Dienstag, 25. August 2020

Polizeigewalt?


In letzter Zeit häufen sich Berichte über Vorkommnisse, die man meist mit diesem Begriff betitelt: Auf mehr oder weniger verwackelten Smartphone-Videos sieht man Polizisten, die mit einem Delinquenten raufen, ihn zu Boden bringen und Handschellen anlegen. Reflexartige Skandalisierung gerne inklusive.

In der Regel setzen die Aufnahmen erst ein, wenn die Beamten zugreifen. So lange die meist jungen Männer nur die Anweisungen der Polizisten ignorieren, ihnen freche Antworten geben oder sie beileidigen und anpöbeln, wird man darauf nicht aufmerksam oder hält es jedenfalls nicht für filmenswert. Und schlimmstenfalls kann man den Vorlauf ja wegschneiden, bevor man das Video ins Internet stellt.

Angesichts der rassistischen Übergriffe US-amerikanischer Ordnungshüter gegen dunkelhäutige Personen ist den Veröffentlichern die allgemeine Empörung sicher – und das gute Gefühl, der Gerechtigkeit gedient zu haben. Behörden und Politiker sind inzwischen sensibilisiert: Untersuchungen werden angeordnet, Polizeipräsidenten und Minister nehmen Stellung, Innenausschüsse treten zusammen, speziell Grüne oder Linke fordern dann irgendwas...

Ich habe zwei Fälle näher recherchiert, die mir ziemlich typisch erscheinen:

Die 20-jährige Sayuri Gonzales feierte vor über einer Woche nach Mitternacht auf dem Platz vor der alten Synagoge in Freiburg. Offenbar hatte die Polizei die Gruppe junger Leute schon mehrfach auf den ruhestörenden Lärm hingewiesen. Angeblich wurde dann zwar die Musik abgestellt, das „lautstarke Trinkspiel“ aber fortgesetzt. Da die Beamten wohl einen Platzverweis aussprechen wollten, sollte die Auszubildende mit kolumbianischen Wurzeln ihren Ausweis vorzeigen.

Dies verweigerte sie, da sie der Auffassung war, andere Gruppen seien ebenfalls laut gewesen, wogegen die Polizei nichts unternehme. Zudem verlangte sie von den Beamten einen angemessenen Tonfall. Als die Beamten sie beim Arm fassten, um sie mitzunehmen, versuchte sie sich loszureißen. In dem folgenden Gerangel ging sie zu Boden, dort wurde sie fixiert und mit Handschellen gefesselt.

Nach Feststellung ihrer Personalien auf der Polizeiwache durfte die junge Dame wieder gehen. Sie gab an, die Fesselung habe geschmerzt, sie sei verletzt worden. Daher verlangte sie von den Beamten eine Entschuldigung. Sie wolle die Polizei jedoch nicht generell verurteilen.

Im folgenden Bericht sieht man einen Teil des Videos, das auf Instagram über 30000 Mal geteilt wurde. Vor einigen Tagen waren dort noch die Äußerungen der 20-Jährigen zu dem Vorfall zu hören. Inzwischen ist dieses Video aber von der Plattform verschwunden.

Mit gutem Grund, wie ich finde. Die junge Dame redete sich dort nämlich um Kopf und Kragen. Ihre Rechtfertigungen offenbarten einige grundlegende Missverständnisse, wie sie sich in gewissen Köpfen schon seit längerer Zeit herausgebildet haben:

Generell gehen solche Herrschaften offenbar davon aus, dass zwischen ihnen und Vertretern der Staatgewalt (mindestens) eine Gleichrangigkeit bestehe, was zu einer ergebnisoffenen Diskussion berechtige, ob man beispielsweise auf einem öffentlichen Platz um ein Uhr nachts weiterhin lärmen dürfe oder nicht – beziehungsweise die Corona-Regeln zu befolgen habe.

Sorry, das ist eine ganz schlechte Idee! Die Polizei muss ihre Anweisungen dann halt durchsetzen, um nicht den letzten Rest von Glaubwürdigkeit zu verspielen. Offenbar waren zudem mehrere Ansprachen vorher ergebnislos. Was sollten die Beamten denn machen? Wieder gehen nach dem Motto „dann halt nicht“?

Und, mit Verlaub, das Argument „andere sind auch laut“ ist so ziemlich das Dümmste, was einem in dem Moment einfallen kann. Muss die Polizei einem Raser auch erst nachweisen, dass sie vorher garantiert alle anderen Verkehrssünder geschnappt hat? Irgendwo muss man halt mal anfangen…

Auch dass die Ordnungshüter deutlicher werden, wenn sie es vorher mehrere Male vergeblich leiser versucht haben, ist nicht ganz unverständlich. In der Situation den Polizisten dann mit Bedingungen zu kommen wie „Meinen Ausweis kriegen Sie erst, wenn Sie normal fragen“ ist verwegen. Um es deutlicher zu sagen: Ich würde mich in der Situation nachts um eins auch nicht mit einer solchen Rotzgöre auf pädagogische Erziehungsmaßnahmen einlassen.

Insgesamt müssen sich die jungen Leute vorhalten lassen, dass die Eskalation absehbar war. Nicht selten wird eine Machtprobe gesucht. Wenn man mit dem Kopf durch die Wand will, landet man eben irgendwann auf der Nase.

Der andere Fall hat noch komischere Seiten:

In Hamburg wollte ein Polizeibeamter einen Jugendlichen namens Kadir kontrollieren, der in den Tagen zuvor schon mehrfach negativ aufgefallen war. Er fuhr mit einem Elektroroller verbotswidrig auf einem Gehweg. Der 15-Jährige, immerhin 1,85 groß, fast ebenso breit und Boxsportler, weigerte sich, seine Personalien für den fälligen Strafzettel anzugeben. Mit verbalen Anweisungen war er nicht erreichbar. Stattdessen fing er eine Rauferei mit inzwischen vier Polizisten an. Erst einer Übermacht von acht Beamten gelang es schließlich, ihn mittels Pfefferspray zu überwältigen.

Vielleicht inspiriert durch eine Inschrift auf einer Wand dahinter befand er nun plötzlich, er kriege keine Luft mehr, da er Asthma habe. Der gute Junge war mit Diebstahl und Körperverletzungen, teilweise gegen Lehrkräfte, bereits amtsbekannt. Immerhin gab er anschließend zu, er habe den Beamten provoziert.
Es dauerte insgesamt eine halbe Stunde, bis man den hoffnungsvollen Knaben mitnehmen konnte.
Eine empörte Zeugin filmte denn Vorfall ab dem Moment, als die Handgreiflichkeiten begannen.

Ich hätte für den jungen Mann einen Tipp: Mit Asthma möglichst nicht raufen – schon gar nicht mit der Polizei. Die gewinnt nämlich meistens.
https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Video-eines-Polizeieinsatzes-inHamburg-sorgt-fuer-Debatte,video3196.html



Ich muss gestehen, dass meine persönlichen Erfahrungen mit der Polizei stets sehr entspannt verliefen: Zweimal geriet ich in eine Radarkontrolle, weil ich in geschlossenen Ortschaften mit etwa 60 km/h unterwegs war, mehrere Male erlebten wir eine Straßenverkehrskontrolle, wobei meine liebe Frau einmal  ihre 0 Promille per Atemtest zu beweisen hatte, und dreimal riefen wir selber die Polizei, da wir mit einem Reh kollidierten.

Ausnahmslos erlebten wir Beamte, die absolut ruhig, freundlich und professionell agierten. Irgendwie hatte ich das Gefühl, die Herren seien heilfroh, dass wir weder betrunken oder bekifft noch renitent waren. Allerdings zückten wir auch jedes Mal zügig unsere Ausweise, als wir darum gebeten wurden. Wie angepasst…

Ich stelle es mir als tolle Beschäftigung vor, gerade in einer Nachtschicht und an Brennpunkten von einer Gruppe Besoffener zur anderen zu fahren und sich ständig zumindest schwach anreden zu lassen. Öfters darf man sich dann noch gegen gröbere Respektlosigkeiten oder gar körperliche Attacken wehren.

Dabei muss man ständig damit rechnen, dass Umstehende ihr Smartphone zücken und anklagende Videos in Netz stellen. Sich vielleicht sogar einmischen und die Situation endgültig eskalieren lassen. Ich glaube, genau darauf legen es manche Störenfriede auch an. Und hoffen insgeheim, einem Beamten könnten mal die Nerven durchgehen. Dann dürfen sie sich nachher im Internet als Märtyrer gerieren.

Damit mich keiner missversteht: Selbstverständlich gibt es auch von Seiten der Polizei gewaltsame Übergriffe, die genau zu untersuchen sind. Warum sich viele Bundesländer noch dagegen wehren, damit polizeiunabhängige Stellen zu beauftragen, versteh ich überhaupt nicht. Und ja: Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) ist eine schwere Straftat, die entsprechend geahndet werden muss. Weiterhin brauchen wir unbedingt endlich eine Studie über strukturellen Rassismus bei den Ordnungskräften – auch wenn Herr Seehofer das anders sieht.

All das würde die Verdächte von der großen Mehrzahl der Polizisten nehmen, die – vor allem auf der Straße – einen schweren und mäßig bezahlten Dienst tun. Und natürlich schwarze Schafe aussortieren.

Man geht ziemlich unbedacht mit dem Begriff „Polizeigewalt“ um. Ich bin jedenfalls sehr dankbar, dass bei uns nur die Polizei direkten Zwang ausüben darf, also über das Gewaltmonopol verfügt. Verhältnisse wie in den USA, wo jeder sich eine Knarre kaufen und den persönlichen Rechtsweg beschreiten kann, brauche ich überhaupt nicht.

Da zeige ich lieber mal meinen Ausweis. Ich blogge ja nicht mal unter Pseudonym.        
   
Quellen:
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/polizeigewalt-125.html

Donnerstag, 20. August 2020

Der große Rechtschreib-Test

Nicht nur bei Debatten zum Tango stelle ich in den sozialen Medien immer wieder fest: Da wird ein Deutsch verwendet, dass es einer Sau graust! Nun gut – es gab schon immer Menschen, denen es an Bildung oder Sorgfalt mangelt. Interessant ist nur die Wertung:
Sprach man zu früheren Zeiten solche Mängel an, so erhielt man als Reaktion doch öfters ein gewisses Bedauern, ein Signal schlechten Gewissens: Ja, sorry, da sind mir Fehler unterlaufen!

Heute kann man sich in solchen Fällen darauf einstellen, dass die Schuld dem bösen Smartphone und seiner Autokorrekturfunktion zugeschoben wird. Häufig wird ein Gegenangriff gestartet, indem man mit dem „Oberlehrer-Klischee“ bedacht wird. Ich habe mehrmals darüber geschrieben:
Es ist derzeit offenbar peinlicher, es besser zu wissen, als Beweise seiner Unfähigkeit im Internet zu veröffentlichen. Ich bleibe jedoch dabei: Eine korrekte Ausdrucksweise ist für mich ein Signal der Wertschätzung des Lesers. Er soll es so einfach wie möglich haben, meine Gedankenführung zu verstehen.

Daher überprüfe ich meine Kenntnisse gerne in Rechtschreib-Tests – und stelle dabei öfters fest: Man kann immer noch dazulernen. Für meine Leser habe ich daher 20 besonders knifflige Aufgaben zusammengestellt. Viel Spaß – und die Lösungen gibt es, wie immer, am Schluss des Tests!

      
1.       Seien Sie korrekt entgeistert:
1.1 Um Himmels willen!
1.2 Um Himmels Willen!
1.3 Um Himmelswillen!
1.4 Um himmelswillen!

2.       Schöne Dinge muss man wirkungsvoll…
2.1 placieren
2.2 plazieren
2.3 platzieren

3.       Was ist nicht richtig geschrieben?
3.1 Stuss
3.2 Fuss
3.3 Guss
3.4 Verdruss

4.       Wissen Sie, welche Wörter man
4.1 … groß schreibt?
4.2 … großschreibt?
4.3 …Groß schreibt?

5.       Einen Brief beenden Sie mit der Formel
5.1 Mit freundlichen Grüßen.
5.2 Mit freundlichen Grüßen,
5.3 Mit freundlichen Grüßen!
5.4 Mit freundlichen Grüßen

6.       Nicht speziell, aber…
6.1 im Allgemeinen
6.2 im allgemeinen
6.3 imallgemeinen

7.       Die korrekte Schreibweise ist…
7.1 essentiell
7.2 essenziell
7.3 essentziell
7.4 esenziell

8.       Wir treffen uns…
8.1 Dienstag Abends
8.2 dienstagabends
8.3 Dienstagabends

9.       Viele tanzen Tango wie in den…
9.1 40er Jahren
9.2 40er-Jahren
9.3 40erjahren

10.   Die folgende Auffassung herrscht…
10.1 zur Zeit
10.2 zurzeit
10.3 zur zeit

11.   Der Kabarettist und Lehrerkollege Han’s Klaffl bezeichnet die Schreibweise seines Vornamens ironisch als
11.1 den Deppenapostrof
11.2 das Deppenapostrof
11.3 den Deppenapostroph
11.4 den Deppenapostrophen

12.   Wie schreibt sich die beliebte italienische Kaffeespezialität?
12.1 Capucino
12.2 Capuccino
12.3 Cappuccino
12.4 Cappucino

13.   Etwas rückgängig machen oder …
13.1 anullieren
13.2 annullieren
13.3 anulieren

14.   Die schnellste Gangart eines Pferdes heißt…
14.1 Galop
14.2 Galopp
14.3 Gallop
14.4 Gallopp

15.   Der Tangotanz gehört zu den schönsten…
15.1 Hobbis
15.2 Hobbies
15.3 Hobbys
15.4 Hobby‘s

16.   Ein Studienkollege oder…
16.1 Komilitone
16.2 Komillitone
16.3 Kommilitone
16.4 Kommillitone

17.   Den Kulturteil einer Zeitung nennt man
17.1 Feuileton
17.2 Feuilleton
17.3 Feuiletton
17.4 Feuillton

18.   Die Zeichensetzung bemerkte sie kann einen ganz schön zur Verzweiflung bringen
Welche und wie viele Satzzeichen fehlen hier?

19.   Fürchten Sie sich:
19.1 Mir wird angst und bange.
19.2 Mir wird  Angst und bange.
19.3 Mir wird angst und Bange.
19.4 Mir wird Angst und Bange.

20.   Die Hose schließt man mit einem…
20.1 Reißverschluß
20.2 Reissverschluß
20.3 Reissverschluss
20.4 Reißverschluss

Bedenken Sie bei der Auswertung: Zumindest beruflich ist es nicht ganz egal, wie (und was) man schreibt:

„Rechtschreibung spielt für die Personaler eine herausragende Rolle. Bei einem Drittel der Personalverantwortlichen erhält der Bewerber schon bei mehr als einem Fehler in der Bewerbung eine Absage. Enthält das Bewerbungsschreiben mehr als drei Fehler, hat es nur noch bei 30% der Personaler eine Chance. (…)
62 Prozent der Personaler überprüfen die Internetprofile ihrer Bewerber, um über die Bewerbungsunterlagen hinaus an zusätzliche Infos zu gelangen. Am liebsten recherchieren sie dazu bei Xing, gefolgt von Google und Facebook.“
Und was das „Oberlehrer-Klischee“ betrifft, bin ich mir völlig einig mit dem jüngst verstorbenen Hans-Jochen Vogel, dem man ebenfalls mit diesem Attribut bedachte. In einer Bundestagsdebatte sagte er dazu:

„Lieber Oberlehrer als Hilfsschüler!“

Lösungen:
1.1 / 2.3 / 3.2 / 4.2 / 5.4 / 6.1 / 7.1 oder 7.2 / 8.2 / 9.2 / 10.2 / 11.3 / 12.3 / 13.2 / 14.2 / 15.3 / 16.3 / 17.2 / 18: 4 Anführungszeichen, 2 Kommas, 1 Punkt / 19.1 / 20.4

Anregungen holte ich mir hier:
Und zum weiteren Üben:

Mittwoch, 19. August 2020

Ausbildung zum Kompetenz-Deppen


Den Astrophysiker Prof. Harald Lesch kenne ich schon seit seiner Sendereihe „alpha-Centauri“, wo er ab 1998, oft vor einer altmodischen Tafel mit Kreide und Schwamm, berückend einfach Fragen aus seinem Arbeitsgebiet behandelte. Inzwischen wird seine glänzende Fähigkeit, Naturwissenschaften laientauglich zu vermitteln, nicht nur vom Bayerischen Rundfunk, sondern auch von vielen anderen Medien genutzt.

Ich gestehe, die Sendungen von Lesch inzwischen weniger zu verfolgen, da er für meinen Geschmack etwas zu sehr politisiert und sein Tonfall oft dozierend bis dogmatisch ausfällt. Dennoch gehört er mit Recht zu den populärsten Naturwissenschaftlern Deutschlands.
https://de.wikipedia.org/wiki/Harald_Lesch

Kürzlich stolperte ich über ein 10 Minuten-Video von ihm, das mich elektrisierte – betitelt „Unser Schulsystem ist Mist“.

Sichtlich hat er sich über eine Geschichte aufgeregt, die ihm sein bester Freund erzählte, der eine junge Dame bei einem Einstellungsgespräch vor sich hatte und ihr eine einfache Rechenaufgabe stellte, so in der Art von: Eine Ware kostet 49,90 €, und sie bekomme zehn Prozent Rabatt. Wieviel das dann wäre?

Na klar, ein Zehntel, also knapp 5 €. Dann müsste sie fast 45 € löhnen.

Die Kandidatin meinte aber, das müsse sie nicht wissen. Ja, wie sie dann entscheide, ob das Angebot vielleicht günstiger sei als ein anderes. Antwort: „mit dem Bauch“.

Es wäre wohl auch aussichtlos gewesen, die junge Dame nach der Bedeutung des einschlägigen lateinischen Sprichworts zu fragen: „Plenus venter non studet libenter.“ Nö, kann man ja googeln…

Lesch empört sich mächtig darüber: Bei Zahlen dürfe man halt nicht nach dem Bauch entscheiden. Prozentrechnen sollte eben jeder können, der einen Schulabschluss habe – egal welchen. Und zwar ohne Hilfsmittel – einfach im Kopf.

Was sei eigentlich, so der studierte Physiker, inzwischen an den Schulen passiert? Seien die überhaupt noch Bildungseinrichtungen in dem Sinne, dass es zu mehr reiche als dem Funktionieren im Wirtschaftsprozess? Und selbst die Unternehmen würden sich inzwischen beschweren, dass die Schüler heute „gar nix mehr“ könnten!

Anschließend schießt er sich auf den Kompetenzbegriff ein: Man wisse dann nur noch, wo etwas stehe. Selber etwas zu wissen und zu können sei offenbar nicht mehr gefordert.

Warum könne man sich angesichts der immer höheren Lebenserwartung mit der Bildung nicht mehr Zeit lassen, anstatt beispielsweise die Gymnasialdauer um ein Jahr zu verkürzen? Persönlichkeit erfordere doch eine ausreichend lange Reifezeit. An einer guten Schule gehe es vor allem langsam zu.

Spaß und Vergnügen am Lernen seien an den Schulen kaum noch vorhanden. Schüler, Eltern und Lehrer vereine der „dicke Hals“, wenn es um Unterricht gehe.

Warum könne man sich nicht auf einen simplen Kanon einigen, was alle nach der Ausbildung beherrschen müssten: Rechnen, Schreiben, Lesen – und zwar fehlerfrei. Und nicht die „Kompetenz des Lesens“ nach dem Motto: „Ich weiß, wo ich nachgucken müsste, wenn ich lesen wollte“.

Und was die Mathematik betreffe: Es könne doch nicht sein, dass eine Nation, die ihren Wohlstand der Technologie verdanke, in weiten Teilen aus einer Bevölkerung bestehe, die man nur noch als „mathematisches Prekariat“ bezeichnen könne! Immer wieder höre er in Gesprächen, für Mathematik habe man „kein Gefühl“. Warum habe man nicht längst dieses Fach zu einem Bestandteil unserer Kultur erklärt? Schließlich werde kein Haus, kein Auto ohne Kenntnisse dieses Fachs gebaut. Es sei das Bindeglied zwischen Wissenschaft und Technik.

Zu Originalität, Neugier, Fantasie würde an der Schule nicht erzogen. Musik, Sport, Kunst und Theater würden wegrationalisiert, wobei doch gerade diese Fächer die Persönlichkeit bildeten.

Statt Kinder würden Fächer unterrichtet. Man vergesse, dass man Schülern nicht beliebig viele Inhalte ins Hirn prügeln könne. Es koste Zeit, bis Informationen so weit verarbeitet und vernetzt seien, bis daraus Erkenntnis entstünde. Eine gebildete Person wisse, wer sie ist, und könne sich in Raum, Zeit und Kultur einordnen. Und so eben auch andere Kulturen verstehen.

In meinem Buch „Der bitterböse Lehrer-Retter“ habe ich mich schon vor Jahren mit der Unsitte der „Kompetenz-Ideologie“ auseinandergesetzt: „Alles können, aber nix wissen“. Eigene Kenntnisse und Fertigkeiten werden auch in Abituraufgaben durch die Anforderung ersetzt, aus einer Fülle an Material etwas zusammenzuschmieren, das die eigene geistige Leistung weitgehend ersetzt.

Motto: Man muss nichts mehr selber wissen, kann man doch alles googeln!

Ich fürchte, auch die jetzigen geistigen Offenbarungseide von „Corona-Skeptikern“ wären vermeidbar, wenn man noch gelernt hätte, die Seriosität von Quellen zu beurteilen und das Gelesene mit dem bislang aufgebauten Wissen zu vergleichen, es so zu beurteilen. Aber nein, man übernimmt irgendeinen Schmarren eins zu eins.

An der Misere sind natürlich viele Gruppen beteiligt: Klar gefällt es den Eltern, wenn ihnen erklärt wird, korrekte Rechtschreibung sei kein hohes Bildungsziel mehr, höchstens eine Nebensache. Und weichen Sie mal im Unterricht vom Lehrplan ab – der Anwalt irgendwelcher Helikopter-Eltern wird sich freuen!

Originalität, Fantasie oder Risikobereitschaft, wie Lesch sie fordert, stellen in der Lehramtsausbildung geradezu Ausschlusskriterien vom Staatsdienst dar. Man muss einmal das gottähnliche Gebaren von Seminarlehrern erlebt haben, welche die Referendare auf die momentan „richtige“ Methodik dressieren, um zu wissen: Was da nach dem 2. Staatsexamen übrigbleibt, ist angepasst und wartet lieber auf Anweisungen.

Die ganze Lehrerausbildung lebt von falschen Auswahlkriterien. Schon bei der Zulassung zum Studium ist eben der Notendurchschnitt im Abiturzeugnis entscheidend und nicht die Fähigkeit, die ich bei jedem Studienanfänger testen würde: Ob er aus dem Stand einem Laien eine fachliche Tatsache einfach erklären kann. So wie Harald Lesch. Dann hätten wir in den Lehrerzimmern fantasiebegabte Wissens-Motivatoren statt angepasster Lehrplan-Umsetzer.

Ja, „Something is rotten in the state of Denmark“, wie der Physiker Lesch am Anfang seines Videos zitiert und listig fragt: „Von wem ist das?“

Na klar, „Es ist was faul im Staate Dänemark“, Shakespeare, Hamlet, weiß man doch.

Dass es in dem Stück Marcellus nach dem Erscheinen von Hamlets Geist sagt, habe ich allerdings gegoogelt.

Übrigens benötigte Harald Lesch in der Schule Förderunterricht in Mathematik, bis er in der Oberstufe bei einem Fahrradunfall einen Schädelbasisbruch erlitt. Danach galt er in diesem Fach als hochbegabt.
Man sieht also: Ein Schlag auf die Birne kann Geisteskräfte freisetzen!

Hier das ganze Video: