Mittwoch, 28. September 2022

Video: Grenze für den Mimen

Ich habe gespielt, was zu spielen war." (Gustaf Gründgens)

Menschen von der Bühne aus zum Lachen, Staunen und Nachdenken zu bewegen hat mich schon früh fasziniert. Leider gab es an meinem Gymnasium keine Theatergruppe – ich wäre sofort beigetreten,

Ersatzweise versuchten einige Kumpel und ich, selber ein solches Team aufzubauen und Sketche von Karl Valentin einzustudieren. An der eigenen Schule nahm uns Fünfzehnjährige keiner ernst. Schließlich gelang es meinem Vater, über Beziehungen einen Probenraum an einer Berufsschule für uns zu organisieren – sehr zum Leidwesen des dortigen Hausmeisters, dem die Aufgabe, uns einmal wöchentlich ein Klassenzimmer auf- und wieder zuzusperren, deutlich missfiel.

In der Folge lancierte er immer wieder Beschwerden über uns – es ging wohl um die „Unordnung“, welche wir angeblich hinterließen (wahrscheinlich hatten wir nach den Proben mal die Tische und Stühle nicht wieder vorschriftsmäßig zurückgestellt). Zudem fand sich auch kein Veranstalter, der uns hätte auftreten lassen. Nach einem halben Jahr gaben wir entnervt auf.

Glücklicherweise konnte ich später meine Leidenschaft, mich auf der Bühne zu produzieren, als Zauberer und später als Moderator genügend ausleben. Sogar gegen Gage – und meist ungestört von Hausmeistern.

In den ersten Berufsjahren lernte ich dann eine Kollegin kennen, die eine Schulspiel-Gruppe leitete und für jede Hilfe dankbar war. Meine Faszination fürs Theater sowie die junge Dame führte zu einer noch heute bestehenden Zusammenarbeit.

Ich erinnere mich, dass Karin damals ihr erstes Großprojekt – „Pünktchen und Anton“ von Erich Kästner – sehr erfolgreich realisierte. Schon dabei lernte ich manche Schwierigkeiten kennen, mit welchen sich Leiterinnen von Schultheatergruppen herumschlagen müssen. Und für diesen Job gab es weder eine Anrechnung auf das Pflichtstundenmaß noch eine extra Vergütung – obwohl eine solche Inszenierung locker ein paar hundert zusätzliche Arbeitsstunden bedeutete.

In den nächsten 25 Jahren inszenierte Karin ungefähr ebenso viele Bühnenstücke, vom „Kleinen Prinzen“ über das „Fliegenden Klassenzimmer“ bis hin zum „Guten Menschen von Sezuan“, und stets war ich auf oder hinter der Bühne beteiligt. So schrieb ich für das Kästner-Stück eine dramatisierte Fassung, ebenso für Molieres „Tartuffe“ und mein absolutes Lieblingsprojekt: „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury.

Im Laufe der Jahre erlebte ich eine deutliche Wandlung der Verhältnisse: Während es früher für die meisten Schülerinnen und Schüler eine Auszeichnung bedeutete, bei einem Theaterstück mitwirken zu dürfen, galt es später eher als Wertschätzung des Pädagogen, wenn seine Zöglinge bereit waren, ihm bei der Realisierung eines Bühnenwerks behilflich zu sein.

Soll heißen: Die Jungmimen erschienen zu spät oder auch mal gar nicht den Proben, konnten ewig ihre Texte nur ansatzweise und betrachteten die Vorarbeiten vor allem als Gelegenheit, sich anderweitig zu produzieren. Ich muss heute noch Karins Geduld bewundern – selber hätte ich den einen oder anderen Jungdramatiker hochkant rausgeschmissen. Oder gleich die ganze Inszenierung abgesagt.

Auch die Mithilfe von Kollegen (zum Beispiel für Bühnenbild oder Technik) geriet nicht selten zur Zitterpartie. Öfters erfolgte sie zu spät oder blieb Stückwerk, was kurz vor der Premiere meist zum Verschleiß der letzten Nerven führte.

Man darf sich ja viele Requisiten im Alleingang zusammenborgen. Ich erinnere mich noch an einen Kleiderständer, den wir dem Wirt eines Cafés abschwatzten. Oder die Aufnahme eines fahrenden Zugs, welche wir mittels tragbaren Kassettenrecorders an einem Bahnübergang hinbekamen. Und meine Kenntnisse als Chemiker und Zauberer setzte ich öfters bei Spezialeffekten ein.

Dass Schulleiter sich inhaltlich besonders für Theater interessieren, konnte ich in keinem Fall feststellen – man war schon froh, wenn sie einem keine bürokratischen Hürden aufbauten. Selbst Chefs, die Germanistik studiert hatten, war es im Endeffekt vor allem wichtig, was hinterher in der Zeitung stand. Die Show, mit der sie bei der Premiere begeistert taten und Blumensträuße überreichten, fand ich stets besonders peinlich.

Eltern, welche wirklich inhaltlich hinter den Projekten standen, wurden immer seltener. Hauptsache, man konnte vor den Verwandten angeben, wenn Söhnchen oder Töchterlein sich auf der Bühne produzierten. Auch ansonsten verlegte man sich immer mehr auf Egozentrik: Obwohl Karin lange zuvor detaillierte Probenpläne ausarbeitete, befand man oft in letzter Minute, der Besuch bei der Oma oder der Wochenend-Urlaub gehe schließlich vor.

All das bewegte mich 1990, die Satire „Grenze für den Mimen“ zu verfassen, welche sogar die Gnade erfuhr, in der führenden bayerischen Fachzeitschrift für Schultheater zu erscheinen (nebst eines säuerlichen Kommentars des Herausgebers). Ich nahm den Text in mein 2019 herausgekommenes Buch „Das fliegende Glossenzimmer“ auf. Die Mehrzahl der verwendeten Gags sind übrigens nicht erfunden, sondern selbst erlebt!

Trotz all der Probleme und Schwierigkeiten nehme ich sehr viele positive Erlebnisse aus dieser Zeit mit. Es ist faszinierend, den Werdegang eines Stücks vom Textbuch bis zur Premiere zu verfolgen. Und zumindest im Nachhinein wurde wohl auch den jungen Mitwirkenden klar, welch riesige Arbeit in einem solchen Projekt steckt.

Daher wünsche ich nun viel Vergnügen mit meinem neuen Video, in dem ich die Abenteuer einer schulischen Theater-Muse schildere:

https://www.youtube.com/watch?v=sG4pSIQtrjU

P.S. Eine andere Glosse aus meinem Buch habe ich schon früher als Video-Lesung produziert:

https://www.youtube.com/watch?v=oZ8mxB5OzF0

Und wer das „Glossenzimmer“ käuflich erwerben möchte:

http://www.robinson-riedl.de/glossenzimmer.htm

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