Mittwoch, 5. April 2017

Aníbal Triole



Hinweis: Dieser Text bezieht sich anfangs und vordergründig auf den argentinischen Tango, befasst sich aber durchaus mit einem schulischen Thema!

Ich habe schon darüber berichtet: Vor über drei Monaten versuchte ein Leser meines neuen Tangobuches, mir (unter dem Pseudonym „Englischfan“) per Verriss bei „Amazon“ ein wenig zu schaden:

Dass ein Autor auf eine negative Rezension dann persönlich antwortet, ja gar einen Artikel in seinem Blog darüber schreibt, empfand der Kritikus als dreiste Zumutung. Besonders sauer war er allerdings, als ich eine weitere Besprechung von ihm entdeckte, nämlich zu einem Tangobuch von Michael Lavocah, in der ich folgende Zeilen fand:

„We need more (Triole und Pugliese gibt es ja schon ;-) als Einzelbuch...). DANKE für dieses tolle Buch.“

Den ziemlich happigen Schreibfehler kommentierte ich wie folgt: „Unter einer Triole versteht man musikalisch einen Notenwert, welcher in drei Drittel unterteilt wird. Der berühmte Tangomusiker und -komponist heißt Aníbal Troilo.“

Auf solche Anmerkungen kriege ich stets zweierlei zu hören: Erstens die übliche „Oberlehrer-Schelte“ und zweitens eine Rechtfertigung des Inhalts, dass der Schreiber für solche orthografischen Griffe ins Klo nichts kann. So auch hier: 

„Das war echt lustig (keine gute Deutsch, ich weiß, aber Sie sind doch eigentlich auch Bio - und Chemielehrer. Okay ich probiere es noch mal: Triole Mist die Autokorrektur macht aus dem korrekten Troilo immer die Triole, die man jetzt in Anführungszeichen hätte setzen müssen.“

Ein bisschen peinlich war dem Sprachkünstler sein Missgriff dann wohl doch: Sowohl diese als auch die Rezension meines Buches wurden gelöscht, und das Pseudonym „Englischfan“ gibt’s nicht mehr. Ersatzweise hat nun ein „Thomas“ ähnlichen Besprechungs-Müll produziert…

Ein noch weiter ins Pathologische gehender Fall: Ein Tangolehrer verlangte das Geld für mein Buch zurück, da ich ihn mit dem Kaufanreiz „betrogen“ hätte. Im weiteren Wortwechsel zog er einen Vergleich zwischen dem „Milonga-Führer“ und Hitlers „Mein Kampf“. Zudem attestierte er mir eine „pseudointerlektuelle Fassade“. Das brachte selbst meine Frau so sehr in Rage, dass sie dem Tanzpädagogen unter anderem schrieb: „Ich denke, man sollte vorsichtig sein, über die intellektuellen Fähigkeiten anderer zu urteilen, wenn man das Wort ‚intellektuell' selbst nicht einmal richtig zu schreiben vermag!“

Auch hier das gleiche Reaktionsschema: „Im Übrigen zeigen Sie sich wieder mal im Oberlehrertalar, wenn sie in einem von mir in einem klapperigen Bus mit Smartphone-Tastatur eiligst geschriebene Rechtschreibfehler kritisieren. Unterste Schiene!“ (Abgesehen davon eher eine schlichte Ausrede: Man hatte wohl die lateinische Präposition „inter“ in einen falschen Zusammenhang gebracht…)

Und das sind ja wahrhaftig keine Einzelfälle: Im Internet wird flächendeckend ein Schluderdeutsch geschrieben, welches es nicht in sich hat – aber natürlich beanspruchen all diese Schreibtischtäter, für voll und sogar ernst genommen zu werden…

Daher will ich euch – ganz im Sinne des großen Lehrmeisters Tucholsky – mal was sagen:

Mir ist es sowas von wurst, ob ihr das, was ihr für Deutsch haltet, mit dem Griffel in Marmor ritzt, auf wackligem Untergrund in euer Smartphone zittert oder zu dämlich seid, mit der Autokorrektur-Funktion zurechtzukommen. Es steht euch nämlich frei, eine Veröffentlichungsweise zu wählen, mit der ihr halbwegs leserliche Sätze hinbekommt, oder euch halt als Dummdödel zu profilieren.

Und natürlich besteht da ein Zusammenhang zwischen Form, Inhalt und auch persönlichem Charakter – und da verfalle ich jetzt auf ein Zauberwort, welches ja gerade konservative Tangovertreter so gerne im Munde führen: Respekt. Nämlich vor dem Leser, indem man es ihm möglichst leicht macht, statt ihm Minuten wertvoller Lebenszeit zu rauben, bis er das Smartphone-Gedüdel endlich entziffert hat. Schon mal darüber nachgedacht?

Um die nun sicherlich beabsichtigten Missverständnisse ein wenig zu erschweren: Natürlich würde ich nie einen Hauptschulabsolventen mit Ironie überschütten, wenn er in einfacher Sprache etwas veröffentlicht. Aber das ist im Tango ja nicht das Problem: Bei den Herrschaften, welche hierzu etwas publizieren, handelt es sich überwiegend (und auch leider) um „G’studierte“, die im gescheit Daherreden einsame Spitze sind. Wenn so einer „Piazzolla“ dann mit einem „z“ schreibt, ist die die satirische Fallhöhe groß genug, um sie nicht zu übergehen zu wollen.

Und klar unterlaufen mir auch selber Fehler. Daher lese ich jede Mail, welche ich verschicke, mindestens dreimal vor dem Absenden – und die Blogtexte werden von mir noch öfter per Aktualisierung korrigiert. Außerdem besitzt so ziemlich jedes Internet-Forum eine „Edit“-Funktion, mittels welcher man auch nachträglich noch korrigieren darf. Und man könnte längere Texte ja auch per „Word“ verfassen (inklusive Rechtschreibprüfung) und dann in den Kommentarkasten hineinkopieren!

Zudem habe ich noch eine studierte Germanistin fürs Lektorat – aber das sollte man natürlich nicht von jedem erwarten…. Und die Tatsachen-Recherche ist ja heute per Internet einfacher denn je. Mein Prinzip ist also, mir selber mehr Arbeit zu machen, auf dass der Leser weniger hat.

Dennoch bleiben auch in meinen Texten sicherlich Fehler unentdeckt – aber ob man „der eine und der andere“ groß oder klein schreibt (Letzteres trifft zu), beeinflusst ja nicht die Verständlichkeit. Ums Schulmeistern geht es mir wahrlich nicht!

Und apropos, weil ich sonst dran ersticke: Das dämliche Geschwätz vom „Oberlehrer“ geht mir nicht erst heute auf den Zeiger. In meinem Berufsleben habe ich erfahren, dass wir es gar nicht richtig machen können: Wir sollen die Schüler möglichst effektiv qualifizieren, dürfen allerdings möglichst keine Standards setzen, die dann halt logischerweise manchmal unterschritten werden. Sonst versündigen wir uns an der armen Kinderseele, die ja bekanntlich stets auf Leistung orientiert ist. Wahrlich, wer Elternsprechstunden abhalten durfte, weiß, dass es nicht nur bei gewissen Staatspräsidenten eine „Kultur des Beleidigtseins“ gibt.

Und weil sich mein anfangs zitierter Kritiker gar so wunderte, was mich als Lehrer für Biologie und Chemie die Sprachkultur anginge: Als ich 1977 mit dem Schuldienst begann, gab es in der Schulordnung einen bemerkenswerten Satz: Im Mittelpunkt jedes Unterrichts steht die Pflege der deutschen Sprache. Bei irgendeiner späteren Gesetzesreform hat man diese Feststellung dann wohl untergepflügt – ich habe mich dennoch daran gehalten.

Einmal hat sich einen ganze Klassenelternversammlung gegen mich zusammengerottet, weil ich es wagte, in einer Prüfung die „Geiseltierchen“ als falsch zu bewerten: Von selbigen Einzellern ist mir nämlich nicht bekannt, dass sie andere gefangen nehmen – eher sorgen sie mit einer Art Propeller (mit scharfem „S“) für den nötigen Antrieb. Und auch der Begriff „Rückenrad“ fand bei mir keine Gnade, da man das Organ, welches Beamten angeblich fehlt, etwas anders schreibt. „Bewerten Sie auch Rechtschreibfehler?“ Ja, wenn sie sinnentstellend sind!

Klar kann man über all das „gnädig“ hinwegsehen. In einem Bewerbungsschreiben würden solche sprachlichen Kreationen dann eventuell den in Aussicht stehenden Job kosten. Tut man damit seinen Schülern einen Gefallen?

„Bewerbungssünden
Das Ergebnis: Rechtschreibung spielt für die Personaler eine herausragende Rolle. Bei einem Drittel der Personalverantwortlichen erhält der Bewerber schon bei mehr als einem Fehler in der Bewerbung eine Absage. Enthält das Bewerbungsschreiben mehr als drei Fehler, hat es nur noch bei 30% der Personaler eine Chance. Auch in der Rubrik ‚schlimmste Bewerbungssünden‘ liegen Rechtschreibfehler und eine unangemessene Sprache ganz weit vorne. Insbesondere eine falsche Schreibung ihres Namens oder der Firmen-Adresse stoßen bei Personalern auf Ablehnung.“

Dennoch muss niemand befürchten, dass er für einen Kommentar oder eine Mail an mich schlechte Noten bekommt. Wer allerdings seine Fallhöhe freiwillig erhöht, indem er ein hohes Ross besteigt und anschließend einen faulen Apfel fallen lässt, könnte statt im tangopolitischen Elysium als Gag auf meinem Blog landen. Für das zugehörige Wiehern sorge ich gerne.

P.S. Irgendwelche Rechtschreibfehler in diesem Text können gerne angemerkt werden – ich gelobe sofortige (Ver)besserung!

Und hier noch Kostproben eines wahren Experten:

Dienstag, 28. Februar 2017

Gefangen vom Teufelsgeiger


StGB § 239 (1):
Freiheitsberaubung
Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Kann Musikunterricht eine Freiheitsberaubung bedeuten? Diese elementare Frage beschäftigt derzeit die deutsche Justiz. Der Fall in Kurzform:

An einer Realschule im nordrhein-westfälischen Kaarst versuchte ein 50-jähriger Musiklehrer, seiner 6. Klasse in der letzten Stunde die Faszination des „Teufelsgeigers“ Niccolò Paganini nahezubringen.

Der Versuch scheiterte – die Schüler wollten lieber Unsinn machen. Daraufhin änderte der Kollege sein Unterrichtskonzept: Nunmehr war Abschreiben eines Wikipedia-Artikels über den Kunstgeiger angesagt.

Schlimmer noch: Nach Hause gehen dürfe man erst, so der Musiklehrer zehn Minuten vor dem Läuten, wenn er sich vom ordnungsgemäßen Zustand der einzelnen Arbeiten überzeugt habe. Dies führte zu Schlangenbildung und Stau vor der Tür, in welcher sich der Kollege mit Gitarre quer auf dem Schoß postiert hatte.

Diese Situation und ein sich vordrängelnder Schüler führte zu einer kleinen Rangelei, bei der dieser wohl unbeabsichtigt vom Lehrer einen Schubs erhielt, welcher – flugs als Boxhieb gedeutet – beim Sechstklässler zu Bauchweh führte.

Ein Klassenkamerad rief umgehend per Handy die Polizei: An der Schule drehe ein Lehrer durch – er sperre seine Klasse ein und schlage Schüler. Von diesem jungen Mann ging dann offenbar auch die Strafanzeige gegen den Musiklehrer wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung aus. Schon in der ersten Stunde, so der Musikpädagoge, habe er diesen Schüler beim heimlichen Lesen des BGB ertappt. Dessen Rechtfertigung: Er wolle Anwalt werden…

Nichtsdestotrotz fanden die drei mit dem Schulleiter eintreffenden Polizeibeamten eine eher entspannte Situation vor: Die meisten Schüler waren schon gegangen, bei einigen wurden noch die Hefteinträge durchgesehen.

Die Sache landete vor dem Amtsgericht in Neuss, das sich zunächst einmal vertagte, da der Hauptbelastungszeuge (der mit dem Bauchweh) nicht erschienen war. In ihren Aussagen wollten die Schüler den Rempler dann nicht mehr als besonders kräftig oder gar beabsichtigt einstufen, worauf der Lehrer insoweit freigesprochen wurde.

Die Freiheitsberaubung jedoch mochte der Vorsitzende nicht ignorieren und kam so zu einem Schuldspruch, allerdings nur in Form einer „Verwarnung mit Strafvorbehalt“ (§ 59 StGB): Er möge an einer Fortbildung über den Umgang mit schwierigen Schülern teilnehmen – ansonsten seien 1000 Euro Geldstrafe fällig.

Der verurteilte Kollege bekannte, er sei stets „offen für Tipps“, und es gehe ihm auch nicht um das Geld, sondern um die Sache: Auf Anraten seines Anwalts legte er Berufung ein.

Vor einigen Tagen nun wurde die Sache erneut vor dem Landgericht Düsseldorf verhandelt. Dem Vorsitzenden Richter war wohl von vornherein nach einer Verfahrenseinstellung zumute: „Es ist doch fraglich, ob es Sinn macht, so etwas zu verfolgen." Da aber machte die Staatsanwaltschaft nicht mit – und handelte sich logischerweise einen Freispruch ein.

Ende gut, alles gut? Keineswegs: Die Anklagevertreter haben nun Revision angekündigt. Das Verfahren wird somit beim Bundesgerichtshof landen – und dort sicherlich die angemessene Freude auslösen, sich mit einem solchen Quark abgeben zu müssen!

Um nun zum Paganini-Fall auch meine Meinung zu geigen:

Es spricht schon für die durch Bildungsreformen zunehmende Degeneration, die vom Lehrer angeordnete Stillbeschäftigung – wie die Staatsanwältin meinte – als  „kollektive Strafarbeit“ zu sehen. Hallo, geht’s noch? Immer noch ist der Lehrer frei in der Wahl seiner Unterrichtsmethode, und offenbar gab es in der Krisensituation „Musik in der letzten Stunde“ wohl kein anderes Mittel, die Schüler zu einer halbwegs konzentrierten Arbeit zu bewegen.

Angesichts dieser Rechtsprechung muss ich gestehen, selber wohl öfters straffällig geworden zu sein: „Den Unterricht beende ich und nicht der Gong!“ ist ein Satz, der zu meiner Zeit unter den Kollegen noch Allgemeingut war. Inzwischen gilt wohl ab dem Läuten der Paragraf 239 Strafgesetzbuch…

Völlig aus dem Blick scheint zu geraten, dass man sich bei der Schulanmeldung einem staatlichen Hoheitsverhältnis unterwirft, das Freiheiten einschränkt: Man kann seinen Aufenthaltsort nicht beliebig bestimmen, ja darf nicht einmal unerlaubt sprechen oder gar herumbrüllen, rauchen oder Alkohol trinken. Und man hat gemeinhin die Anweisungen des Lehrpersonals zu befolgen. Wie undemokratisch!

Sicherlich sieht man als Jurist den filigranen Unterschied, ob man als Lehrer die Anweisung gibt, das Klassenzimmer noch nicht zu verlassen, oder dies durch Blockieren der Tür unterbindet. Ein mit allen Paragrafen gewaschener Kollege hätte das Dableiben nicht per Körpereinsatz erzwungen, jedoch jeden Schüler, der verbotswidrig ging, zum Nachsitzen bestellt.

Auf die vermutlich folgenden vielen Stunden der Debatten mit Schülern, Eltern oder Schulleiter darf es uns ja nicht ankommen: „War das wirklich nötig, Herr Kollege – schließlich war doch die Stunde schon zu Ende, und der Schulbus…“

Sollten wir an unserem Arbeitsplatz auch einmal jedes Gebrüll über 70 Dezibel, jede Beleidigung oder psychischen Terror von Schüler- und Elternseite mit Strafanträgen und Schmerzensgeldklagen quittieren? Da hätte die Justiz gut zu tun…

Auf die Milde, welche die Strafverfolgungsbehörden jugendlichen Rasern (jedenfalls bis gestern) angedeihen ließen, dürfen wir Lehrer jedoch nicht hoffen. Es wäre der Staatanwaltschaft möglich gewesen, das Ermittlungsverfahren wegen erwiesenem Pipifax zu beenden, dem Gericht, die Anklage nicht zuzulassen oder ebenso nach § 153 StPO wegen geringer Schuld einzustellen. Aber – so steht zu befürchten – mindestens einer der Beteiligten hat wohl Kinder an der Schule, die „ungerecht behandelt werden“.

Wahrscheinlich werden die höchsten deutschen Strafrichter in Karlsruhe den Verfolgungstrieb der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft ziemlich abbürsten – und vielleicht führt dies beim einen oder anderen Anklagevertreter wenigstens zu einer schlechteren dienstlichen Beurteilung – so wie vermutlich bei dem Lehrerkollegen, da er „mangelndes pädagogisches Geschick“ gezeigt hat.

Dienstvorgesetzte und Schulaufsichtsbehörde dagegen – so ist sicher anzunehmen, werden nicht dafür sanktioniert, die Lehrer täglich in eine Schlacht zu schicken, nachdem sie ihnen vorher alle Waffen abgenommen haben.

Wie sagte unser Musiklehrer so schön zu seiner „Paganini-Affäre“:

"Alle Welt sagt uns, wie wir es besser machen können, aber keiner kommt und macht es vor."

P.S. Einige Quellen zum Thema:

http://www.xing-news.com/reader/news/articles/617829?link_position=digest&newsletter_id=20030&toolbar=true&xng_share_origin=email

http://www.xing-news.com/reader/news/articles/617829?link_position=digest&newsletter_id=20030&toolbar=true&xng_share_origin=email
http://www.news4teachers.de/2016/08/vbe-zum-freiheitsberaubungs-urteil-gegen-einen-lehrer-paedagogen-sind-immer-oefter-zahnlose-tiger/