Dienstag, 30. Juli 2024

Frau Rektor muss weg!

 

Schulleiter, so jedenfalls meine Berufserfahrungen, neigen eigentlich dazu, schlimme Zustände in ihrem Laden unter den Teppich zu kehren. Bekanntlich geht es um das Ansehen der Schule (und damit ihr eigenes).

Inzwischen scheinen die Verhältnisse an manchen Bildungsinstituten so auszuarten, dass vereinzelt Chefs die Flucht in die Öffentlichkeit antreten – wie der Direktor des Gymnasiums Dorfen, über den ich neulich berichtet habe.

Fernab vom Abitur hat nun die Rektorin einer vierklassigen bayrischen Grundschule beim Schuljahres-Abschlussfest den versammelten Eltern die Meinung gegeigt. Während sie die Mädchen der vierten Klasse lobte, kriegten die Buben ihr Fett ab: Die Rede war von einem „schwierigen Jahr“ und den „allerschlimmsten Jungen“, welche den Unterricht störten, nicht zuhörten und beispielsweise Klos verstopften.

Den Medien teilte sie im Nachgang mit:

„Bei den Buben mussten aus unserer Sicht die täglichen Regelverstöße benannt werden. Auch zahlreiche Sachbeschädigungen im Schulhaus zeugen von den Grenzüberschreitungen. Die in der Presse oft aufgeführte Respektlosigkeit in der Schule gegenüber Mitschülern und Erwachsenen können wir bei einigen Schülern der vierten Klasse leider nur bestätigen.“

Sie habe keine Namen genannt und deutlich gesagt, dass es nicht jeden Buben im gleichen Maße betreffe. Das vorbildliche Verhalten der Mädchen habe sie gelobt.

Dies wollten die anwesenden Buben-Mütter so nicht hinnehmen und fanden, das müssten sich ihre Söhne nicht anhören. Da Zwischenrufe nichts brachten, wurden die inzwischen heulenden Knaben von den Mamis vom Schulhof geführt. Die holten dann auch am nächsten Tag die Zeugnisse ab und schrieben ihren Söhnen Entschuldigungen. Man vergaß auch nicht ein Gruppenfoto und beschwerte sich bei der Schulamtsdirektorin, die schon mal zu Protokoll gab: „Ich finde es schade, dass solche Vorwürfe beim Abschied mitgegeben werden. Das Beschämen von Personen ist schlimm. Ein Fehler wird aber nicht dadurch besser, dass er mit einem Rachefeldzug beantwortet wird.“

Ob die Vorgesetzte vorher ein Gespräch mit der Rektorin gesucht hat, um sich den „Rachefeldzug“ erklären zu lassen, ist nicht bekannt.

Offenbar hatte es schon im Februar Probleme gegeben, weil eine Faschingsfeier total aus dem Ruder gelaufen sei. Kostümieren durften sich dann nur die Buben und Mädel der ersten zwei Klassen. Auch dieser wichtige Umstand ging bereits durch die Presse.

Wenn ich solche Geschichten lese, bin ich heilfroh, keine Schule mehr betreten zu müssen. Und ich kann mir vorstellen, wie schlimm es zugehen muss, bis eine Rektorin sich so äußert.

Klar, hinter solchen Vorfällen steckt stets eine Geschichte, die wir im Detail nicht kennen. Was ich aber sicher sagen kann:

Für mich ist es unheilvoll, dass immer mehr Eltern glauben, sich in schulische Belange heftig einmischen zu sollen, statt die Lehrkräfte einfach ihre Arbeit machen zu lassen. Und davon haben die Mütter und Väter weit weniger Ahnung, als sie glauben!

Mag ja sein, dass sich ihr Sohnemann daheim einigermaßen manierlich aufführt – schon deshalb, weil sie ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen. Welche Gruppendynamik dann am Tatort Schule abgeht, ahnen sie nicht – und sie wollen es auch gar nicht wissen.

Ich habe es im Beruf zunehmend erlebt, in welchem entwicklungsphysiologischen Urzustand Eltern bei uns oft Fünftklässler ablieferten. Simpelste Basics sozialen Zusammenlebens waren ihnen teilweise völlig fremd.

Merke: „Kleine Paschas“ müssen keinen Migrationshintergrund aufweisen!

Die testen ganz bewusst Grenzen aus – daher helfen nur klare Ansagen und Konsequenzen – möglichst nicht erst beim Abschlussfest.

Sollten die Kleinen wirklich geheult haben, dann sicher nicht wegen der Vorhaltungen der Rektorin – die hatten sie wohl schon dutzende Male gehört, ohne dass es sie wohl besonders beeindruckt hatte. Vor ihren „Kampfmüttern“ mussten sie sich dann natürlich als Opfer inszenieren. Hat ja auch geklappt:

Die Mamies ersparten ihnen die Konfrontation mit ihren Missetaten. Und verschafften ihnen einen zusätzlichen Ferientag, und um das Abholen ihrer Zeugnisse mussten sie sich ebenfalls nicht kümmern. Ich hoffe, in denen standen wenigstens einige unfreundliche Bemerkungen!

Leider kann man an Pflichtschulen Quertreiber nicht einfach mal nach Hause schicken. Denn das wäre eine wirksame Botschaft:

Wer sich so verhält, gehört nicht dazu!

Leider übersehen auch viele Lehrkräfte ihre vornehmste Aufgabe: Schüler (häufig Schülerinnen), die noch was lernen wollen, vor jungen Egomanen zu schützen. Und zwar durch Taten und nicht ellenlange Gespräche! Die Fleißigen fühlen sich zunehmend unbeachtet – die Lehrkraft muss sich ja an den Störern abarbeiten.

In einem Internetforum wurde auf den konkreten Vorfall angespielt und gefragt, was zu tun sei. Aus einer Antwort:

„Also mein Mitleid für die Bengel hält sich in Grenzen 😉

Man weiß ja, wie sich schon kleine Jungs aufführen in der Schule - aber wenn sie dann einmal hart ‚angefaßt‘ werden, heulen sie plötzlich los und wollen unter Mama‘s Rockzipfel *schneuz*
Finde die Eltern besonders lächerlich -> Wenn eine Rektorin Probleme anspricht - würde ich als Mutter zuerst einmal nachdenken, ob mein Rotzlöffel vielleicht doch etwas gemacht hat - denn sonst würde sie es wohl kaum machen.

Ob das auf die Abschiedsfeier gehört - darüber lässt sich streiten 😉 - aber WO soll sie es sonst machen - die meisten Eltern kommen ja meistens nicht mehr in die Sprechstunden oder auf Elternabende.“

https://www.gutefrage.net/umfrage/wie-wuerdest-du-reagieren-falls-bei-der-abschlussfeier-einer-schule-ueber-jungs-geschimpft-wird-und-dein-junge-ist-dabei  

Zu welchen Erfahrungen führen solche Ereignisse?

Die kleinen Lausbuben haben kapiert, dass ihnen die Rektorin gar nichts kann, so lange ihre Eltern sie in Schutz nehmen und auf eigene Erziehungsarbeit verzichten.

Den Müttern wurde bestätigt, dass sie – zusammen mit dem Schulamt – am längeren Hebel sitzen.

Der Rektorin wurde (wieder einmal) klar, dass Konsequenz nur dazu führt, dass sie selber Probleme kriegt. Je nach Alter könnte das zu einer schlechten Beurteilung oder gar Versetzung führen. Oder sie geht frühzeitig in den Ruhestand.

Das Wirkprinzip ist einfach:

Man bringt Kindern, denen nichts gefällt, bei, sich nichts gefallen zu lassen.

P.S. Wem die Anspielung im Titel nichts sagen sollte:

https://www.youtube.com/watch?v=PCtmZwCMI00 

Quellen:

https://www.merkur.de/lokales/muenchen-lk/garching-ort28709/ausgeschimpft-eltern-verlassen-aufgebracht-fest-die-jungen-niedergemacht-schueler-bei-abschlussfeier-93209059.html

https://www.msn.com/de-de/nachrichten/panorama/eklat-bei-abschlussfeier-rektorin-macht-sch%C3%BCler-nieder-bis-sie-weinend-fest-verlassen-eltern-entsetzt/ar-BB1qGBfe

https://www.merkur.de/lokales/muenchen-lk/garching-ort28709/hochbrueck-fasching-kostuemverbot-an-grundschule-in-garching-92822384.html

Freitag, 5. Juli 2024

Wie wir unser Abitur feierten

 

Im bayerischen Dorfen tobt nach einer bemerkenswerten Abiturfeier die Kommentarschlacht in den Medien.

https://www.merkur.de/lokales/erding/dorfen-ort28598/dorfener-abi-rede-dorfen-wir-haben-diese-standpauken-oft-erlebt-so-kam-es-zur-93164546.html#id-Comments

Je nach individueller Perspektive wird der jeweiligen Gegenseite die „Reife“ abgesprochen.

Die jugendlichen Verfasser der dortigen Abiturrede fordern nun „Fairness“, da sie ja nur geäußert hätten, was sie für „Kritik“ halten. Und ein wenig wollte man sicher auch dem bösen Schulleiter eins auswischen. Feindschaften müssen ja gepflegt werden.

https://www.merkur.de/lokales/erding/dorfen-ort28598/dorfener-abi-rede-dorfen-wir-haben-diese-standpauken-oft-erlebt-so-kam-es-zur-93164546.html

Da ich die sicherlich lange Vorgeschichte der Affäre nicht kenne, mag ich mich nicht zur charakterlichen Ausstattung der Akteure äußern. Als Sprachjunkie sage ich nur: Was Oberstudiendirektor Höß bei der Abifeier hinbekommen hat, war dramaturgisch vom Feinsten.

Das bestandene Abitur muss ja heute bis zum Abwinken gefeiert werden: Ohne eine größere Zahl von Festivitäten plus Geldaufwand geht gar nichts. Da werden die Söhnchen in modische Anzüge und die Töchterlein in lange Abendkleider gesteckt, Mutti war nochmal beim Friseur, und Vati hat zumindest die Mottenkugeln aus der Beerdigungs-Montur geschüttelt. Und das Reifezeugnis erhöht den sozialen Status der Erzeuger doch erheblich und ist daher zur Beeindrucke der Nachbarn bestens geeignet!

Und in dieser Situation ersehnter Größe stellt sich ein Schulleiter ans Mikrofon und verkündet kurz und knapp, wegen fehlender Reife gäbe es da nix zu feiern – und die Abiturzeugnisse konnte man sich bei den niederen Chargen abholen.

Ehrlich, da hätte er auch mit einem Wurstgürtel ins Krokodilbecken springen können – der provozierte Tumult war grandios, die Provinz hat nun ein Diskussionsthema für Wochen.

Ich finde es faszinierend, was Rhetorik ausrichten kann, und daher sage ich: Technisch gesehen war die Rede des Chefs zum Niederknien gut!

Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie ein Nachdenken darüber auslöst, wie man an den Schulen eigentlich miteinander umgehen sollte. Und wieso heute viele Lehrerinnen und Lehrer froh sind, wenn sie möglichst bald den Ruhestand erreichen können – und angehende Pädagogen es sich zweimal überlegen, ob sie diesen Beruf wirklich ergreifen sollen. Ich schrieb einmal, die Kolleginnen und Kollegen hätten den Rücken frei, denn hinter ihnen stünde niemand mehr.

Für mich war die Geschichte der Anlass, mein altes Abiturzeugnis vom 20.6.1970 herauszukramen. Tatsächlich betitelt es sich „Zeugnis der Reife“. Hat auch nicht jeder…

Es waren völlig andere Zeiten: Lehrer waren absolute Autoritätspersonen, an ihrem Urteil zu zweifeln galt als Hochverrat. Man hatte sie als „Herr Professor“ anzusprechen (Lehrerinnen gab es kaum). Unser Chef war ein lupenreiner Deutschnationaler, dessen Gebaren selbst im damaligen „Establishment“ Stirnrunzeln auslöste. Die Horrorvorstellung, aus seiner Hand das Abizeugnis zu erhalten, mochten wir nicht verwirklichen.

Daher weigerten wir uns, an einer Abiturfeier teilzunehmen. „Abistreich“, Abizeitung, Abiturball und andere Aktivitäten waren uns eh nicht geläufig. In unserem Garten dufte ich eine Party veranstalten, bei der schon meine Eltern Ausschreitungen aller Art verhinderten. Unser Abschlusszeugnis, im Jargon als „Wisch“ bezeichnet, holten wir uns im Sekretariat ab.

Ich habe nun lange darüber nachgedacht, ob wir damals einen Grund zum Feiern sahen – und wenn ja, welchen.

Ich glaube, am ehesten freuten wir uns, endlich die „Penne“ verlassen zu können. Die meisten von uns wollten studieren oder jedenfalls einen Beruf ergreifen, für den das Reifezeugnis eine gute Voraussetzung bot. Und sicherlich haben die Kumpel irgendwo privat gefeiert. Als Klasse oder gar Jahrgangsstufe waren wir sehr heterogen. Klar gab es diverse persönliche Freundschaften, mehr aber nicht.

Im dunklen Anzug an einer offiziellen Feierlichkeit teilzunahmen, wäre uns als „kleinbürgerliches Ritual“ lächerlich erschienen. Und nach einer Abiturrede gelüstete es niemanden von uns. Wir hätten gar nicht gewusst, welche Sprache wir verwenden sollten, um von den Erwachsenen verstanden zu werden.

Bedauere ich es heute, das Abitur ohne rauschende Feste erhalten zu haben? Und ohne die Lehrerschaft nochmal so richtig provoziert zu haben? Sicher nicht!

Und obwohl es sich bei der Mehrzahl unserer Ausbilder um autoritäre Hansel handelte, haben wir bei einigen von ihnen richtig viel gelernt und uns so eine solide Basis für den Beruf verschafft. Bei denen haben wir uns fallweise sogar persönlich bedankt. Der Dank wäre herzlicher ausgefallen, wenn man ein wenig netter mit uns umgegangen wäre.

Auf jeden Fall aber haben wir eine „höhere Schulbildung“ erhalten, welche diesen Namen noch verdiente. Welchen riesigen Vorteil das bedeutete, haben wir im weiteren Leben erfahren.

Das ist doch was!

P.S. Zur Dorfener Affäre:

https://gerhards-lehrer-retter.blogspot.com/2024/07/zum-fremdschamen.html