Montag, 18. Februar 2019

Hole Propaganda auf unterster Niveastufe


Auf das Thema kam ich eher zufällig, als ich mich mit dem höchst geliebten „Gender-Sprech“ beschäftigte. Unter anderem stieß ich dabei auf ein Buch von Birgit Kelle: „Gender Gaga: Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will.“

Ich werde das Werk wohl demnächst einmal rezensieren – nach den Leseproben erscheint es mir witzig und flott geschrieben. Aber darum geht es hier nicht.

Vorerst dient es mir einfach als Beispiel für ein Druckerzeugnis, in welchem ein Autor bestimmte Ideen, welche von „Mainstream“ oder gar „Political Correctness“ eher entfernt liegen, überzeugt vertritt. Noch schlimmer: Seine Thesen mit Ironie oder gar Satire würzt (und da weiß ich, wovon ich spreche…) – völlig egal, ob er dabei über Tango, „Gender Mainstreaming“, Verschwörungstheoretiker oder Impfgegner schreibt. Die angesprochene Fraktion muss nur genügend ideologisiert sein. 

Das Resultat fällt dann bei „Amazon“ stets zweigipfelig aus: Neben einer großen Zahl sehr guter Bewertungen (5 Punkte) finden sich ziemlich viele äußerst schlechte (1 Stern), dazwischen ist wenig.

So auch beim Werk von Birgit Kelle: Von den 130 Kundenrezensionen erbringen 68 Prozent die Höchstwertung, 24 Prozent die schlechteste, dazwischen (2, 3 und 4 Sterne) liegen schlappe 8 Prozent.

Ich habe mir nun die 31 Verrisse einzeln angesehen: Offenbar existiert inzwischen – völlig unabhängig vom Thema – eine Liste stets ähnlicher Textbausteine, welche die Negativ-Werter abzuarbeiten haben.

Daher meine Tipps zum Bücher-Niedermachen (bei den Zitaten habe ich Verstöße gegen Rechtschreibregeln sowie Ausdrucksschwächen gekennzeichnet):

·         Ja nicht unter wahrem Namen schreiben!

Bei den untersuchten 31 Negativ-Urteilen kommen lediglich drei Eigennamen vor, die real sein könnten (überprüfen kann man das freilich kaum). Erstaunlich, da die Schreiber meist mit einer höchst überzeugten Attitüde auftreten, die eigene Identität aber doch lieber für sich behalten möchten…
Bei den 5 Sterne-Besprechungen sind immerhin 31 von 89 Texten namentlich gekennzeichnet, also ein gut dreifacher Anteil!

·         Sei originell!

…oder jedenfalls das, was du dafür hältst! So findet sich stets die Pflichtformulierung:

„Schade, dass man nicht 0 Sterne geben kann.

Auf den Gag ist sicher vorher noch keiner gekommen – also sei der Erste! Und es klingt ja auch so wahnsinnig fachmännisch-dezidiert…

·         Betone, das Buch nicht zu Ende gelesen oder erst gar nicht angefangen zu haben!

„Ich konnte dieses Schwachsinn nicht bis zu Ende lesen!“

„Der mehr als schwache Auftriff von Frau Kelle bei 'Hart aber Fair' im Februar 2015 läßt mich an ihrer Kompetenz (nur weiblich sein bedeutet nicht automatisch, das man Kompetent ist) zweifeln und rettet mich davor, Geld für ihr Buch auszugeben. Denn mehr als oberflächliche Plattitüden kann man wohl nicht erwarten.

Merke: Der wahre Experte erkennt Quatsch schon von weitem, eine nähere Beschäftigung erübrigt sich daher – außer, dass man eine Rezension verfasst...

·         Streuen Sie (insbesondere bei positiven Passagen) Zweifel an der Autorenschaft!

„Die wenigen witzigen Absätze, sind nach Abgleich mit ihrer eher unsicheren Rhetorik bei ihren Auftritten, wohl nicht ihrer eigenen Feder geschuldet.

Unterschiedliche Begabungen im schriftlichen bzw. mündlichen Ausdruck sind nebensächlich. Schließlich passt das bei Ihnen ja auch zusammen!

·         Wittern Sie Beleidigungen, Diffamierungen oder Schlimmeres!

Wichtig: Der soziale Troll von heute ist dauerbeleidigt und hackt seinen Hass ins Internet!

„Aber letztlich fand ich in diesem Buch nur einen rhetorisch geschickt aneinandergereihten Polemikbausatz, der oft auch die Grenze zur Beleidigung überschreitet.

„Frau Kelle ist respektlos gegenüber anderen Meinungen, sie äußert sich extrem verächtlich auf wirklich unterster Niveastufe über alles, was ihr nicht passt, wird ausfällig + beleidigend - ich finde es peinlich, so ein Buch zu veröffentlichen.“

„Die Hetze von Frau Kelle nervt, und aus welcher Ecke sie hervorbellfert, ist offensichtlich...“

Am besten gleich die Pressefreiheit abschaffen:

„Dieses Buch gehört verboten, und dieser Frau sollte man keine Plattform mehr geben!

„Traurig - mit billiger polemischer Hetze will sie die Welle des Hasses fördern als auch dieses Thema finanziell ausschlachten!

Ja, apropos…

·         Werfen Sie missliebigen Autoren stets vor, sie (und der Verlag) wollten ja nur Geld verdienen!

Dieses Buch ist absolute Geldverschwendung!

was konservative Männer hören wollen, ist auch ein Weg, Geld zu verdienen.

„Und dann so einen Schund auch noch ohne gewinnbringend zu Papier bringen. Es gibt wirklich Leute, die haben überhaupt keine Hemmungen.

Fazit: Solche Schreiberlinge sollten wenigstens nicht noch die Frechheit haben, für ihre Arbeit bezahlt werden zu wollen! (Dies gilt natürlich nicht für die Fußball-Profis Ihres Lieblingsvereins, welchen man selbst vergoldete Steaks gönnt!)

·         Warum sich mit dem Inhalt des Buches beschäftigen, wenn die Person des Autors viel mehr hergibt?

Interessant, dass eine Frau, die lange Zeit jeglichen beruflichen Ehrgeiz hat vermissen lassen, nun berufstätigen Frauen erklärt, dass es im Job keine gläsernen Decken gäbe und seltenst sexuelle Anmachen. Selbst jetzt- da sie von Zuhause aus und als Frau eines Medienmannes schreibt-…“

Eben: Leistet nix, soll doch froh sein, wenn ihr Gatte sie ernährt!

„Ich würde der Kelle doch empfehlen, zurück nach Rumänien zu gehen, und ihre begeisterten Anhänger gleich mit dazu.

Ja, eben, Rumänien, Pfaffenhofen, Klein-Pöseldorf… halt dorthin, wo der Pfeffer wächst!

Entscheidender Bestandteil jedes Verrisses ist jedoch das, was wir intern „Klaus Wendel-Modul“ nennen:

·         Ist doch klar: Der Autor versteht gar nix von seinem Sachgebiet!

Doch ich bin schockiert, wie die Autorin ihre Unwissenheit zu verkleiden versucht und Tatsachen nach ihrer Laune verdreht, damit sie glaubwürdiger erscheint …“

diese Buch ist oberflächlicher Polemischer Mist, Frau Kelle scheint die verwendeten Begriffe wie Gender Mainstreaming oder Gleichstellung nicht einmal verstanden zu haben. Lieber treibt sie eine Sau durchs Dorf, befeiert von den ewig gestrigen Claqueren.

„Das Buch ist also sehr redundant (…) und enhält leider absolut keine fundierten, verallgemeinbaren Aussagen oder stichhaltige Argumente.

·         Ganz wichtig: Ihre eigenen Formulierungen sollten zeigen, dass Sie über ein sicheres Sprachvermögen verfügen und daher überhaupt in der Lage sind, ein Druckwerk sinnentnehmend zu lesen!

Erschreckendes Buch. Ich sehe, wie Menschen, die sich nicht mit dem Thema befestigen, das tatsächlich glauben können.

absoluter mist, wer sich auch nur ein kurzes bisschen mit dem thema auseinandersetzt, merkt schnell, welch hole propaganda hinter diesem buch und anderen dieser art steckt, um fakten herumzureden, ändert sie nun einmal nicht!

„In ihrem Buch verfasst Birgit Kelle sehr gut, wie sie den öffentlichen Kampf gegen Sexismus versteht, und es mangelt ihr nicht an Klischees und absurden Argumenten, ihre Homophobie als christlichen Wert zu fröhnen.

·         Schließlich eine dringende Warnung: Gehen Sie nicht zu genau auf inhaltliche Aspekte ein; wer Tatsachen anspricht, macht sich angreifbar!

Ach ja: Natürlich ist mir klar, dass auf mich bei solchen Blogbeiträgen ebenfalls ein Textbaustein wartet: die „Oberlehrer-Schelte“. Inzwischen bin ich jedoch überzeugt: Bei Verwendern dieses Klischees haben meine Kollegen den Fehler gemacht, diesen Zeitgenossen schon frühzeitig zu offenbaren, dass sie Dödel seien, welche sich chronisch überschätzten.

Und was man ihnen nicht vergibt: Sie hatten recht…  

Lassen wir lieber der Autorin Birgit Kelle das Schlusswort:



Quellen:

P.S. Einen ähnlichen Artikel finden Sie hier:

Donnerstag, 14. Februar 2019

VORHANG


„WENN DU ALLES GETAN HAST, DANN LEG DEN SCHLÜSSEL VOR DIE TÜR UND WANDERE STILL DAVON.“
(VINCENZ VON PAUL)

Lehrerzimmer wirken immer trist – ob nun mit Lehrern oder nur die Zimmer. Jetzt, nach dem Trubel des letzten Schultags, erscheinen sie geradezu nachsintflutlich. Wieder einmal habe ich den pünktlichen Abgang verpasst, wie damals in den ersten Berufsjahren, als mich mein Chef einmal abends um acht noch in der Schule erblickte. „Na, Sie finden wohl auch kein Ende“, war eine Motivation mit Langzeitwirkung fürs Entertainment-Fach: Zur rechten Zeit auftreten, vor allem jedoch ja nicht zu spät abgehen – Verbeugung, Vorhang – egal, wie viel Applaus es gab für eine Inszenierung, in die man sich halt einfügen musste, wie groß darin die eigene Rolle war, wie viele Fragen noch offen sind in einem Bildungssystem, das längst kaum noch einen betroffen zurücklässt. Bloß nicht warten, bis pfeifende Bühnenarbeiter und ein gnadenloses Umbaulicht der Szene die letzten Illusionen rauben!

Die Teeküche sieht aus wie eine Bahnhofskneipe nach Abfahrt des letzten Zuges. Mechanisch stelle ich die Sektgläser und Kaffeetassen in die Spülmaschine, den Kühlschrank lasse ich lieber geschlossen – die hygienischen Standards von Personen, welche junge Menschen zu einer verantwortlichen Lebensführung erziehen sollen, sind für mich immer noch unglaublich!

Auf dem Fensterbrett steht ein Bierglas, halb voll Wasser, drei Rosenblätter schwimmen darin, daneben zerknülltes Gärtnereipapier: Kein Zweifel, hier wirkte der Personalrat. Unser ältester Kollege wurde heute verabschiedet – einer der wenigen, die sich nicht mit übel klingenden Diagnosen hatten versehen lassen, um rechtzeitig, also vor der Pensionsgrenze, zu gehen. Leiden, die wahrheitsgemäß heißen müssten: fehlende Kraft, der Unlogik des Systems zu widerstehen.

Er hatte sich den Widersprüchen ausgesetzt, seinen Alterungsprozess gegen den um sich greifenden Berufsinfantilismus gestellt – und es war ihm schlecht bekommen, sich mit Kindern jeden Alters dem Rampenlicht auszusetzen: Er ward zum „Original“, das als Kopie von der Schülerzeitung bis zur Abiturrevue vervielfältigt wurde, längst schon wohlgenormtes
Abziehbild für Köpfe unter verkehrt sitzenden Baseballkappen und deren heimliche Sympathisanten.

Sicher hatten auch Chef, Personalratsvorsitzender und Fachbetreuer launige Abschiedsworte gefunden – die „unverwechselbare Lehrerpersönlichkeit“ treffend und dabei balancierend über dem Abgrund feixender Peinlichkeit solcher Schlussszenen, unbewusst ahnend, was auch sie dereinst erwarten würde: ein Blumenstrauß und Pharisäer, die den Ausstand proben.

Ein Geräusch lenkt mich ab: Eine Fliege versucht zum hundertsten Mal vergeblich, durch das geschlossene Fenster zu entkommen. 350 Millionen Jahre Evolution, Siege im Kampf mit der Umwelt, kollidieren mit der Erfindung des Fensterglases. Zuerst ins Dunkle zu fliegen, um dann ans Licht zu kommen, ist in diesem biologischen System noch nicht vorgesehen: wieder ein zu später Abgang!

Wohin nun mit der leeren Zeugnismappe? Im Sekretariat ist sicher niemand mehr, die sind längst beim Mittagessen, zu dem, nach alljährlicher Tradition, auch die pensionierten Kollegen eingeladen sind. Seit jeher meide ich diese Veteranentreffen, welche eine alte Paukerherrlichkeit glorifizieren, die nie bestanden hat, sowie eine Kontinuität vorgaukeln, die angesichts der immer hektischeren Neuerfindungen des Rades reine Chimäre ist: stille Tage in Klischee.

Selbst wenn ich mitmachen wollte – ich werde nach der Zeugnisverteilung nie rechtzeitig feierbereit, sortiere noch Entschuldigungszettel, während um mich herum bereits die „Sekt oder Orangensaft?“-Frage zirkuliert. Wieso eigentlich, trotz meiner Angst vor verspäteten Schlüssen? Versuche ich da noch wenigstens die Form eines Systems zu retten, an dessen Inhalt ich längst zweifle? Es wirkt fast schon wie ein Fremdkörper, dieses Ritual des letzten Schultags, nach den viel bedeutsameren zwei Wochen der Projekte, Sport- und Schulfeste – diese Ausgabe von Mitteilungen, die so tun, als ob es wirklich um die Gegenstände ginge, die da vor den Noten stehen.

Wann hat mein Chef mit mir zum letzten Mal über die Inhalte meines Unterrichts gesprochen? Nicht mal bei der Beurteilung (auch so ein ritualisierter Termin) – da bezog er sich ebenfalls nur auf deren Darbietung.

Stundenpläne, Schullandheimtermine, der letzte Stand der Neueinschreibungen – das sind die Formen, welche die eigentlichen Themen ersetze müssen. Die Erkenntnisse aber, nach denen wir einst im Studium strebten, die Teilerfolge, die wir errangen – ist das nicht längst nur noch „Stoff“ meist abgewertet mit den Begriffen „Fülle“ oder „Überfrachtung“?

Wen erreicht er noch, die Kids mit den Zapper-Gehirnen, die karriereblinden Eltern, alerte Qualifizierungsstufen-Manager oder gar die Kultusbürokraten, die nicht einmal mehr das aufweisen, was wir einst an ihnen kritisierten: ihr Beharrungsvermögen? Ist das Gymnasium nicht längst der Ort, wo nicht Interesse, sondern Interessen regieren? Absatzmarkt für Lehrmittelfirmen, Werbeziel von Sparkassen-Preisausschreiben plus Ökoaktionen von Chemiekonzernen, Spielplatz für ehrgeizige Kommunalpolitiker oder Elternbeiräte (manchmal in Personalunion)!

Wie bei anderen modernen Aufführungen geht es weniger um das Stück
als um die Inszenierung.

Vertretungsplan, Aktenordner, Schulaufgabenpapier und die stets ohne Klammern zurückgelassene Heftmaschine – dieses so vertraute Szenari wirkt auf mich plötzlich so irreal wie das Bühnenbild eines absurden Dramas. Ist dies nach zwanzig Jahren schon das gefürchtete Burnout Syndrom? Wieder so ein abgefeimtes Bild: Brennstoffmangel – kann man Flammen nicht ebenso gut ersticken?

Was soll’s, auch mieses Theater bringt Gage, oft mehr als gutes, zumal wir für eine Serie verpflichtet wurden – und bis zum Ende der Lindenstraß heißt es noch etliche Jahre chargieren, ohne zu lange in die Schwarzwaldklinik zu müssen, folglich: Vorhang, Ende der Spielzeit – Fortsetzung gefälligst erst nach den Ferien!

Es klopft an der Tür. Hat denn das Stück überhaupt kein Ende? Siehe da, die Drachenhöhle birgt noch ein kleines Monster, freilich ein ziemlich verheultes: Es hat sein Zeugnis im Klassenzimmer liegen lassen, ob ich aufsperren könne? Und wo bitte? Natürlich im dritten Stock – na wenn schon, mich erschüttert heute nichts mehr, auch als mir dann oben einfällt, dass ich noch mal ins Lehrerzimmer muss, da steht nämlich meine Schultasche.

Dort fällt mein Blick auf das Fenster: ja richtig, die Fliege. Der sperre ich jetzt auch noch auf – an diesem Ort soll (bis auf die Schimmelpilzkulturen im Kühlschrank) nichts Lebendes verbleiben. Die Schritte hinter mir höre ich jetzt erst. Der kleine Schlamper, inzwischen bewaffnet mit Zeugnis in Klarsichtfolie, lächelt mich aus halb getrockneten Augen an: „Und schöne Ferien!“ Wird das ein Händedruck? Nein: Ein klebriges Bonbon hat den
Besitzer gewechselt.

Sollte auch ich im Alltagsbetrieb etwas vergessen haben? Wie dem auch sei, auf jeden Fall raus hier – denn in der Schule finde ich es nun nicht mehr.

***

Der obige Text stammt aus meinem Buch „Der bitterböse Lehrer-Retter“. Er bildet dort das Schlusskapitel. Falls Sie die 346 Seiten davor interessieren:

Titel: Der bitterböse Lehrer-Retter
Untertitel: Überlebensstrategien hinterm Pult
1. Auflage, 2012
Autor und Copyright: Gerhard Riedl
Illustration, Satz, Layout: Manuela Bößel
Lektorin: Karin Law Robinson-Riedl
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-8448-1223-7
Umfang: 359 Seiten mit 39 Illustrationen
Preis: 22,90 €
Erhältlich auch als E-Book in verschiedenen Formaten!

Bestellungen sind auch direkt bei mir möglich:
mamuta-kg(at)web.de