Montag, 1. August 2022

War nix mit dem Gendern

Man muss der BILD-Zeitung das Verdienst lassen, dass sie nun eine Diskussionssendung aufgriff, welche der Bayerische Rundfunk schon im Mai gesendet hatte: „Diversity Talk“ nannte sich eine tränentreibende Debatte ums Gendern – vor allem von jungen Leuten.

Unter der Leitung von Claudia Stamm (ex-grüne Tochter der früheren Landtagspräsidentin) diskutierten:

·       Fabia Klein (stellvertretende Landesschülersprecherin)

·       Julia Fritzsche (freie Journalistin beim Bayerischen Rundfunk – von ihr wie „Dschornalistin“ ausgesprochen)

·       eine sich „Seda“ nennende, non-binäre Sängerin

·       Moritz Meusel (ehemaliger Landesschülersprecher)

·       Markus Huber (Pressesprecher des BR)

Gendermäßig stand es also zirka 3,5 zu 2,5, von der Einstellung zum Thema her 4,5 zu 1,5: Während die dreieinhalb Damen strikt für das Gendern plädierten (auch die Gesprächsleiterin ließ das durchblicken), lavierte Herr Huber ziemlich zwischen den Fronten – nur Moritz Meusel vertrat eine gemäßigt kritische Einstellung.

Ausgewogenheit war also von Anfang an nicht zu befürchten.

Zu Beginn hatte man wohl eine (oder mehrere?) Schulklassen um ihre Meinung gebeten. Diese fiel nicht direkt zur Zufriedenheit des Podiums aus: „Was hältst du vom Gendern?“ wurde überwiegend mit „Ist mir ziemlich egal“ und „Gendern ist unnötig“ beantwortet.

Davon gänzlich unbeeindruckt entspann sich daraufhin eine lichtvolle Debatte, welche die „Süddeutsche Zeitung“ zu einem recht frechen Artikel veranlasste: „Wie meinst Diversity, Spatzl?“ formulierte der Autor Cornelius Pollmer in bestem „Monaco Franze“-Sprech.

Zur Gesprächsrunde hatte er absolut Satirisches anzumerken:

„Schon in ihrer Begrüßung hängt Moderatorin Claudia Stamm den Wortstämmen ‚lern‘ und ‚lehr‘ zunächst sämtliche Endungen an, die man sich nur denken kann, Motto: Wird schon was Richtiges dabei sein. (…)

Wer dann aber als freiwillige Lernleistung das Video selbst anklickte und 45 Minuten lang durchhielt, der musste feststellen, dass die Sache ausnahmsweise noch schlimmer war als vom Boulevard beschrieben – allerdings auch noch lustiger. (…)

Es lassen sich daraus nicht alle Highlights wiedergeben, weit vorne liegt aber Stamms Frage, ob künftig statt von der Wirtschaft besser von ‚Wirt*innenschaft‘ zu sprechen sei?“

Hier der schöne Text zum Nachlesen:

https://www.sueddeutsche.de/medien/br-gendern-diversity-oerr-1.5630422

Ich habe es fast geschafft, mir das vollständige Video der Sendung zu geben. Ich warne aber: Es klappt nur mit einem deutlichen Hang zum Masochismus:

https://www.br.de/mediathek/video/diversity-talk-2022-gendern-av:62aa56d6c6f9f00009e47c6e

Das Schönste kommt bekanntlich zum Schluss: Unvorsichtigerweise ließ man die „Schüler*innen“ zum Schluss nochmal abstimmen. Mit großem Abstand siegte „Gendern finde ich weiterhin unnötig“ vor „Habe da keine Meinung“. Positive Aussagen landeten am Ende der Charts. Aus der Sicht von „mindestens drei Diskussionsteilnehmenden“, so Claudia Stamm (also mit ihr vier), müsse man im nächsten Jahr nochmal drüber reden. Diese Drohung blieb im Raum stehen.

Die schönste Szene im Video ist das verstohlende Grinsen des kleinen Moritz bei dieser Aussage...

Klar, dass die BILD-Zeitung über dieses Kabarett etliche Kübel Hohn und Spott ausleerte: „Bayerischer Rundfunk blamiert sich mit Gender-Sendung“ titelte das Volksblatt.  

https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/sie-wollten-schueler-ueberzeugen-bayerischer-rundfunk-blamiert-sich-mit-gender-s-80835142.bild.html

Für mich ist die Auseinandersetzung ums Sternchen-Deutsch wahrlich ein Beitrag aus der „Habt ihr sonst keine Sorgen?“-Abteilung. Dabei kann ich die Ängste von Frauen (oder non-binären Menschen), sprachlich sozusagen im Dunkeln zu bleiben, durchaus verstehen. Wobei mir als Lehrer vollkommen klar war, dass ich männliche und weibliche „Schüler“ hatte – schon deshalb, weil letztere meist fleißiger und sozial verträglicher waren. Und ich vergaß keine Sekunde, dass sich im „Lehrerzimmer“ auch Frauen befanden (schon an der Geräuschkulisse erkennbar).

Wie halte ich es selber mit dem Gendern? Wo immer es mir sprachlich angemessen erscheint, verwende ich auch die weibliche Variante, manchmal die Verlaufsform. Vor allem dort, wo man vielleicht nicht ganz selbstverständlich draufkommt, es könnten auch Frauen beteiligt sein. Da ganze Sternchen, Binnen-I und Schräg- sowie Unterstrich-Gedudel ist für mich eine sprachliche Vergewaltigung, welche ich nur als satirisches Stilmittel einsetze.

Klar, die Sprache entwickelt sich ständig weiter – aber von „unten“ her, also durch den Gebrauch im Alltag. Was man derzeit aber versucht, ist eine von oben verordnete Reform: Von einschlägigen Universitäts-Instituten aus versuchen durchgeknallte Ideolog*innen, dem Volk nicht wie weiland Luther aufs Maul zu schauen, sondern ihm dieses zu verbieten.

Es wird sich nicht durchsetzen – ebenso wenig wie künstlich aufgedrückte „Códigos“ beim Tango.

Man erweist dem unbedingt nötigen Feminismus einen Bärendienst, wenn man ihn mit verstiegenen, theoretisierenden Forderungen der Lächerlichkeit preisgibt. Die wahren Probleme der Frauen in diesem Land sind nicht die Gender-Sternchen, sondern beispielsweise Männer, die sich um den Unterhalt drücken oder gar der Ex gewaltsam nachstellen und Arbeitgeber, die in ihren Büros fröhlich dem „Mansplaining“ frönen oder sich mit irgendwelchen Spitzfindigkeiten um eine gleiche Bezahlung von Frauen und Männern drücken.

Und im Tango sind es weniger die argentinischen Verhaltensnormen aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, sondern der sehr reale Machismo auf den Veranstaltungen.

Um trotz des ernsten Themas mit einer Pointe zu schließen: Auch militante Tierschützer beschimpfen auf offener Straße lieber eine alte Oma wegen ihres Pelzmantels als einen Hells Angel wegen seiner Lederjacke!

https://www.youtube.com/watch?v=UKRHZg-8ch4