Dienstag, 24. September 2019

Greta im Muffel-Modus

 
„Wo Liebe wächst, gedeiht Leben - wo Hass aufkommt, droht Untergang.“
(Mahatma Gandhi)

Es braucht bei mir immer einige Zeit, bis ein Unbehagen zu einer derartigen Größe anwächst, dass ich etwas dazu schreiben muss.

Heute trifft es die schwedische Klima-Ikone Greta Thunberg. Gestern hielt sie auf dem UN-Sondergipfel zum Klima in New York eine Ansprache, welche man wohl neudeutsch als „Wutrede“ bezeichnet. In Auszügen:

„Meine Botschaft ist, dass wir auf euch aufpassen werden! Das ist alles falsch. Ich sollte nicht hier sein. Ich sollte auf der anderen Seite des Ozeans wieder in der Schule sein. Doch ihr sucht Hoffnung bei uns Jugendlichen. Wie könnt ihr es wagen? Ihr habt meine Träume gestohlen und meine Kindheit mit euren leeren Worten. Und dabei bin ich noch eine der Glücklichen. Die Menschen leiden, sie sterben, ganze Ökosysteme brechen zusammen. Wir stehen am Beginn eines Massen-Aussterbens, und alles, worüber ihr sprechen könnt, sind Geld und Märchen von ewigem Wirtschaftswachstum – wie könnt ihr es wagen!
(…)
Ihr seid immer noch nicht reif genug zu sagen, wie es wirklich ist. Ihr lasst uns im Stich. Alle kommenden Generationen haben euch im Blick und wenn Ihr Euch dazu entscheidet, uns im Stich zu lassen, dann entscheide ich mich zu sagen: Wir werden Euch nie vergeben! Wir werden Euch das nicht durchgehen lassen!"



Ich möchte der beliebten Debatte um die klimamäßigen Auswirkungen des Kohlendioxids mit Sicherheit keinen neuen Beitrag hinzufügen – eines Gases übrigens, das zu 0,04 Volumenprozent in der Erdatmosphäre enthalten ist und die entscheidende Voraussetzung für die Fotosynthese der Pflanzen und somit aller Nahrungsketten auf diesem Planeten darstellt. Solche Tatsachen liest man ja derzeit kaum noch… aber genug davon!

Zweifellos ist die Inszenierung mit der jungen Klima-Aktivistin genial: Wie dereinst die „Pilgrim Fathers“ erobert sie per Segelboot mit ihrer unfrohen Botschaft die Neue Welt (nun gut, das mit den zugehörigen Flügen der Schiffsbesatzung war ein kleiner Regiefehler). Und dann zeigt die 16-Jährige den anwesenden 60 Regierungschefs (sogar Mister Trump schaute kurz rein) die Zähne und macht sie so richtig nieder! Das ist Jeanne d’Arc 2.0 in Perfektion, und das Schönste dabei: Verbrennen wird man sie nicht – schon wegen der unzulässigen Kohlendioxid-Emissionen!

Die Wirkung jedenfalls, so berichten Medien, sei phänomenal gewesen – manche Regierungsvertreter hätten Tränen in den Augen gehabt. (Nun, ob da nicht doch diverse Imageberater mit einigen Tröpfchen Glyzerin…)

Ohne Zweifel: Während Weissagungen des nahen Weltuntergangs früher eher den Zeugen Jehovas vorbehalten blieben, hängen ihnen heute Menschen an, welche sich für kritisch und aufgeklärt halten!  

Leute meiner Generation freilich müssen da etwas umdenken, da sie bislang davon ausgingen: Wenn man Menschen oder ganze Staaten von dringenden neuen Projekten überzeugen will, muss man sie dafür begeistern. Es sollte Freude machen, sich für positive Dinge zu engagieren.

Längst schon aber hat sich bei (nicht nur) linken Weltuntergangs-Propheten, grünen Verbots-Politikern und anderen Lactose-Intoleranten ein anderes Rezept etabliert: Da man selber scheiße drauf ist, sorge man als erstes dafür, auch den anderen die Stimmung zu verderben. Aus lauter schlechtem Gewissen werden die dann schon kuschen…

Ein anderes schönes Beispiel: Ernährung wird heute vorwiegend unter dem Aspekt von Gefahren gesehen, welche sich durch den Verzehr riskanter Produkte auftun. Wehe, einer wagt es, in sozialen Netzwerken Wurst, Schinken oder Spiegeleier zu posten – sofort hat er etliche Apologeten des Untergangs an der Backe, welche anklagend das schreckliche Schicksal von Schweinen oder Legehennen beschwören. Guten Appetit!

Apropos: Man würgt also aus Vernunftgründen das politisch Korrekte hinein, anstatt zumindest auch darauf zu achten, ob es einem schmeckt. Das könnte Glückshormone aktivieren, die der Gesundheit durchaus förderlich wären. Doch irgendwann werden Menschen, die sich einfach (und offenbar grundlos) des Lebens freuen, bestimmt mit Depressiva behandelt…    

Überdies bin ich für Greta Thunberg und ihre eventuellen Kinder durchaus optimistisch. Die schwedische Stimmungstöte lebt in einer Zeit, in der es immer weniger Menschen gibt, die wirklich hungern müssen, in einem Sozialsystem, welches ihr Chancen gibt wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte, mit einer Lebenserwartung, die so hoch ist wie zu keiner anderen Zeit. Und sie hat rekordverdächtige Gelegenheiten, weltweit ihre Ansichten verbreiten zu können. Noch vor einer Generation wäre das einem Mädchen in ihrem Alter unmöglich gewesen.

2013 hat vor der UN-Vollversammlung eine damals Gleichaltrige gesprochen – aus einem Land, in dem Frauen so gut wie keine Rechte haben, wo viele noch ohne Chancen in Armut leben. Die spätere Friedensnobelpeis-Trägerin Malala Yousafzai, die einem Mordanschlag der Taliban nur mühsam überlebte. Sie hätte also allen Grund gehabt, vor den Vertretern der Weltgemeinschaft noch viel derber abzuledern. Stattdessen klang ihre Rede so:
        

„Liebe Schwestern und Brüder, ich bin gegen niemanden, auch bin ich nicht hier, um aus persönlicher Rache gegen die Taliban oder irgendeine andere terroristische Gruppe zu sprechen. Ich bin hier, um meine Meinung zu sagen für das Recht auf Bildung für alle Kinder. Ich wünsche mir Bildung für die Söhne und Töchter der Taliban und aller Terroristen und Extremisten. Ich hasse nicht einmal den Taliban, der auf mich geschossen hat. Selbst wenn eine Waffe in meiner Hand wäre und er vor mir stünde, würde ich ihn nicht erschießen.

Das ist das Mitgefühl, das ich von Mohammed gelernt habe, dem Propheten der Barmherzigkeit und von Jesus Christus und Buddha. Das ist das Erbe des Wandels, das ich von Martin Luther King, Nelson Mandela und Muhammad Ali Jinnah übernommen habe.

Das ist die Philosophie der Gewaltlosigkeit, die ich von Gandhi, Badshah Khan und Mutter Theresa gelernt habe. Und das ist die Versöhnlichkeit, die ich von meinem Vater und meiner Mutter gelernt habe. Meine Seele sagt mir: ‚Sei friedfertig und liebe alle.‘
(…)
Also lasst uns einen weltweiten Kampf wagen, gegen Analphabetismus, Armut und Terrorismus, lasst uns unsere Bücher und Stifte holen, sie sind unsere stärksten Waffen. Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern. Bildung ist die einzige Lösung. Bildung zuerst. Vielen Dank!“
https://www.kindernetz.de/infonetz/politik/frauenrechte/-/id=286214/property=download/nid=271614/6djvc8/SWRKindernetz-Rede-Malala.pdf


Und die Schule hätte Malala auch nicht geschwänzt, im Gegenteil: Sie wurde auf dem Weg dorthin angeschossen.



Das Ziel, das man verfolgt, muss in den Mitteln, die man anwendet, erkennbar sein. Das sagte vor vielen Jahren schon Mahatma Gandhi. Daher: Sollte Greta Thunberg sich irren, sind ihre Reden peinlich – sollte sie jedoch Recht behalten, wären sie eine Katastrophe.

Dienstag, 17. September 2019

Wahlkampfhilfe für Höcke


„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört.“
(Hanns Joachim Friedrichs, Journalist und Moderator)

Letzten Mittwoch fand in Erfurt ein Interview mit dem Thüringer Fraktions- und Landesvorsitzenden der AfD, Björn Höcke, statt. Geführt wurde es vom ZDF- Redakteur David Gebhard für die Sendereihe „Berlin direkt“.

Die Einstiegsidee des Journalisten war es, AfD-Bundestagsabgeordnete mit zwei Höcke-Zitaten zu konfrontieren und deren Reaktionen zu Beginn des Gesprächs einzuspielen:

„Ein paar Korrekturen und Reförmchen werden nicht ausreichen, aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, dass wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen, dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt."

„Die Sehnsucht der Deutschen nach einer geschichtlichen Figur, welche einst die Wunden im Volk wieder heilt, die Zerrissenheit überwindet und die Dinge in Ordnung bringt, ist tief in unserer Seele verankert.“

Seine Partei-Kollegen wurden gefragt:

„Ist das aus ‚Mein Kampf‘ oder von Herrn Höcke?“

Da wollte sich natürlich keiner so genau festlegen: Man habe den Hitler-Klassiker nicht gelesen – und kenne auch das Buch von Björn Höcke nicht so genau. Daraus schloss der Interviewer messerscharf:

„Genau, Herr Höcke, Ihre eigenen Leute können jetzt da nicht sagen, ob das noch Höcke oder schon Hitler ist. Was sagt das über Ihre Sprache aus?“

Erwartbar wurden sich die Herren darüber nicht einig. Für knapp 10 Minuten drehte sich das Gespräch immer wieder darum, ob Begriffe wie „Volksverderber“, „Keimzelle des Volkes“ oder „Lebensraum“ eindeutig der NS-Terminologie zuzuordnen seien oder nicht.

Der Befragte attackierte die „Stellenmarkierer, die nur unterwegs sind, in dieser Zeit und dieser Republik, um irgendwie etwas zu kontaminieren, was angeblich nicht mehr sagbar ist“: „Und dieses Land leidet unter der Herrschaft der politischen Korrektheit. Es gibt gewisse Politikfelder, die man nur mit größter Vorsicht betreten kann. Ich nenne hier das Thema Einwanderung, das Thema Islam beispielsweise oder allein das Thema Familienpolitik.

Daraus schließt der ZDF-Redakteur:

Also, Begriffe wie ‚Lebensraum im Osten‘, auf dem, wie gesagt, ein Vernichtungskrieg gegründet war, sagen Sie, damit muss man locker umgehen, damit muss man … Das darf sozusagen nicht verboten sein, da kalkuliert mit umzugehen.“

Höcke kontert:

„Ich habe im Plenum gerade jetzt einen Tagesordnungspunkt, da geht es um Lebensräume, beispielsweise, da geht es um Naturschutzräume. Da wird auch von Lebensraum von Rotmilanen gesprochen. Da können Sie in jeder Landtagsrede in dieser Republik, die vielleicht heute gehalten wird, diesen Begriff finden, wenn Sie ihn suchen würden.“

Höckes Pressesprecher unterbricht nun das Interview und fordert, noch einmal von vorne anzufangen. Die Fragen hätten seinen Chef „stark emotionalisiert“, zudem sei die Thematik vorher so nicht abgesprochen worden: Es hätte schwerpunktmäßig um Landespolitik gehen sollen.

Der ZDF-Mann bestreitet das – es sei sehr wohl verabredet worden, auch über Sprachstil und Politikverständnis allgemein zu sprechen. Einen zweiten Interview-Versuch lehnt er strikt ab.

Der AfD-Politiker findet den Einspieler zu Beginn „nicht wirklich redlich“. Als es klar wird, dass man das Gespräch abbricht, kündigt er „Konsequenzen“ an:

„Es geht doch darum, und das spüren Sie doch auch, dass wir mittlerweile in einem Stadium angekommen sind, wo Politiker und Journalisten nicht mehr offen miteinander reden können, weil man das Gefühl hat, als Politiker – ich rede jetzt mal als AfD-Politiker – dass der Journalist nicht mehr neutral ist, sondern, dass er irgendwie einen politischen Auftrag exekutiert.“
(…)
„Passen Sie auf. Wir beenden das Interview, nur, dann ist klar … Wir wissen nicht, was kommt … Dann ist klar, dass es mit mir kein Interview mehr für Sie geben wird.“

Letzten Sonntag lief das gesamte Gespräch beim ZDF im Abendprogramm – das Video dazu sowie eine schriftliche Fassung sind in der Mediathek abrufbar:

Der ZDF-Chefredakteur Peter Frey verteidigte das Vorgehen in einer Sendung am 16.9.19 vorbehaltlos:

Ich weiß wirklich nicht, ob ich über eine derartige journalistische Fehlleistung lachen oder weinen soll.

Schon der anfängliche Einspieler ist ein logischer Amoklauf: Da wird also gefragt, ob bestimmte Zitate von Höcke oder Hitler seien. Weil man sich eine Antwort nicht zutraut, müssen also beide Herren ähnliche politische Ziele verfolgen. Das ist gedanklich ungefähr so zwingend, als wenn aus der Unfähigkeit, Zitate Goethe, Schiller oder Hölderlin zuzuordnen, auf deren gleiche literarische Ideenwelt geschlossen würde.

Vor allem aber: Klar verwenden AfD-Politiker rechte Sprüche, um ihre immer stärker in diese Richtung driftende Klientel bei Laune zu halten – und um hinterher bei Befragungen zu beteuern, sie seien natürlich missverstanden worden. Darüber kann man gerne den x-ten Beitrag drehen. Doch wozu brauche ich darüber ein Gespräch mit Herrn Höcke?

Konnte der Frager auch nur die leiseste Hoffnung hegen, der AfD-Politiker würde zugeben: „Ja, ich verwende ganz gezielt Formulierungen, welche das national-völkische Lager schon richtig verstehen wird?“ Wohl kaum!

An dem Punkt wird es für mich richtig schlimm: Altmodischerweise war ich bislang der Ansicht, Journalisten würden Politiker befragen, weil sie von ihnen etwas wissen wollen, deren Meinung zu ergründen trachten. Und natürlich darf man bei schwammigen Antworten nachhaken – mit je mehr Sachkenntnis, desto wirkungsvoller.

Leider scheint sich im deutschen Journalismus immer mehr die konfrontative Methode zu etablieren: Nicht genehme Politiker medial zu pulverisieren.

Ein Interviewer muss keineswegs „neutral“ sein, er hat jedoch seine eigenen Ansichten aus einem ganz einfachen Grund zurückzuhalten: Weil es um sie nicht geht! Alles andere ist „Gesinnungs-Journalismus“.

Daher kann ich dem ZDF zu dieser Leistung nur gratulieren: Die Zahl der Thüringer Wähler, die Ende Oktober ihr Kreuz bei der AfD machen werden, wurde wohl deutlich erhöht. Höcke konnte sich eindrucksvoll als „Opfer“ der „Systemmedien“ darstellen, der es dennoch wagt, Dinge auszusprechen, „die man ja heute nicht mehr sagen darf“. Diese Art von „Sprachpolizei“ ist bekanntlich vor allem bei den Ostdeutschen mit SED-Erfahrung äußerst beliebt.

Und vielen Menschen in den sterbenden Dörfern Thüringens dürfte es piepegal sein, ob „Lebensraum“ eine Nazi-Konnotation aufweist oder nicht. Mehr würde sie wohl interessieren, ob es in ihrem Siedlungsraum demnächst wieder einen Tante-Emma-Laden, eine Arztpraxis oder einen funktionierenden Busverkehr gibt.

Was trägt die AfD zur Lösung solcher Sachprobleme bei? Macht sie nur große Sprüche, kümmert sie sich wirklich um die kleinen Leute oder eher um ihre Abgeordneten-Diäten? Mit solchen Fragen könnte man die Höckes knacken.

Ob die 1995 verstorbene Journalismus-Ikone Hanns Joachim Friedrichs auch so ein Wortklauber-Interview geführt hätte? Wohl nicht – schon deshalb, weil er derzeit eher damit beschäftigt sein dürfte, sich im Grab umzudrehen…

Und hier das gesamte Gespräch: