Wahrscheinlich werden viele meiner Leser
nicht verstehen können, warum ich eine Rezension
ausgerechnet zu diesem Buch schreibe.
Ich schon.
Die Autorin ist die Noch-Ehefrau des (derzeit suspendierten) Regensburger Oberbürgermeisters. Wer die „Regensburger Parteispenden-Affäre“ nicht kennen sollte – hier in
Kurzform:
Joachim Wolbergs (damals
noch SPD) gewann im Mai 2014 die Stichwahl um den Posten des Oberhaupts der
viertgrößten bayerischen Stadt mit zirka 70 Prozent. Etwa 2 Jahre später
leitete die Regensburger Staatsanwaltschaft gegen ihn (und andere) ein
Ermittlungsverfahren ein. Der anfängliche Vorwurf: Vorteilsgewährung bzw. Vorteilsannahme
sowie Verstöße gegen das
Parteiengesetz. Es ging um (gestückelte) Parteispenden und private
Vergünstigungen, die Wolbergs angeblich von einem Bauunternehmer bekommen
hatte. Als Gegenleistung sollte der fette Bauaufträge von der Stadt erhalten
haben.
Im Januar 2017 wurde der Vorwurf auf Bestechlichkeit erhöht. Der
Oberbürgermeister und weitere Personen wurden in Untersuchungshaft genommen, die Landesanwaltschaft verhängte die
einstweilige Suspendierung Wolbergs. Nach knapp 6 Wochen wurde der Haftbefehl
gegen ihn mit Auflagen außer Vollzug
gesetzt.
Im März 2018 eröffnete das Landgericht Regensburg das Hauptverfahren gegen den OB und drei
Mitangeklagte, allerdings wurde der Tatvorwurf der Bestechung bzw.
Bestechlichkeit nicht angenommen. Am Ende des Prozesses, der sich von September
2018 bis Juli 2019 hinzog, wurde Wolbergs von allen wesentlichen Anklagepunkten
freigesprochen. Lediglich in 2
Fällen ging das Gericht von einem „Verbotsirrtum“ aus und kam zu einem
Schuldspruch wegen Vorteilsannahme. Von einer Bestrafung sah das Gericht ab – Wolbergs sei durch das Verfahren „quasi
ruiniert“.
Das betrifft nicht nur seine Finanzen. Gerade
die Inhaftierung hat bei ihm, seiner
Frau sowie seinen beiden Kindern heftige Traumata
ausgelöst. Wolbergs beteuert bis heute seine Unschuld und strebt die Aufhebung seiner Suspendierung sowie eine
neue Kandidatur bei den
Kommunalwahlen 2020 an. Er und seine Verteidiger kritisierten immer wieder den
unverhältnismäßigen und zum Teil illegalen Aufwand, mit dem die Ermittler gegen
ihn vorgegangen seien – so wurden (auch höchst private) Telefonate abgehört und
zirka 2 Millionen E-Mails ausgewertet.
In ihrer Urteilsbegründung
rüffelte die Richterin die Staatsanwaltschaft in einer selten dagewesenen
Weise: Die U-Haft sei unangemessen gewesen, ebenso viele Ermittlungen,
insbesondere die bei der Telefonüberwachung.
Das Urteil ist wegen laufender Revisionen noch nicht rechtskräftig.
Zudem hat die Staatsanwaltschaft weitere
Verfahren gegen den OB (wegen der gleichen Delikte) angestrengt. Zankapfel ist
der sehr breit ausgelegte Vorwurf der Vorteilsannahme, der einen Amtsträger
schon in Verdacht bringt, wenn er überhaupt Parteispenden annimmt – auch, wenn
seine dienstlichen Tätigkeiten stets legal waren.
Große Vorwürfe macht Wolbergs vielen
Repräsentanten seiner Partei, die ihn weitgehend abgeschrieben hätten. Im April
2019 hat er die SPD verlassen und
sich einem unabhängigen Wählerverein
angeschlossen.
Damit man mich nicht missversteht: Ich kann und
will nicht entscheiden, ob bzw. wie sich das suspendierte Stadtoberhaupt schuldig gemacht hat. Fest steht
derzeit jedenfalls: Das lange Verfahren hat nicht bewiesen, dass Wolbergs
in seinen dienstlichen Handlungen „käuflich“
gewesen ist.
Mir geht es um ein Buch:
„In Liebe, Jana!“
nennt Anja Wolbergs ihren Roman –
mit dem Untertitel „Ein Skandal und große Gefühle in Regensburg“ (welcher, so
die „Zeit“ in ihrer Rezension, eine ZDF-Verfilmung geradezu erzwinge).
Das
Werk ist in großen Teilen wohl autobiografisch,
was schon die Namen der Eheleute („Jonas und Jana Wolters“) nahelegen. Und auch
Sohn und Tochter sind im realen Teenager-Alter. Lediglich der Ich-Erzähler, ein guter Freund und kurz
vor der Rente stehender Lokaljournalist,
wurde wegen des Perspektivenwechsels (sowie zur Beschreibung der
Medien-Aktivität) hinzuerfunden.
Wie aus ihren Schlussbemerkungen deutlich
wird, hat die Autorin mit Verrissen
gerechnet, vor allem von Menschen, „deren
eigenes Leben furchtbar langweilig sein musste oder die selbst viel mitgemacht
hatten und nun ihre Verzweiflung und ihren Hass öffentlich auslebten, um ihr
eigenes Selbstwertgefühl zu steigern“.
Wohl wahr! Es ist für mich immer wieder ein großes
Vergnügen, auf „Amazon“ negative
Rezensionen zu lesen. Über missliebige Bücher (nicht nur zum Tango) gehören
folgende Einschätzungen zum Standard:
·
Das Motiv des Autors
ist wahlweise Eitelkeit oder Geldgier.
·
Das geistige Niveau
ist unterirdisch.
·
Unglaublich, dass ein
Verlag so etwas veröffentlicht!
Kostproben zum vorliegenden Buch:
„Unerträgliche
Selbstbeweihräucherung“
„Unverständlich das
ein Verlag dahinter steht !
Ich konnte dieses
Buch kaum lesen, unerträglich die Ausdrucksform, Wortwiederholungen , Satzbau
und eine Sprache die, vergleichbar mit einer häuslichen Unterhaltung ist .“
„Ein kleiner
unwichtiger Skandal aus dem eine kleine unwichtige Frau Profit schlagen möchte.“
„Zur Schau stellt sie sich als infantile
Naive, die unter Drucksituationen/ in Konflikten keinen Windhauch stand hält.“
„Es ist ein einfach
geschriebener ‚Hausfrauenroman‘ auf dem Niveau eines Aufsatzes der Mittelstufe.“
„Stilistisch und
inhaltlich ist dieser Groschenroman ein einziges Desaster. Der mitunter
weinerliche Ton und die küchenpsychologischen Plattitüden sind einfach nur zum
Fremdschämen.“
(Hinweis: Rechtschreibung und Interpunktion
unkorrigiert!)
Aber auch professionelle Rezensenten lassen kaum ein gutes Haar an dem Buch – so bezeichnet sie die „Zeit" (Link siehe oben) die Autorin ironisch als die „Hillary Clinton" Regensburgs.
Klar, die Autorin ist keine geübte
Schriftstellerin. Ihre Sprache ist einfach und gelegentlich unbeholfen,
manchmal auch redundant – und einige Exkurse in „philosophische“ Sphären hätte
ich ihr als Lektor gestrichen. Einen „literarischen“
Anspruch erhebt der „Roman“ jedoch gar nicht.
Was mich an dem Werk fasziniert: Es ist authentisch und beschreibt den Tsunami, der über eine
Politiker-Familie hereinbricht. Und der beginnt bereits vor den juristischen
Attacken gegen den Ehemann, als der seiner Frau mitteilt, er würde sich von ihr
trennen. Der nicht gerade originelle Grund: eine neue Beziehung in Gestalt einer Arbeitskollegin.
Wie wird man allein schon damit fertig – und
dann noch mit den ganzen üblen Gerüchten
und Verdächtigungen, die ein solcher
Politskandal mit sich bringt? Wie
reagierend die Kinder, wenn man
ihnen mitzuteilen hat, der Vater sei verhaftet und in die psychiatrische Abteilung einer Justizvollzugsanstalt eingewiesen
worden – wegen angeblicher Suizidgefahr? Wie verhalten sich Verwandte, Freunde,
Bekannte, Arbeitskollegen, Lehrer, Schulkameraden? Wie geht man mit einer Staatsanwaltschaft um, der man jeden
Besuchsschein abbetteln muss und bei der man das Mitbringen frischer
Unterwäsche für den Häftling zu beantragen hat?
Einen „Windhauch“ nennt das ein Rezensent.
Ich sehe darin die komplette Vernichtung einer bürgerlichen Existenz. Die „Unschuldsvermutung“ steht dabei nur
auf dem Papier – schon lange vor dem Prozess hatten viele den einstigen
Polit-Hoffnungsträger abgeschrieben. Insbesondere die völlig überzogene U-Haft
trug dazu bei: Wenn die Behörden zu so harten Maßnahmen griffen, müsse ja „etwas
dran“ sein!
Vieles an dieser Affäre erinnert an den
Absturz des ehemaligen Bundespräsidenten Christian
Wulff: Auch bei ihm ging es um Vorteilsannahme von reichen „Freunden“ sowie
eine überzogen agierende Staatsanwaltschaft – und er bekam sogar einen glatten Freispruch.
Warum gerade Wolff oder Wolbergs? Ich fürchte, das ist eher Zufall. Zu sorglos mit der gefährlichen
Melange aus beruflicher und privater
Nähe sind viele. Wenn man dann Verdächtiges entdeckt, bricht bei
manchen Menschen etwas durch, was ich als „Bluthund-Natur“
bezeichnen möchte: Das angeschossene Wild wird gnadenlos verfolgt, bis es
erlegt ist – je prominenter, desto besser. Leider gibt es diese Spezies nicht
nur bei Journalisten, sondern auch
in staatlichen Ermittlungsbehörden.
Die pflichtgemäße Suche auch nach Entlastendem
findet dann nicht mehr statt.
Mehr noch: Man tritt nach, auch wenn der
Gegner schon am Boden liegt. Ein Begriff wie „Ritterlichkeit“ erscheint dann mehr als altmodisch. Die Stärke des Buches besteht vor allem
darin, dass Anja Wolbergs dies auch an kleinen und kleinsten Details durchdekliniert: Da gibt es Beamte, die sich an ihre Vorschriften halten müssen und dennoch Verständnis für eine Ehefrau haben, die
nach der Verhaftung ihres Mannes völlig durch den Wind ist. Und andere, welche
ihre gesetzlichen Möglichkeiten anscheinend genießerisch einsetzen, um die
Familie noch mehr zu traktieren.
Und auch darüber könnte das Werk zum Nachdenken anregen: Man kommt – auch in
einem Rechtsstaat – schneller in Haft, als die meisten es sich vorstellen
können. Da reicht eine falsche Aussage, und schon steht morgens um Sechs die
Polizei vor der Tür! Das Leben wird danach nie mehr so, wie es einmal war.
Im Gegensatz zum ehemaligen Staatsoberhaupt
ist Joachim Wolbergs nicht
zurückgetreten, musste seine Geschichten nicht immer wieder nachbessern,
sondern kämpft nach wie vor um die Wiederherstellung seiner Reputation. Und Anja Wolbergs ist keine „Glamour-Gattin“:
Während seiner Amtszeit war sie stets im Hintergrund geblieben, ist ein
Beispiel für viele Politiker-Ehefrauen,
die sich stattdessen um Haus, Hof und Kinder kümmern, ihrem Mann den Rücken
freihalten, dazu noch halbtags berufstätig sind – und schließlich von einer
Neuen ersetzt werden. Politik ist Gift
fürs Familienleben.
Doch nicht einmal die private Krise konnte sie aus der Bahn werfen: „Jana wollte zeigen, dass man trotz einer Trennung ordentlich mit
seinem Partner umgehen konnte, dass das Ende einer Beziehung nicht zwangsläufig
Rosenkrieg bedeutete. Dass man selbst in der schlimmsten Krise das Vertrauen
zueinander nicht verlieren musste.“
Im August 2018, kurz vor Prozessbeginn, ist
sie erstmals in die Öffentlichkeit
gegangen – mit einem Buch, das sie wohl in erster Linie schreiben musste, um
die Dinge für sich zu klären. Voraussehbar wurde sie dafür mit Dreck beworfen, von Selbstdarstellern der Selbstdarstellung
geziehen. Doch auch das wird sie in ihrer bodenständig-rustikalen Art
überstehen:
„Als Pfauen
bezeichnete sie heimlich die Selbstdarsteller, die ebenso wie das schöne Tier
ihr gefiedertes Rad schlugen, um aufzufallen. Wenn sie sich umdrehten, sah man
allerdings ihren nackten Arsch.“
P.S. Demnächst erscheint
diese Rezension in gekürzter Fassung auch bei Amazon.
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