Dienstag, 17. März 2020

Kommentaritis


Noch ansteckender als das Corona-Virus ist die schon in Friedenszeiten hohe Tendenz, Artikel in Blogs und sozialen Medien mit dem zu versehen, was man für einen Kommentar hält. Dazu trägt momentan vor allem die exponentiell steigende Zahl von Virus-Experten bei.

Was mich schon seit Jahren schmerzt: Häufig meint man, einen Text zu kommentieren, indem man dazu wenige Zeilen assoziativen Mülls hinterlässt: Apropos, da fällt mir doch spontan ein Spruch oder ein Video dazu ein! Und gerade Männer reagieren dann hierauf mit dem Reflex: „Das ist noch gar nichts – da weiß ich noch einen besseren.“ Infektiös ersaufen so sinnvolle Texte in Schwemmen von Stammtischgeschwafel und themenfernem Blödsinn.

Mit einem wirklichen Kommentar hat das natürlich etwa so viel zu tun wie das Gekraksel eines Sechsjährigen mit einer Promotionsarbeit.

Im Gegensatz zu vielen anderen Bloggern lege ich daher überhaupt keinen Wert auf eine möglichst hohe Zahl von Anmerkungen der Leser. Klar, wer mag, darf gerne – aber ich leite daraus weder Qualität noch Attraktivität der Artikel ab.

Sicher freue ich mich über ermutigende Sätze wie „Toller Artikel“ – nur: Was genau hat denn dem Leser gefallen – und warum? War es verständlich genug? Welche Argumentation war am überzeugendsten? Geriet der Artikel zu lang oder hätte man sich weitere Ausführungen (wozu?) gewünscht?

Erst recht gilt das für kritische (bis vernichtende) Anmerkungen: Was denn nun wie viel oder wenig mit Satire zu tun hätte oder aus welch bösem Geltungsdrang ein Autor sich äußert, hat mit der Qualität eines Textes nichts zu tun. Interessanter wäre für mich, welches meiner Argumente nicht stichhaltig erschien – und wie denn nun der Kommentator seine gegensätzliche Auffassung begründet.

Allgemein wenig bekannt dürfte sein, dass die literarische Form des Kommentars durchaus auch Abiturienten abverlangt werden kann. Und da diese Personengruppe ja derzeit Hausarrest hat, könnte eine kleine Anleitung zum Schreiben eines solchen Textes auch für sie interessant sein – freilich aus der Feder eines praktizierenden Satirikers:

In Abituraufgaben wird eher ein freier Kommentar zu einem aktuellen Thema erwartet. Der muss natürlich umfangreicher sein (gefordert werden oft 800 Wörter) als eine Anmerkung zu einem Blogtext. Da meine Artikel meist eine Länge von gut 1000 Wörtern haben, hielte ich aber 20 Prozent davon schon für die Mindestlänge. (Beispiel: Bis hierher hat mein Artikel etwa 350 Wörter.)

Für viele unfassbar: Überlegen Sie sich zunächst einmal das Thema, welches der Autor behandelt hat – es sollte in einen Satz passen. (Wenn nicht, war der Artikel schlecht oder Ihnen mangelt es an Abstraktionsvermögen).

Welcher Auffassung ist der Autor? Auch das muss mit einen Satz zusammenzufassen sein!

Welche hauptsächlichen Argumente (höchstens drei) leiten den Schreiber?

So, und das fassen Sie nun in wenigen Zeilen zusammen – ja nicht zu ausführlich – steht ja alles schon im Artikel!

Davor pappen Sie nun einen originellen, kurzen (!) Einstieg, der Lust macht, Ihren Text zu lesen! Ach ja: Ein knackiger Titel wäre nicht verkehrt – vielleicht ein Wortspiel mit einer Redensart, einem bekannten Zitat o.ä.

Ganz wichtig: Bedenken Sie die Leserschaft, an die Sie sich wenden! Wenn die beispielsweise hauptsächlich aus Tangotänzern besteht, bringt es wenig, sich in allgemeinpolitische oder gesellschaftliche Ebenen zu verirren. Welches Vorwissen können Sie voraussetzen? Weder sollten Sie das Publikum überschätzen noch allgemein Bekanntes ventilieren!

Nach der Einführung wird es spannend: Ihre eigene Ansicht muss zum Tragen kommen, indem Sie sich kurz, aber überzeugend mit den zentralen Argumenten des Autors auseinandersetzen. Hier können Sie direkte oder indirekte Zitate (bitte nicht zu lang) verwenden. Entscheidend ist aber die Schlagkraftkraft Ihrer Positionen! Vermeiden Sie Allgemeinplätze oder Unterstellungen, was der Autor angeblich geschrieben habe! Die kann der aufmerksame Leser leicht entlarven. Bleiben Sie also haarscharf am Text! Und achten Sie auch hierbei auf die Unterscheidung zwischen feststehenden Tatsachen und Ihrer Wertung.

Das alles sollten Sie abschließend möglichst kreativ und interessant zusammenfassen. Je knackiger und witziger Ihnen das gelingt, desto mehr werden Sie die Lesenden auf Ihre Seite ziehen!

Im Gegensatz zur eher trockenen, längeren Erörterung verlangt ein Kommentar knappes, pointiertes Schreiben! Sie müssen Ihren Text also mehrfach überarbeiten. Ziel: Langatmige Formulierungen vermeiden, die wichtigen Punkte kurz und klar herausstellen!

Ironie dürfen Sie als Stilmittel durchaus (sparsam) einsetzen – Sarkasmus oder gar Zynismus dagegen lassen daran zweifeln, ob es Ihnen wirklich um die Sache geht! Und nochmal: Arbeiten Sie sich am Inhalt und nicht am Autor ab – sonst geraten Sie schnell in den Verdacht der persönlichen Voreingenommenheit. Das wird unbefangene Leser eher abschrecken – und um die sollte es Ihnen ja gehen, Ihre Fans müssen Sie nicht mehr überzeugen!

Liebe Tangofreunde, liebe Abiturienten,

ich hoffe, mit meinen Tipps dienlich gewesen zu sein. Gerne dürfen Sie mir mal einen Kommentar schicken, ich korrigiere ihn gerne!

Im folgenden Video können Sie sich weiter informieren:


Und bitte: Korrektes Deutsch ist eine Höflichkeitsbezeugung gegenüber dem Leser. Er sollte Ihren Kommentar leicht und flüssig lesen können!

Wenn Sie also schon Käse schreiben – schreiben Sie ihn richtig:

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