„Einen guten
Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer
Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber
nirgendwo dazu gehört.“
(Hanns Joachim
Friedrichs, Journalist und Moderator)
Letzten
Mittwoch fand in Erfurt ein Interview mit dem Thüringer Fraktions- und
Landesvorsitzenden der AfD, Björn Höcke,
statt. Geführt wurde es vom ZDF-
Redakteur David
Gebhard für die Sendereihe „Berlin
direkt“.
Die
Einstiegsidee des Journalisten war es, AfD-Bundestagsabgeordnete mit zwei Höcke-Zitaten
zu konfrontieren und deren Reaktionen zu Beginn des Gesprächs einzuspielen:
„Ein
paar Korrekturen und Reförmchen werden nicht ausreichen, aber die deutsche
Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, dass wir die Sache gründlich und
grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann
machen wir Deutschen keine halben Sachen, dann werden die Schutthalden der
Moderne beseitigt."
„Die
Sehnsucht der Deutschen nach einer geschichtlichen Figur, welche einst die
Wunden im Volk wieder heilt, die Zerrissenheit überwindet und die Dinge in
Ordnung bringt, ist tief in unserer Seele verankert.“
Seine Partei-Kollegen wurden
gefragt:
„Ist
das aus ‚Mein Kampf‘ oder von Herrn Höcke?“
Da wollte sich natürlich keiner
so genau festlegen: Man habe den Hitler-Klassiker nicht gelesen – und kenne
auch das Buch von Björn Höcke nicht so genau. Daraus schloss der Interviewer
messerscharf:
„Genau, Herr Höcke,
Ihre eigenen Leute können jetzt da nicht sagen, ob das noch Höcke oder schon
Hitler ist. Was sagt das über Ihre Sprache aus?“
Erwartbar wurden sich die Herren
darüber nicht einig. Für knapp 10 Minuten drehte sich das Gespräch immer wieder
darum, ob Begriffe wie „Volksverderber“, „Keimzelle des Volkes“ oder „Lebensraum“ eindeutig der NS-Terminologie zuzuordnen seien
oder nicht.
Der Befragte attackierte die „Stellenmarkierer, die nur unterwegs sind, in dieser Zeit
und dieser Republik, um irgendwie etwas zu kontaminieren, was angeblich nicht
mehr sagbar ist“: „Und dieses Land leidet unter der Herrschaft der politischen
Korrektheit. Es gibt gewisse Politikfelder, die man nur mit größter Vorsicht
betreten kann. Ich nenne hier das Thema Einwanderung, das Thema Islam
beispielsweise oder allein das Thema Familienpolitik.“
Daraus schließt der
ZDF-Redakteur:
„Also,
Begriffe wie ‚Lebensraum im Osten‘, auf dem, wie gesagt, ein Vernichtungskrieg
gegründet war, sagen Sie, damit muss man locker umgehen, damit muss man … Das
darf sozusagen nicht verboten sein, da kalkuliert mit umzugehen.“
Höcke kontert:
„Ich habe im Plenum
gerade jetzt einen Tagesordnungspunkt, da geht es um Lebensräume, beispielsweise,
da geht es um Naturschutzräume. Da wird auch von Lebensraum von Rotmilanen
gesprochen. Da können Sie in jeder Landtagsrede in dieser Republik, die
vielleicht heute gehalten wird, diesen Begriff finden, wenn Sie ihn suchen
würden.“
Höckes Pressesprecher unterbricht nun das
Interview und fordert, noch einmal von vorne anzufangen. Die Fragen hätten
seinen Chef „stark emotionalisiert“,
zudem sei die Thematik vorher so nicht abgesprochen worden: Es hätte schwerpunktmäßig
um Landespolitik gehen sollen.
Der
ZDF-Mann bestreitet das – es sei sehr wohl verabredet worden, auch über
Sprachstil und Politikverständnis allgemein zu sprechen. Einen zweiten
Interview-Versuch lehnt er strikt ab.
Der
AfD-Politiker findet den Einspieler zu Beginn „nicht wirklich redlich“. Als es klar wird, dass man das Gespräch
abbricht, kündigt er „Konsequenzen“
an:
„Es geht doch darum,
und das spüren Sie doch auch, dass wir mittlerweile in einem Stadium angekommen
sind, wo Politiker und Journalisten nicht mehr offen miteinander reden können,
weil man das Gefühl hat, als Politiker – ich rede jetzt mal als AfD-Politiker –
dass der Journalist nicht mehr neutral ist, sondern, dass er irgendwie einen
politischen Auftrag exekutiert.“
(…)
„Passen Sie auf. Wir
beenden das Interview, nur, dann ist klar … Wir wissen nicht, was kommt … Dann
ist klar, dass es mit mir kein Interview mehr für Sie geben wird.“
Letzten
Sonntag lief das gesamte Gespräch beim ZDF im Abendprogramm – das Video dazu
sowie eine schriftliche Fassung sind in der Mediathek abrufbar:
Der
ZDF-Chefredakteur Peter Frey
verteidigte das Vorgehen in einer Sendung am 16.9.19 vorbehaltlos:
Ich
weiß wirklich nicht, ob ich über eine derartige journalistische Fehlleistung
lachen oder weinen soll.
Schon
der anfängliche Einspieler ist ein logischer Amoklauf: Da wird also gefragt, ob
bestimmte Zitate von Höcke oder Hitler seien. Weil man sich eine
Antwort nicht zutraut, müssen also beide Herren ähnliche politische Ziele
verfolgen. Das ist gedanklich ungefähr so zwingend, als wenn aus der
Unfähigkeit, Zitate Goethe, Schiller oder Hölderlin zuzuordnen, auf deren gleiche literarische Ideenwelt
geschlossen würde.
Vor
allem aber: Klar verwenden AfD-Politiker rechte
Sprüche, um ihre immer stärker in diese Richtung driftende Klientel bei
Laune zu halten – und um hinterher bei Befragungen zu beteuern, sie seien natürlich
missverstanden worden. Darüber kann
man gerne den x-ten Beitrag drehen. Doch wozu brauche ich darüber ein Gespräch
mit Herrn Höcke?
Konnte
der Frager auch nur die leiseste Hoffnung hegen, der AfD-Politiker würde
zugeben: „Ja, ich verwende ganz gezielt Formulierungen, welche das
national-völkische Lager schon richtig verstehen wird?“ Wohl kaum!
An
dem Punkt wird es für mich richtig schlimm: Altmodischerweise war ich bislang
der Ansicht, Journalisten würden Politiker befragen, weil sie von ihnen etwas
wissen wollen, deren Meinung zu ergründen trachten. Und natürlich darf man bei
schwammigen Antworten nachhaken – mit je mehr Sachkenntnis, desto wirkungsvoller.
Leider
scheint sich im deutschen Journalismus immer mehr die konfrontative Methode zu
etablieren: Nicht genehme Politiker medial zu pulverisieren.
Ein
Interviewer muss keineswegs „neutral“ sein, er hat jedoch seine eigenen
Ansichten aus einem ganz einfachen Grund zurückzuhalten: Weil es um sie nicht
geht! Alles andere ist „Gesinnungs-Journalismus“.
Daher
kann ich dem ZDF zu dieser Leistung nur gratulieren: Die Zahl der Thüringer
Wähler, die Ende Oktober ihr Kreuz bei der AfD machen werden, wurde wohl deutlich
erhöht. Höcke konnte sich eindrucksvoll als „Opfer“ der „Systemmedien“
darstellen, der es dennoch wagt, Dinge auszusprechen, „die man ja heute nicht
mehr sagen darf“. Diese Art von „Sprachpolizei“ ist bekanntlich vor allem bei
den Ostdeutschen mit SED-Erfahrung äußerst beliebt.
Und
vielen Menschen in den sterbenden Dörfern Thüringens dürfte es piepegal sein, ob „Lebensraum“
eine Nazi-Konnotation aufweist oder nicht. Mehr würde sie wohl interessieren, ob
es in ihrem Siedlungsraum demnächst wieder einen Tante-Emma-Laden, eine
Arztpraxis oder einen funktionierenden Busverkehr gibt.
Was
trägt die AfD zur Lösung solcher Sachprobleme bei? Macht sie nur große Sprüche,
kümmert sie sich wirklich um die kleinen Leute oder eher um ihre
Abgeordneten-Diäten? Mit solchen Fragen könnte man die Höckes knacken.
Ob
die 1995 verstorbene Journalismus-Ikone Hanns
Joachim Friedrichs auch so ein Wortklauber-Interview geführt hätte? Wohl
nicht – schon deshalb, weil er derzeit eher damit beschäftigt sein dürfte, sich
im Grab umzudrehen…
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