Freitag, 13. Januar 2023

Meine Charts aus dem Dummdeutschen

 

„Da schießt man übers Ziel hinaus.“ (Innenminister Joachim Herrmann über die geplante Verschärfung des Waffenrechts, Bayerisches Fernsehen, 9.1.23)

Immer wieder staune ich über neue Redewendungen, mit welchen uns Politiker und Medien beglücken. Meist entstehen sie in Situationen, in denen der Betreffende nichts zu sagen weiß. Das wäre nicht schlimm, wenn er es nicht dennoch versuchte. In der Folge wird der Sprachmüll dann vielfach nachgeplappert.

In den letzten Tagen habe ich mir einige dieser Geistesleistungen aufgeschrieben und auch andere um Vorschläge gebeten. Freuen Sie sich nun auf meine Charts – Best of Deppendeutsch:

„Gipfel“

Der an sich klare Begriff bezeichnet inzwischen nicht nur die Spitze eines Berges oder metaphorisch irgendetwas kaum Überbietbares. Vielmehr muss er dafür herhalten, wenn hochrangige Verursacher einer Katastrophe, welche von genau diesen verursacht wurde, sich zu deren Behebung treffen. Gerne spricht man dann auch von „Krisengipfel“ – was nicht deren Höhepunkt meint. Klar, dass dabei kaum etwas herauskommt. Es gilt immer noch das Wort des Kabarettisten Werner Schneyder: „Verantwortliche, die sich selber suchen, finden sich in der Regel nicht.“

„Narrativ“

Ich habe folgende Definition gefunden:

„Eine Erzählung, Geschichte oder ein Märchen ist ein Bericht über eine Reihe von zusammenhängenden Ereignissen oder Erfahrungen, unabhängig davon, ob es sich um ein Sachbuch (Memoiren, Biografie, Nachrichtenbericht, Dokumentarfilm, Reisebericht usw.) oder um ein fiktives Buch (Märchen, Fabel, Legende, Thriller, Roman usw.) handelt.“

https://en.wikipedia.org/wiki/Narrative

Gerade in politischen Debatten dient der anspruchsvoll (und englisch) klingende Begriff heute meist dazu, die Behauptungen oder Argumente des werten Gegners herunterzumachen. Vielleicht meinen manche, der Wort leite sich von „Narr“ ab – was angesichts der Verwendung durchaus naheliegt!

„Quantensprung“

Wird gerne benützt, um die Bedeutung einer (meist positiv verstandenen) Sache rhetorisch aufzublähen. Auch, wenn man keine Ahnung von der Quantentheorie hat. Die wahre Bedeutung hat uns bereits der Physiker und Kabarettist Vince Ebert erklärt: „Ein Quantensprung bezeichnet den kleinstmöglichen Energieübergang, meist von einem höheren auf ein niedrigeres Niveau.“

„Am Ende des Tages“

Eine Luxusformulierung, mit welcher der Benutzer andeuten will, er ahne hellseherisch bereits das Ende einer Entwicklung. Nein: Am Ende des Tages wird es Nacht. Sonst gar nichts.

„zeitnah“

Wird bevorzugt dann verwendet, wenn man sich auf die Dauer einer Erledigung nicht festlegen will – sonst könnte man ja „sofort“ oder „bis übermorgen“ sagen. Stattdessen sieht man die Zeit nahen, in der man sich noch vor der Ausführung des Versprochenen drücken kann. Um nochmals Werner Schneyder zu zitieren: „Wenn Politiker von einem ‚Sofortprogramm‘ sprechen, weiß man: Es ist zu spät.“

„schlagen Alarm“

Eigentlich ist doch klar: Wenn eine Alarmglocke ertönt, hilft nur noch „rennen, retten, flüchten“. Inzwischen schlägt in fast jeder Nachrichtensendung einer Alarm – meist der Vertreter eines Interessenverbands, der seiner Lobbyarbeit den Anschein von Dringlichkeit verleihen möchte.

„Das macht Sinn“

Wird bevorzugt zur Rechtfertigung von sinnlosem Gedöns eingesetzt. Leider kann man aber Sinn nicht „machen“ – stattdessen wohnt er einer Sache halt inne oder auch nicht. Meist gilt der zweite Fall.

„kulturelle Aneignung“

Ähnlich verhält es sich mit der Kultur – sie gehört überhaupt keinem, sondern ist gemeinsames Erbe der Menschheit. Somit kann man sie weder verscherbeln noch sich „aneignen“.

„nachhaltig“

Laut Duden: sich auf längere Zeit stark auswirkend“

https://www.duden.de/rechtschreibung/nachhaltig

Wurde inzwischen von umweltbewussten Propheten ausschließlich für ihre Zukunftsvorstellungen gekapert. Dabei ist der Begriff völlig wertneutral. Wer jemand in den Bauch boxt, hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck – hier stimmt sogar die Metapher perfekt!

„Das macht etwas mit einem“

Meist wird gar nicht gesagt, was ein Umstand denn mit einem mache. Was bleibt, ist eine beliebige verbale Flatulenz, welche der sprachlichen Beeindrucke dient sowie Innigkeit vorgaukelt. Wie immer es sei: Mir sind Menschen lieber, die aus einer Sache etwas machen – und nicht die Sache mit ihnen!

Nun aber – Lasergewitter, Bodennebel, Fanfaren, Tänzerinnen – meine drei Spitzenreiter:

„Achtsamkeit“

Ein Wort, welches bei mir inzwischen sofortige Übelkeit auslöst: Man achtet halt auf vieles – vielleicht auch auf Umstände, welche einem Vorteile verschaffen oder den lieben Nächsten sogar abschmieren lassen. Mit der früher verwendeten „Rücksichtnahme“ hat das wenig zu tun. Nach meinen Erfahrungen nennen sich speziell guruartige Leisetreter „achtsam“, um unter dieser Maskierung beliebige Sauereien anzustellen.

„Aktivisten“

bezeichnet heute nicht etwa Menschen, welche positive Aktivitäten zeigen, sondern meist Straftäter, welche von der Unwiderlegbarkeit ihrer Einstellungen überzeugt sind und ihre Mitmenschen mit Nötigungen drangsalieren.

Ähnlich schrecklich finde ich die Bezeichnung „Fans“ für Zeitgenossen, welche Massensportarten wie Fußball mit Gewalttaten überziehen. Mehr Euphemismus geht wirklich nicht!

Nun aber meine absolute Lieblings-Wendung aus dem Dummdeutschen:    

„Mit etwas umgehen“

Bezeichnenderweise wird selten gesagt, wie man denn konkret mit einem Problem umgehe – geschweige denn es löse. Eher „umgeht“ man es halt rhetorisch…

Diese Redewendung ersetzt perfekt eine Formulierung aus den 1990er Jahren. Wenn ein Politiker damals etwas nicht wusste oder wissen wollte, kam die unvermeidliche Aussage, er „gehe davon aus“. Was meist bedeutete, er mache sich leise vom Acker.

Das erinnert mich an einem Spruch aus meiner Pubertätszeit:

„Wer Ford fährt, kehrt nie wieder.“

Leider kann man heute unbesorgt die sprachliche Nebelmaschine anwerfen – Journalisten, welche gezielt und unerbittlich nachfragen, sind eher selten. Zumal sie oft dieselben Phrasen einsetzen.

Aus einem uralten Programm der „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“ kann ich noch heute diese Zeilen auswendig:

„Unbekannt, selbst ihren Kündern

Tropfen aus den Staatsmannsmündern

Ketten von verkackten Kürzeln

Achtlos wie aus Hühnerbürzeln“

Geben wir dazu noch einem Meister der sprachlichen Polemik das Wort:

https://www.youtube.com/watch?v=zfOGYckuHsw

P.S. Vielleicht gibt es demnächst einmal meine Hitliste aus dem Tango-Dummdeutschen“. Seien Sie gespannt!

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/01/die-hits-des-tango-sprachmulls.html

1 Kommentar:

  1. Mein Link zu diesem Artikel wurde nun von Facebook gesperrt, weil er angeblich gegen dessen Gemeinschaftsstandards verstößt. Ich habe diese Entscheidung akzeptiert, weil ich mich nicht mit dem internationalen Datenriesen herumstreiten möchte.
    Was ich allerdings interessant finde: Da hat sich also offenbar jemand beschwert. Ein weiterer Versuch, meinem Blog das Wasser abzugraben. Öffentlich mit mir darüber zu diskutieren, traut man sich lieber nicht!
    Selbstverständlich bleibt der Artikel auf diesem Blog und auch auf dem Tango-Blog stehen.

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