über 60-Jähriger gehöre man schon aus Altersgründen zur Corona-Risiko-Fraktion. Nach der aktuellen Statistik der Robert Koch-Instituts steigt die Zahl der Todesfälle an oder mit dem Virus an der 60-er Grenze sprunghaft.  

Zahl der Todesfälle in Deutschland:
50-59 Jahre.: 327
60-69 Jahre: 884
d.h. Anstieg um das 2,7-fache!

Wer unsere Schulbehörden kennt, ahnt schon: Das reicht bei weitem nicht!

Zwar ist zunächst unter Punkt 1 von Lehrkräften die Rede, welche „aufgrund von Schwangerschaft oder bzw. gesundheitlicher Disposition nicht im Präsenzunterricht eingesetzt werden können“. Als alter Obergefreiter ahnt man aber: Das dicke Ende kommt nach – hier unter Ziffer 2 und 3.

Dann also zu Punkt 2:

„Grundsätzlich“, so lesen wir zunächst mit Erstaunen, werde man durch „das Einhalten des Mindestabstands von 1,50 Metern zu den Schülerinnen und Schülern sowie anderen Personen geschützt“. Ja, das kann nur jemand auf die realen Verhältnisse an den Schulen beziehen, der schon viele Jahre nicht mehr an einer solchen war. Aber hierfür steht in Kultusministerien genügend Personal bereit.

Tröstlich ist jedoch:
„Gleichwohl kann in Einzelfällen in Abhängigkeit vom Vorliegen individueller Risikofaktoren der Bedarf bestehen, dem individuellen Schutzbedürfnis von Lehrkräften und sonstigem Personal mit besonderen Maßnahmen zu begegnen.“

Merke aber: Eine wohl etwas großzügigere Regelung für Lehrkräfte über 60 wird nicht fortgesetzt. Und: Auch eine Schwerbehinderung allein ist kein Grund, dem Präsenzunterricht zu entgehen.

Aber es kommt noch dicker:
Die Gefährdung einer Lehrkraft, „die aufgrund ihrer persönlichen Disposition ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung trägt“, hat diese natürlich schon mal selber nachzuweisen. Verlangt wird „eine individuelle Risikofaktorenbewertung“ durch die behandelnden Ärzte, welche „Vorschläge zu unterbreiten haben, mit welchen Mitteln dieser (Schutzbedürftigkeit) im Rahmen eines Einsatzes im Präsenzunterricht Rechnung getragen werden könnte.“

Wenn ich es also bis dahin richtig lese: Am Präsenzunterricht führt kaum ein Weg vorbei, die Mediziner sollen nur unterbreiten", wie man den Lehrer in diesem Rahmen vorm Schlimmsten bewahren könnte. Und klar – Ärzte sind Experten auf dem Gebiet von Schulorganisation und Unterrichtsgestaltung…

Da zu einer richtigen Satire auch ein Schuss Zynismus gehört, wird noch angemerkt: Die Lehrer könnten sich ja bei Bedarf noch mit „FFP2-Masken (ohne Ausatemventil)“ sowie einem „Visier“ eindecken – wohl auf eigene Kosten. Tja, früher, im Krieg, bekam man vom Staat wenigstens noch die Waffen gestellt…

Welche Erleichterungen sind für betroffene Kollegen sonst noch denkbar? Auch darüber hat man sich im Kultusministerium Gedanken gemacht:

Die Lehrkraft könne ja „zeitlich versetzt zu den Schülerinnen und Schülern den Raum“ betreten und verlassen sowie „auf das Betreten des Lehrerzimmers“ verzichten. Jawoll, das habe ich in meiner aktiven Dienstzeit schon ohne Corona versucht – nur muss einem dann halt die Schule den Vertretungsplan und die übrigen dienstlichen Bekanntmachungen elektronisch zusenden sowie den Inhalt des Postfachs (in desinfiziertem Umschlag) gelegentlich zuschicken…

Ach ja, und auch Pausenaufsichten sowie Konferenzen könne man eventuell schwänzen. Ein Lichtblick!

Und wenn’s denn gar nicht geht? Nun, dann müsse die Lehrkraft eben eine ärztliche Bescheinigung darüber vorlegen. Wie oft diese als ausreichend bewertet wird, kann man sich nach dem ganzen Vorlauf denken… Man beachte aber: Die gilt längstens 3 Monate, dann muss eine neue her! Sicher – schwere Systemerkrankungen wie Herzschwäche, Lungenkrankheiten, Immunschwäche oder Krebs treten ja bekanntlich eher saisonal auf…

Was man sich staatlicherseits von dem Ganzen erwartet, wird unter Punkt 4 auch offen zugegeben: Die Zahl der „nicht im Präsenzunterricht eingesetzten Lehrkräfte“ werde „deutlich zurückgehen“. Das ist ja Sinn und Zweck dieser Anordnung.

Mir fiel bei der Lektüre dieser Dienstanweisung eine Formulierung ein, von der mir mein Vater erzählte. Als das teure Vaterland Soldaten brauchte – und es leider durch die Verluste immer weniger davon gab, wurde die Musterung allmählich zur Formsache: Man nahm jeden, der nicht bei Drei auf dem Baum war. Nach kurzer Ansicht des nackerten Kandidaten schnarrte der Stabsarzt: „KV, der Nächste!“ KV, also „kriegsverwendungsfähig“ war praktisch jeder.

Ich gestehe, sehr froh zu sein, mich solchen Musterungen – ob früher oder heute – nicht aussetzen zu müssen. Wobei – schrecklicher Gedanke – man vielleicht bei weiterem Personalmangel auf uns Pensionisten zurückgreift? War ja gegen Ende des letzten Krieges auch so…

Nein, da bin ich wild entschlossen: Dem Gestellungsbefehl zum „pädagogischen Volkssturm“ würde ich mich durch Flucht entziehen!

Notfalls sogar nach Argentinien, wegen des Tango. Dort sind derzeit wohl Touristen mit Barausstattung nicht unbeliebt. Die Argentinier haben zudem schon nach der Hitlerzeit nicht an Deutschland ausgeliefert. Und ich könnte ihnen bei der Gelegenheit den Unterschied zwischen Piazzolla und Piazolo erklären!

Sonntag, 12. Juli 2020

Dichtung und Wahrheit


„Trotz Corona haben die bayerischen Absolventinnen und Absolventen in diesem Jahr ein hervorragendes Abitur abgelegt. ‚Ich freue mich sehr, dass die diesjährigen Abiturientinnen und Abiturienten so tolle Ergebnisse erzielt haben. Wir haben unseren Unterricht im Vorfeld der Prüfungen ausschließlich auf die Kernfächer konzentriert: Das hat sich bezahlt gemacht. Die Absolventinnen und Absolventen können stolz sein, dass sie ein vollwertiges und anspruchsvolles Abitur mit so guten Ergebnissen abgelegt haben‘, so Kultusminister Michael Piazolo.

Die rund 35 000 Absolventen haben einen Abiturschnitt von 2,25 erzielt, ein guter Schnitt, der die Resultate der vergangenen Jahre sogar leicht übertrifft (2019: 2,29 / 2018: 2,28). Der Anteil der Spitzenabsolventen mit einem Notendurchschnitt von 1,0 lag mit 2,61 Prozent sogar deutlich höher als in den letzten Jahren (2019: 2,24 Prozent / 2018: 2,38 Prozent). Die Bestehensquote war mit 97,46 Prozent ähnlich hoch wie der Schnitt der letzten Abiturjahrgänge (2019: 96,21 Prozent / 2018: 96,59 Prozent).

Insgesamt bewegen sich die Ergebnisse über die einzelnen Fächer hinweg also im oberen Mittel der vergangenen Jahre.“

(Pressemitteilung Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus)

(„Bayerns Abiturienten trotzen Corona – bessere Ergebnisse als 2019“

„Ich bin der Prodekan,
Man sieht mir's gar nicht an;
Jedoch die Fakultät,
Die was davon versteht,
Schickt imanimiter
Mich immer hin und her,
Als Prüfungskommissär,
Als Prüfungskommissär.

Beim Prüfen bin ich Wüterich,
Da schone keine Seele ich;
Doch wenn er Protektionen hat,
Der Kandidat, da schweig' ich fein,
Das trägt was ein. (…)

Heut müssen wir uns klug benehmen,
Diplomatisch allen uns bequemen.
Merken wir, dass man ihn protegiert,
Wird der Kandidat gleich approbiert.
Sollte er auch als Kamel sich zeigen,
Werden wir zu jeder Dummheit schweigen.
Wenn es gilt, recht bieg- und schmiegsam sein,
Das trägt was ein, das trägt was ein!

Herr Kollega, was meinen Sie?
Mit ein' Federstrich,
Hofrat Sie und ich!
Herr Kollega, was glauben Sie?
Vorderhand Ordensband –
Sie, das wär' charmant! (…)

Mich als Prüfungskommissär
schickt man immer hin und her,
als Kommissär nur hin und her
und hin und her und hin und her.“

(Die Professoren Süffle und Würmchen in der Operette „Der Vogelhändler“; Musik: Carl Zeller, Text: Moritz West und Ludwig Held, 1891)