Dienstag, 17. September 2019

Wahlkampfhilfe für Höcke


„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört.“
(Hanns Joachim Friedrichs, Journalist und Moderator)

Letzten Mittwoch fand in Erfurt ein Interview mit dem Thüringer Fraktions- und Landesvorsitzenden der AfD, Björn Höcke, statt. Geführt wurde es vom ZDF- Redakteur David Gebhard für die Sendereihe „Berlin direkt“.

Die Einstiegsidee des Journalisten war es, AfD-Bundestagsabgeordnete mit zwei Höcke-Zitaten zu konfrontieren und deren Reaktionen zu Beginn des Gesprächs einzuspielen:

„Ein paar Korrekturen und Reförmchen werden nicht ausreichen, aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, dass wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen, dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt."

„Die Sehnsucht der Deutschen nach einer geschichtlichen Figur, welche einst die Wunden im Volk wieder heilt, die Zerrissenheit überwindet und die Dinge in Ordnung bringt, ist tief in unserer Seele verankert.“

Seine Partei-Kollegen wurden gefragt:

„Ist das aus ‚Mein Kampf‘ oder von Herrn Höcke?“

Da wollte sich natürlich keiner so genau festlegen: Man habe den Hitler-Klassiker nicht gelesen – und kenne auch das Buch von Björn Höcke nicht so genau. Daraus schloss der Interviewer messerscharf:

„Genau, Herr Höcke, Ihre eigenen Leute können jetzt da nicht sagen, ob das noch Höcke oder schon Hitler ist. Was sagt das über Ihre Sprache aus?“

Erwartbar wurden sich die Herren darüber nicht einig. Für knapp 10 Minuten drehte sich das Gespräch immer wieder darum, ob Begriffe wie „Volksverderber“, „Keimzelle des Volkes“ oder „Lebensraum“ eindeutig der NS-Terminologie zuzuordnen seien oder nicht.

Der Befragte attackierte die „Stellenmarkierer, die nur unterwegs sind, in dieser Zeit und dieser Republik, um irgendwie etwas zu kontaminieren, was angeblich nicht mehr sagbar ist“: „Und dieses Land leidet unter der Herrschaft der politischen Korrektheit. Es gibt gewisse Politikfelder, die man nur mit größter Vorsicht betreten kann. Ich nenne hier das Thema Einwanderung, das Thema Islam beispielsweise oder allein das Thema Familienpolitik.

Daraus schließt der ZDF-Redakteur:

Also, Begriffe wie ‚Lebensraum im Osten‘, auf dem, wie gesagt, ein Vernichtungskrieg gegründet war, sagen Sie, damit muss man locker umgehen, damit muss man … Das darf sozusagen nicht verboten sein, da kalkuliert mit umzugehen.“

Höcke kontert:

„Ich habe im Plenum gerade jetzt einen Tagesordnungspunkt, da geht es um Lebensräume, beispielsweise, da geht es um Naturschutzräume. Da wird auch von Lebensraum von Rotmilanen gesprochen. Da können Sie in jeder Landtagsrede in dieser Republik, die vielleicht heute gehalten wird, diesen Begriff finden, wenn Sie ihn suchen würden.“

Höckes Pressesprecher unterbricht nun das Interview und fordert, noch einmal von vorne anzufangen. Die Fragen hätten seinen Chef „stark emotionalisiert“, zudem sei die Thematik vorher so nicht abgesprochen worden: Es hätte schwerpunktmäßig um Landespolitik gehen sollen.

Der ZDF-Mann bestreitet das – es sei sehr wohl verabredet worden, auch über Sprachstil und Politikverständnis allgemein zu sprechen. Einen zweiten Interview-Versuch lehnt er strikt ab.

Der AfD-Politiker findet den Einspieler zu Beginn „nicht wirklich redlich“. Als es klar wird, dass man das Gespräch abbricht, kündigt er „Konsequenzen“ an:

„Es geht doch darum, und das spüren Sie doch auch, dass wir mittlerweile in einem Stadium angekommen sind, wo Politiker und Journalisten nicht mehr offen miteinander reden können, weil man das Gefühl hat, als Politiker – ich rede jetzt mal als AfD-Politiker – dass der Journalist nicht mehr neutral ist, sondern, dass er irgendwie einen politischen Auftrag exekutiert.“
(…)
„Passen Sie auf. Wir beenden das Interview, nur, dann ist klar … Wir wissen nicht, was kommt … Dann ist klar, dass es mit mir kein Interview mehr für Sie geben wird.“

Letzten Sonntag lief das gesamte Gespräch beim ZDF im Abendprogramm – das Video dazu sowie eine schriftliche Fassung sind in der Mediathek abrufbar:

Der ZDF-Chefredakteur Peter Frey verteidigte das Vorgehen in einer Sendung am 16.9.19 vorbehaltlos:

Ich weiß wirklich nicht, ob ich über eine derartige journalistische Fehlleistung lachen oder weinen soll.

Schon der anfängliche Einspieler ist ein logischer Amoklauf: Da wird also gefragt, ob bestimmte Zitate von Höcke oder Hitler seien. Weil man sich eine Antwort nicht zutraut, müssen also beide Herren ähnliche politische Ziele verfolgen. Das ist gedanklich ungefähr so zwingend, als wenn aus der Unfähigkeit, Zitate Goethe, Schiller oder Hölderlin zuzuordnen, auf deren gleiche literarische Ideenwelt geschlossen würde.

Vor allem aber: Klar verwenden AfD-Politiker rechte Sprüche, um ihre immer stärker in diese Richtung driftende Klientel bei Laune zu halten – und um hinterher bei Befragungen zu beteuern, sie seien natürlich missverstanden worden. Darüber kann man gerne den x-ten Beitrag drehen. Doch wozu brauche ich darüber ein Gespräch mit Herrn Höcke?

Konnte der Frager auch nur die leiseste Hoffnung hegen, der AfD-Politiker würde zugeben: „Ja, ich verwende ganz gezielt Formulierungen, welche das national-völkische Lager schon richtig verstehen wird?“ Wohl kaum!

An dem Punkt wird es für mich richtig schlimm: Altmodischerweise war ich bislang der Ansicht, Journalisten würden Politiker befragen, weil sie von ihnen etwas wissen wollen, deren Meinung zu ergründen trachten. Und natürlich darf man bei schwammigen Antworten nachhaken – mit je mehr Sachkenntnis, desto wirkungsvoller.

Leider scheint sich im deutschen Journalismus immer mehr die konfrontative Methode zu etablieren: Nicht genehme Politiker medial zu pulverisieren.

Ein Interviewer muss keineswegs „neutral“ sein, er hat jedoch seine eigenen Ansichten aus einem ganz einfachen Grund zurückzuhalten: Weil es um sie nicht geht! Alles andere ist „Gesinnungs-Journalismus“.

Daher kann ich dem ZDF zu dieser Leistung nur gratulieren: Die Zahl der Thüringer Wähler, die Ende Oktober ihr Kreuz bei der AfD machen werden, wurde wohl deutlich erhöht. Höcke konnte sich eindrucksvoll als „Opfer“ der „Systemmedien“ darstellen, der es dennoch wagt, Dinge auszusprechen, „die man ja heute nicht mehr sagen darf“. Diese Art von „Sprachpolizei“ ist bekanntlich vor allem bei den Ostdeutschen mit SED-Erfahrung äußerst beliebt.

Und vielen Menschen in den sterbenden Dörfern Thüringens dürfte es piepegal sein, ob „Lebensraum“ eine Nazi-Konnotation aufweist oder nicht. Mehr würde sie wohl interessieren, ob es in ihrem Siedlungsraum demnächst wieder einen Tante-Emma-Laden, eine Arztpraxis oder einen funktionierenden Busverkehr gibt.

Was trägt die AfD zur Lösung solcher Sachprobleme bei? Macht sie nur große Sprüche, kümmert sie sich wirklich um die kleinen Leute oder eher um ihre Abgeordneten-Diäten? Mit solchen Fragen könnte man die Höckes knacken.

Ob die 1995 verstorbene Journalismus-Ikone Hanns Joachim Friedrichs auch so ein Wortklauber-Interview geführt hätte? Wohl nicht – schon deshalb, weil er derzeit eher damit beschäftigt sein dürfte, sich im Grab umzudrehen…

Und hier das gesamte Gespräch:

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