Freitag, 17. September 2021

„Kauft nicht bei der STIKO!“

 

Allmählich braucht man die Spinner nicht mehr allein in den Großstädten zu beobachten. Ganz in unserer Nähe geht es auch schon los:

Am vergangenen Mittwoch kam es bei einer Impfaktion an der Realschule Kösching zu einer Eskalation. Eine Gruppe von 10-15 Querdenkern (branchenüblich auch als „besorgte Eltern“ bezeichnet) hatte sich vor der Schule aufgebaut und beschimpfte das Team der Malteser lautstark als „Kindermörder“. Anschließend versuchte man, durch ein Fenster die Impfung zu filmen. Durch eine offene Terrassentür drangen die Herrschaften dann ins Schulgebäude ein, bei dem anschließenden Gerangel wurde einer medizinischen Mitarbeiterin an einer Tür die Hand eingequetscht.

Erst als die Polizei mit mehreren Streifenwagen anrückte, bekam man die Situation wieder unter Kontrolle. Die Ermittlungen laufen noch.

Hier der Bericht in der heutigen Lokalzeitung:

https://www.donaukurier.de/lokales/ingolstadt/Impfteam-als-Kindermoerder-beschimpft;art599,4812527

Der zuständige Eichstätter Landrat sieht hier „eine Grenze überschritten“. Wie man so etwas verhindern könne? Das sei ein bundesweites Phänomen, es gebe dafür keine einfache Strategie. Es helfe möglicherweise nur zu versuchen, jeden Einzelnen zu überzeugen, „geduldig, mehrfach, bis er seine Meinung ändert".

Ich nehme an, die verehrten Randalierer waren der Meinung, die Jugendlichen würden zu einer Impfung gedrängt. Wer entscheidet eigentlich über einen solchen medizinischen Eingriff – Kinder oder Eltern?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Das Schlüsselwort lautet „Einwilligungsfähigkeit“: „Eine wirksame Einwilligung setzt [daher] voraus, dass der Patient Wesen, Bedeutung und Tragweite des ärztlichen Eingriffs, insbesondere den Grad der Gefährlichkeit, in seinen Grundzügen erkannt hat." (BGH, Urteil vom 05.12.1958, Az. VI ZR 266/57)

Der impfende Arzt muss sich also davon überzeugen, dass ein Minderjähriger einigermaßen weiß, was er da tut. Als Faustregel gilt dabei: Ab 16 Jahren kann man in der Regel davon ausgehen, unter 14 Jahren eher nicht. Einem unter Achtzehnjährigen können es die Eltern kaum verbieten, sich die Spritze geben zu lassen. Im umgekehrten Fall – wenn es Papa und Mama möchten, der Jugendliche aber nicht – gilt normalerweise dessen Wille.

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/corona-impfung-kinder-jugendliche-ohne-eltern-einwilligung-100.html

https://www.br.de/nachrichten/bayern/corona-impfung-ab-12-jahren-muessen-eltern-eigentlich-zustimmen,Sdhai6A

Ausschlaggebend dürfte sein, dass die Corona-Impfung inzwischen von der Ständigen Impfkommission (STIKO) ab 12 Jahren – nach medizinischer Beratung – empfohlen wird:

https://www.infektionsschutz.de/coronavirus/schutzimpfung/corona-schutzimpfung-bei-kindern-und-jugendlichen.html

Im Einzelfall gibt es aber noch juristisches Neuland, das sicher bald von obergerichtlichen Entscheidungen gefüllt wird. In der Vergangenheit war ein solches Gezerre über Impfungen halt recht selten.

Ich kann mich noch erinnern, dass es bei uns in der 4. Klasse „Volksschule“ eines morgens hieß: „In Zweierreihen in die Turnhalle“. Dort kriegte jeder und jede im Schnelldurchlauf mit dem Messerchen seine Pockenimpfung. Wir hatten wohl ein bisschen Angst, aber den Erwachsenen war das völlig schnuppe. 1976 war dann Schluss, da man die Pocken fast ausgerottet hatte – und daher kann man auch beim Tango das Alter der Partnerin recht genau abschätzen: Hat sie eine Impfnarbe am Oberarm, dürfte sie nicht nach zirka 1966 geboren sein, ist heute also mindestens Mitte Fünfzig.

Ich gehe davon aus, dass man in Kösching die Eltern und ihre Kinder aufgeklärt hat und ihre Zustimmung einholte. Ein schöner Fortschritt gegenüber meiner Schulzeit…

Das Pack, welches versucht hat, die Schule zu stürmen und die Impfaktion zu verhindern, markiert dagegen einen herben Rückschritt. In Deutschlands dunkelster Zeit haben sich schon einmal Leute vor Geschäften aufgebaut, da man angeblich das Deutschtum vor dem jüdischen Finanzkapital retten wollte: „Kauft nicht bei Juden!“ hieß es damals. Man wollte also Menschen davon abhalten, etwas Legales zu tun, nämlich einkaufen. Die Polizei erschien Anfang der 1930-er-Jahre allerdings meist nicht mehr.

Heute schon noch – das sollten wir ausnützen. Und im Gegensatz zum Eichstätter Landrat meine ich, dass bei solch verbohrten Ideologen Überzeugungsarbeit nicht fruchtet. Eine hübsche Anklage wegen Nötigung, Körperverletzung und Hausfriedensbruch könnte überzeugender wirken. Und das Urteil möglichst nicht in geldlichen Tagessätzen, sondern zum Absitzen. Diese Leute missachten ja vorsätzlich und dauerhaft unsere staatliche Rechtsordnung zur Durchsetzung ihrer Kinderretter-Heuchelei oder anderer verquaster Egoismen.

Ein sächsisches Impfzentrum wollte man neulich abfackeln. Leider brannte es nicht so gut wie einst der Reichstag.

https://www.n-tv.de/panorama/Brandanschlag-auf-Impfzentrum-veruebt-article22804938.html

Ich will einfach nicht mehr warten, bis es wieder mal zu spät ist. Auch damals waren wohl viele der Meinung, die strammen Herren von der SA müsse man nur geduldig überzeugen. Und sie täten halt ihre Meinung kund.

Wer sich einen historischen Eindruck verschaffen möchte:


https://www.youtube.com/watch?v=QSATnLBryUo

Moralinsauren Einwänden betreffs „Nazivergleichen“ sehe ich übrigens gelassen entgegen. Es beunruhigt mich nämlich, dass man inzwischen Zivilcourage benötigt, um sich im Rahmen der Gesetze zu bewegen – so wie einst eine jüdische Mutter, deren Sohn hier eine kurze, aber eindrucksvolle Geschichte erzählt:

https://www.youtube.com/watch?v=t9UBgbjv64Q