Samstag, 2. Oktober 2021

Vor-Bildung

 

In der Bildung wird echt alle paar Jahre das Rad neu erfunden – und man muss froh sein, wenn es nicht viereckig wird!

Mit großem Vergnügen las ich daher gestern einen aktuellen Artikel im SPIEGEL, der wie folgt überschrieben war:

„Schüler orientieren sich stärker an Lehrern als angenommen“

Untertitel: „Lehrkräfte sollten auch in Fächern wie Biologie und Geschichte darauf achten, dass sich Schüler gut ausdrücken. Denn sie orientieren sich beim Erwerb der Sprache viel mehr an den Pädagogen als bislang angenommen.“

Herausgefunden hat diese sensationelle Tatsache Helmuth Feilke, Ordinarius für Germanistische Linguistik und Sprachdidaktik an der Universität Gießen – und weil man auf sowas unmöglich allein kommt, haben noch Prof. Dr. Ursula Bredel (Uni Hildesheim) und ein Team weiterer Sprachwissenschaftler teilgenommen. Die Ergebnisse von zehn Studien veröffentlichte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gemeinsam mit der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften. Mächtig viel akademisches Holz also vor der Hütte…

Bei der Untersuchung der Sprachkompetenz stellte sich überraschenderweise heraus, dass Fünftklässler an Gymnasien wesentlich mehr Attribute (35 pro 100 Substantive) verwenden als Neuntklässler an Integrierten Gesamtschulen (25 pro 100 Substantive) – wobei der SPIEGEL seinen Lesern vorsichtshalber noch erklärt, was ein Attribut ist. All das wundert uns in Bayern nicht.

Lehrkräfte müssten sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein, so Feilke: „Eigentlich dachte man immer, die Schüler würden sich sprachlich bewusst von Erwachsenen abgrenzen wollen. Doch der Sprachgebrauch der Lehrkräfte hat einen großen Einfluss auf den Sprachgebrauch der Schüler.“ 

Darauf muss man erstmal kommen – dass es so etwas wie eine „Muttersprache“ gibt, welche die Kinder und Jugendlichen natürlich von ihren nahen erwachsenen Bezugspersonen lernen. „Vatersprache“ hingegen ist nicht mehr zeitgemäß, da die Männer sich inzwischen weitgehend aus der Erziehung verabschiedet haben…   

So erklärt uns Projektleiterin Ursula Bredel, der Spracherwerb gelinge besonders gut, wenn die Voraussetzungen in der Familie gegeben seien, wenn die Schule herausfordernde Aufgaben stelle und die Lehrkräfte als gute Sprachmodelle dienten. Der Aufholbedarf sei da leider noch groß.

https://www.uni-giessen.de/fbz/fb05/germanistik/absprache/sprachdidaktik

https://www.spiegel.de/panorama/bildung/sprachkompetenz-schueler-orientieren-sich-staerker-an-lehrern-als-bislang-angenommen-a-ef888282-8e74-4682-9ee6-26a3cbaa4fac

Diese Erfahrung durfte ich unter anderem machen, wenn ich die Prüfungsarbeiten von Kollegen durchsehen musste: In Fächern wie Chemie oder Biologie wurden sprachliche Mängel wenig markiert und schon gar nicht bewertet. Da ich es anders handhabte, hatte ich regelmäßig Elternbeschwerden am Hals – in der Tonlage: „Bewerten Sie auch Rechtschreibfehler??“

Nein – aber durchaus die Fähigkeit, einen fachlichen Zusammenhang sprachlich zutreffend zu formulieren! Oder einen Fachbegriff korrekt zu schreiben. Das war während meiner Dienstzeit bei den Kolleginnen und Kollegen nie Allgemeingut, sondern eher ein Außenseiter-Standpunkt.

Ich habe mich in meiner Haltung allerdings nie beirren lassen und sehe nun mit Freude, dass man im Elfenbeinturm neue Erkenntnisse gewinnt. In meinem Buch „Der bitterböse Lehrer-Retter“ habe ich meine Ansichten schon 2012 niedergeschrieben:

Bei einem anderen Aspekt sollten Sie sich allerdings einige Mühe geben: In meiner Referendarzeit lernte ich einen Satz, der damals wohl in der Schulordnung stand (UND DEN ICH SCHON LANGE NICHT MEHR GEHÖRT HABE): 

„IM MITTELPUNKT DES UNTERRICHTS STEHT DIE PFLEGE DER DEUTSCHEN SPRACHE.“

Meinem festen Eindruck nach hat die Fähigkeit der Kinder und Jugendlichen, sich korrekt und vor allem differenziert auszudrücken, dramatisch nachgelassen! Dafür gibt es sicherlich zahlreiche Gründe – ganz bestimmt aber auch den, dass die Schule hier viel zu wenig gegensteuert. Es ist eine dienstliche Alltagserfahrung, dass Kollegen Verstöße gegen Rechtschreibung, Interpunktion und Grammatik reihenweise unkorrigiert durchgehen lassen und Formulierungen positiv bewerten, welche von geradezu jämmerlicher Unbeholfenheit zeugen – getreu dem Motto:

„ICH BEWERTE HIER BIOLOGIE UND NICHT DEUTSCH!“

Dies ist natürlich grober Unfug, da ein fachlicher Inhalt kaum ohne sprachliche Fähigkeiten adäquat dargestellt werden kann.

Daher bildet eine Bionote indirekt auch eine Leistungsbewertung im Deutschen – und so muss es auch sein! Ob Sie nun die Muttersprache, Sport oder Handarbeiten unterrichten: Am Ringen um eine gute Ausdrucksfähigkeit müssen Sie sich beteiligen, vor allem durch das eigene Beispiel (Unterrichtssprache, Tafelanschriften, Hefteinträge bzw. Arbeitsblätter), aber auch durch Verbesserung von Schüleräußerungen, ob nun mündlich oder schriftlich. Wenn ich mir die via Schüler- oder Abiturzeitungen kolportierten kollegialen Sprüche anschaue, werde ich den Verdacht nicht los, man wolle sich durch Nachahmen der Jugendsprache seinen Schützlingen emotional nähern.

BERÜCKSICHTIGT EINE LEHRKRAFT IN IHRER BEWERTUNG AUCH SPRACHLICHE MÄNGEL, SIEHT SIE SICH GELEGENTLICH MIT WÜTENDEN ELTERNBESCHWERDEN KONFRONTIERT. MAN DÜRFE DOCH IN BIOLOGIE KEINE „RECHTSCHREIBFEHLER“ BENOTEN UND MÜSSE DAHER BEGRIFFE BEPUNKTEN WIE „GREISSAAL“ (WOHL FÜR ÄLTERE MÜTTER), „RÜCKENRAD“ (LIES: „RÜCKGRAT“) ODER „GEISEL“ (FÜR DEN RUDERANTRIEB VON EINZELLERN).

JEDOCH BESCHRÄNKEN SICH DERLEI KREATIVITÄTEN NICHT AUF SCHÜLER. EINMAL WANKTE EIN DEUTSCH-BETREUUNGSLEHRER, BEREITS VON ZWERCHFELLKRÄMPFEN GESCHÜTTELT, IN DIE TEEKÜCHE UND ZEIGTE UNS EINEN PRÜFUNGSENTWURF SEINER REFERENDARIN. IHRE KLASSE SOLLTE WOHL IN EINEM TEXT DIE VERSCHIEDENE FÄLLE HERAUSFINDEN, WAS SICH DANN SO LAS: „BESTIMME IM FOLGENDEN ABSCHNITT DIE KASI!“ (EIN GAG FÜR FEINSCHMECKER…)

(S. 282-284)

Wie gesagt: Ich bin sehr froh darüber, dass man auch in Kreisen, wo man Schülerinnen und Schüler nur aus Studien und durch Einwegspiegel kennt, zu einer Erkenntnis kommt, die zum biologischen Grundwissen gehört: Primaten lernen durch Nachahmung adulter Artgenossen.

Daher sehe ich den momentanen Hype um die Digitalisierung des Schulwesens sehr gelassen: Mag ja alles nötig oder zumindest nicht schädlich sein – wobei eine Renovierung von Schulklos oder Lärmschutzmaßnahmen dringlicher sein könnten.

Ich sage nur: Bildung, die sich vor allem auf Bildschirme gründet, bleibt flach. Im Zentrum guten Unterrichts steht nicht das Bild, sondern das Vorbild, also eine Lehrkraft mit der entscheidenden Eigenschaft, die in der Ausbildung kaum eine Rolle spielt: Rhetorik. Unterrichts- und Erziehungserfolg steht und fällt mit der Frage, ob Kinder und Jugendliche an den Lippen der Lehrerin oder des Lehrers hängen – ob sie oder er die Fähigkeit besitzt, sprachlich überzeugend zu agieren: motivierendes Intro, klare Gliederung mit Schwerpunkten, übersichtliche Zusammenfassungen, passendes Sprachniveau, Modulation, Pausen und vieles mehr.

Und ja: Das alles wirkt am besten im heute so geschmähten „Frontalunterricht“. Stattdessen werden die Dienstanfänger durch einen Wust von Methoden geschickt, die sie zu „Lernorganisatoren“ degradieren, welche bei der Plakatgestaltung zuvörderst dafür zu sorgen haben, dass Klebstoff und Tesafilm nicht ausgehen.

So ist es der zufälligen Begabung überlassen, ob eine Lehrperson über persönliche Ausstrahlung und rhetorisches Geschick verfügt. Ich habe in meinem Leben solche Leute kennenlernen dürfen, die aber meist in ganz anderen Berufen tätig waren, oft nicht einmal ein Studium vorzuweisen hatten. Mein Standardsatz lautete stets: „Wenn ich eine Privatschule hätte, würde ich die Person sofort engagieren – die Fächer dürfte sie sich raussuchen.“

In meinem Buch berichtete ich von einem Lehrer, den ein Kollege noch erlebt hatte: Der brachte es fertig, in seinem Geschichtsunterricht mittels Papierkorb als Helm und dem Zeigestab als Speer derartig begeisternd antike Schlachten zu schildern, dass er einmal am Ende der Stunde von seiner Klasse mit Applaus überschüttet wurde. Mit der Hand schon an der Türklinke wandte er sich nochmal an seine Zöglinge: „Ach Kinder, ich mach das doch nicht für euch!“

Wen ich nun neugierig gemacht haben sollte: Mein Buch kann man immer noch bei mir bestellen. Die Damen und Herren Professoren werden es sicher nicht tun – mir fehlt ja der wissenschaftliche Überblick. Aber vielleicht hat ja der eine oder die andere von Ihnen Interesse:

http://www.robinson-riedl.de/lehrer-retter.htm

Freitag, 17. September 2021

„Kauft nicht bei der STIKO!“

 

Allmählich braucht man die Spinner nicht mehr allein in den Großstädten zu beobachten. Ganz in unserer Nähe geht es auch schon los:

Am vergangenen Mittwoch kam es bei einer Impfaktion an der Realschule Kösching zu einer Eskalation. Eine Gruppe von 10-15 Querdenkern (branchenüblich auch als „besorgte Eltern“ bezeichnet) hatte sich vor der Schule aufgebaut und beschimpfte das Team der Malteser lautstark als „Kindermörder“. Anschließend versuchte man, durch ein Fenster die Impfung zu filmen. Durch eine offene Terrassentür drangen die Herrschaften dann ins Schulgebäude ein, bei dem anschließenden Gerangel wurde einer medizinischen Mitarbeiterin an einer Tür die Hand eingequetscht.

Erst als die Polizei mit mehreren Streifenwagen anrückte, bekam man die Situation wieder unter Kontrolle. Die Ermittlungen laufen noch.

Hier der Bericht in der heutigen Lokalzeitung:

https://www.donaukurier.de/lokales/ingolstadt/Impfteam-als-Kindermoerder-beschimpft;art599,4812527

Der zuständige Eichstätter Landrat sieht hier „eine Grenze überschritten“. Wie man so etwas verhindern könne? Das sei ein bundesweites Phänomen, es gebe dafür keine einfache Strategie. Es helfe möglicherweise nur zu versuchen, jeden Einzelnen zu überzeugen, „geduldig, mehrfach, bis er seine Meinung ändert".

Ich nehme an, die verehrten Randalierer waren der Meinung, die Jugendlichen würden zu einer Impfung gedrängt. Wer entscheidet eigentlich über einen solchen medizinischen Eingriff – Kinder oder Eltern?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Das Schlüsselwort lautet „Einwilligungsfähigkeit“: „Eine wirksame Einwilligung setzt [daher] voraus, dass der Patient Wesen, Bedeutung und Tragweite des ärztlichen Eingriffs, insbesondere den Grad der Gefährlichkeit, in seinen Grundzügen erkannt hat." (BGH, Urteil vom 05.12.1958, Az. VI ZR 266/57)

Der impfende Arzt muss sich also davon überzeugen, dass ein Minderjähriger einigermaßen weiß, was er da tut. Als Faustregel gilt dabei: Ab 16 Jahren kann man in der Regel davon ausgehen, unter 14 Jahren eher nicht. Einem unter Achtzehnjährigen können es die Eltern kaum verbieten, sich die Spritze geben zu lassen. Im umgekehrten Fall – wenn es Papa und Mama möchten, der Jugendliche aber nicht – gilt normalerweise dessen Wille.

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/corona-impfung-kinder-jugendliche-ohne-eltern-einwilligung-100.html

https://www.br.de/nachrichten/bayern/corona-impfung-ab-12-jahren-muessen-eltern-eigentlich-zustimmen,Sdhai6A

Ausschlaggebend dürfte sein, dass die Corona-Impfung inzwischen von der Ständigen Impfkommission (STIKO) ab 12 Jahren – nach medizinischer Beratung – empfohlen wird:

https://www.infektionsschutz.de/coronavirus/schutzimpfung/corona-schutzimpfung-bei-kindern-und-jugendlichen.html

Im Einzelfall gibt es aber noch juristisches Neuland, das sicher bald von obergerichtlichen Entscheidungen gefüllt wird. In der Vergangenheit war ein solches Gezerre über Impfungen halt recht selten.

Ich kann mich noch erinnern, dass es bei uns in der 4. Klasse „Volksschule“ eines morgens hieß: „In Zweierreihen in die Turnhalle“. Dort kriegte jeder und jede im Schnelldurchlauf mit dem Messerchen seine Pockenimpfung. Wir hatten wohl ein bisschen Angst, aber den Erwachsenen war das völlig schnuppe. 1976 war dann Schluss, da man die Pocken fast ausgerottet hatte – und daher kann man auch beim Tango das Alter der Partnerin recht genau abschätzen: Hat sie eine Impfnarbe am Oberarm, dürfte sie nicht nach zirka 1966 geboren sein, ist heute also mindestens Mitte Fünfzig.

Ich gehe davon aus, dass man in Kösching die Eltern und ihre Kinder aufgeklärt hat und ihre Zustimmung einholte. Ein schöner Fortschritt gegenüber meiner Schulzeit…

Das Pack, welches versucht hat, die Schule zu stürmen und die Impfaktion zu verhindern, markiert dagegen einen herben Rückschritt. In Deutschlands dunkelster Zeit haben sich schon einmal Leute vor Geschäften aufgebaut, da man angeblich das Deutschtum vor dem jüdischen Finanzkapital retten wollte: „Kauft nicht bei Juden!“ hieß es damals. Man wollte also Menschen davon abhalten, etwas Legales zu tun, nämlich einkaufen. Die Polizei erschien Anfang der 1930-er-Jahre allerdings meist nicht mehr.

Heute schon noch – das sollten wir ausnützen. Und im Gegensatz zum Eichstätter Landrat meine ich, dass bei solch verbohrten Ideologen Überzeugungsarbeit nicht fruchtet. Eine hübsche Anklage wegen Nötigung, Körperverletzung und Hausfriedensbruch könnte überzeugender wirken. Und das Urteil möglichst nicht in geldlichen Tagessätzen, sondern zum Absitzen. Diese Leute missachten ja vorsätzlich und dauerhaft unsere staatliche Rechtsordnung zur Durchsetzung ihrer Kinderretter-Heuchelei oder anderer verquaster Egoismen.

Ein sächsisches Impfzentrum wollte man neulich abfackeln. Leider brannte es nicht so gut wie einst der Reichstag.

https://www.n-tv.de/panorama/Brandanschlag-auf-Impfzentrum-veruebt-article22804938.html

Ich will einfach nicht mehr warten, bis es wieder mal zu spät ist. Auch damals waren wohl viele der Meinung, die strammen Herren von der SA müsse man nur geduldig überzeugen. Und sie täten halt ihre Meinung kund.

Wer sich einen historischen Eindruck verschaffen möchte:


https://www.youtube.com/watch?v=QSATnLBryUo

Moralinsauren Einwänden betreffs „Nazivergleichen“ sehe ich übrigens gelassen entgegen. Es beunruhigt mich nämlich, dass man inzwischen Zivilcourage benötigt, um sich im Rahmen der Gesetze zu bewegen – so wie einst eine jüdische Mutter, deren Sohn hier eine kurze, aber eindrucksvolle Geschichte erzählt:

https://www.youtube.com/watch?v=t9UBgbjv64Q

Samstag, 17. Juli 2021

Nicht feiern, sondern eskalieren

 

Da derzeit wohl nicht nur in Pfaffenhofen die Mär von der „ach so armen Abi-Generation“ verbreitet wird, habe ich einmal recherchiert, welches Gedöns heute um die bestandene Reifeprüfung veranstaltet wird.

Die Zeiten sind längst vorbei, wo eine Abiturfeier mit schlichter Zeugnis-Überreichung genügte – und vielleicht noch ein selbst organisierter Ball in der Sporthalle, zu dem die Eltern Nudelsalat und Würstchen herbeischleppten.

Nein: Seit etwa 20 Jahren hat sich rund um die erworbene Studienerlaubnis eine bestens verdienende Feier-Industrie angesiedelt, welche den Schulabgängern mit Agentur-Leistungen zur Verfügung steht: „Firmen machen ein gutes Geschäft mit einer naiven Kundschaft“, so beschrieb dies 2018 der Berliner „Tagesspiegel“:

https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/schulabschluss-wie-abiball-veranstalter-mit-schuelern-kasse-machen/22584420.html

Ein Höhepunkt fürs graduierte Volk ist sicherlich der Abiball, für den heute eher noble Hotelsäle gebucht werden, inklusive teurem Büfett, Spitzen-DJ respektive Tanzkapelle, gerne auch mal weitere Unterhaltungskünstler oder ein Feuerwerk. 40 bis 75 Euro kostet dann die Eintrittskarte – so ein Berliner Eventmanager. Tendenz steigend, denn jeder Jahrgang möchte natürlich die Kollegen von früher übertrumpfen.

Vorbild für solche Veranstaltungen sind die amerikanischen „Proms“ am Ende der dortigen Highschool-Jahre, bei denen schon lange ein derartiger Pomp getrieben wird.     

https://de.wikipedia.org/wiki/Prom

Natürlich muss dann auch das persönliche Styling stimmen. Bis zu 200 Euro kostet den Damen ein Friseurbesuch inklusive Schminken fürs rauschende Fest. Bei der Ballgarderobe sind Fummel sowie Preise fürs Abendkleid nach oben offen – und die jungen Herren sollten sich möglichst mit einem Smoking bedecken.

Warum dann zum Nobel-Ball nicht auch mit der edlen Limousine vorfahren? Eine Agentur formuliert ihr Angebot erdrückend realistisch: „Schenken Sie Ihrem Kind das unvergessliche Gefühl, wie ein Star vor dem Festsaal vorzufahren und im Mittelpunkt seiner ehemaligen Mitschüler zu stehen.“ Kostenpunkt: ab 200 Euro für eine Stunde Fahrt mit Sektflasche, Softdrinks und rotem Teppich.

Dagegen nehmen sich die Kosten fürs Abishirt oder den bedruckten Kapuzenpulli eher bescheiden aus – und vor allem die Abizeitung, so eine Event-Managerin, dürfe nicht viel kosten: „Die kann man ja nicht anziehen.“

https://www.welt.de/wirtschaft/article155180167/Die-sechs-grossen-Geldmaschinen-nach-dem-Abitur.html 

Die Abiturindustrie hat sich – jedenfalls vor Corona – als krisensicheres Geschäft erwiesen: Es kommt ja jedes Jahr ein neuer Jahrgang hinzu – und wenn die Vorgänger mit dem Service zufrieden waren, wird man auch wieder gebucht.

Da man für all das reichlich Kohle abdrücken muss, werden zur „Vorfinanzierung“ gerne „Oberstufenpartys“ inszeniert, womit sich die Feierei an den Gymnasien weiter etabliert. Ein Großteil des Geldes wird aber nach den Erfahrungen der Agenturen den Eltern und Großeltern aus der Tasche geleiert – im Gegenzug zur Erhöhung von deren sozialen Status: Wenn der Bub oder sogar das Mädel Abitur hat, gilt man halt was in der Gemeinde…  

Auch für die immer mehr ausufernden Abistreiche muss man sich nichts mehr selber einfallen lassen. So bietet die Firma „abigrafen.de“ ein großes Arsenal an Ideen und Zubehör. Den Sinn der Sache beschreiben die Anbieter völlig zutreffend: Das oberste Gebot ist dabei (bei den meisten Abiturklassen), den Unterricht für alle Mitschüler erfolgreich zu verhindern. Wahrscheinlich wird das auch von den Unterstufen der Schule heiß erwartet…“

https://www.abigrafen.de/tipps-und-tricks/abistreich-abigag-abisturm-abischerz/

Das Motto „Feiern, bis der Arzt kommt“ lässt sich noch übertreffen, wenn man mit eskalierendem Abitur-Gedöns für Polizeieinsätze sorgt. In Köln beispielsweise scheinen regelrechte Schlachten zwischen den Schulen inzwischen zur rheinischen Folklore zu zählen. Das Tröstliche dabei: Die Polizei kommt sogar gratis.   

https://www.fr.de/panorama/abi-feier-geraet-ausser-kontrolle-polizei-setzt-pfefferspray-11208210.html

Ein weiterer Höhepunkt der Abi-Sause ist natürlich die „Abiturfahrt“, die sich seit etwa 15 Jahren fest im Programm etabliert hat. Eine Vielzahl von Firmen bietet hierfür abwaschbare Ferienorte mit Billigfusel und Amüsierzwang. Unterbringung in einer Hotel-Absteige inklusive. Die Masse bringt das Geschäft. Berüchtigt war hierfür lange Zeit der ehemalige spanische Fischerort Lloret de Mar mit über 100 Bars und Diskotheken.

Mit dem Motto „Wir feiern nicht, wir eskalieren!“ zitierte der SPIEGEL in einem bemerkenswerten Artikel schon 2009 einen dortigen Animateur fürs Abi-Volk. Kostproben:

„Die Stadt ist der betongewordene Traum, den viele Kinder träumen, wenn sie in ihrer Phantasie den Überfluss durchspielen: einmal in einem riesigen Supermarkt eingeschlossen werden und nach Herz und Laune rumsauen können die ganze Nacht. Lloret ist der Supermarkt für Abiturienten, und für fünf, sechs Wochen im Sommer existiert die Stadt nur, um dem neuen Leben nach der Schule die Komplexität zu nehmen. Die ersten Schritte in der Freiheit enden vor Sangria-Eimern.“

„Der Polizeichef von Lloret sagt: ‚Wenn man sich die Versprechen der Reiseveranstalter anschaut, denkt man, es geht hier nur um Sex und Alkohol. Die jungen Leute glauben, sie dürfen alles.‘“

https://www.spiegel.de/spiegel/a-635631.html

Nun gut, inzwischen weicht man pandemiehalber auf ehemalige Ostblockstaaten mit minimaler staatlicher Kontrolle wie Kroatien aus. Infektionsgarantie inklusive, wie die Abiturienten aus der Holledau kürzlich erfahren durften.

Auch für diesen hedonistischen Scheiß stehen natürlich die USA Pate: Den berüchtigten Springbreak, den Wikipedia in gewohnter Nüchternheit so beschreibt: „Während des Springbreak suchen Studenten oft warme Orte der USA, Mexiko oder die Karibik auf, um sich vom Studienalltag vor allem durch ausgiebige Feiern zu erholen. Dabei kommt es auch zu starkem Alkohol- und Drogenkonsum, sexueller Freizügigkeit, Promiskuität und öffentlicher Zurschaustellung von Nacktheit.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Spring_Break

Ob solcher Wahnsinn in den USA dazu beigetragen hat, einen egomanischen Vollidioten ins Präsidentenamt zu wählen, sollte einmal untersucht werden…

Ich habe eine interessante Theorie zur Entstehung solcher pompöser Bräuche gelesen: Als das Abitur noch wirklich etwas galt, hatte man sie nicht nötig. Heute dagegen ist das Reifezeugnis längst keine Garantie mehr, später eine lukrative Beschäftigung zu erhalten. Desto mehr muss man dessen Erhalt aufblasen. Mit immer teureren Hochzeiten und hohen Scheidungsraten könnte es sich ebenso verhalten.

Ein Grund ist für mich das immer stärkere Auseinanderdriften von Leistungen und deren Benotung: In der heutigen Ausgabe des „Pfaffenhofener Kurier“ (S. 32) wird von einem Gymnasium im Landkreis berichtet, sein Abiturjahrgang habe die besten Noten seit Bestehen der Schule erreicht: Von 96 Prüflingen schnitten 25 mit der Note „sehr gut“ ab.

Dann lassen wir halt weiterhin die Unis jammern, dass sie bei den Erstsemestern elementare Fähigkeiten vermissen!

Ja, die arme Corona-Generation… Wenn man als Satiriker natürlich ausschließt, es sei dabei kräftig an der Manipulations-Schraube gedreht worden, bleibt nur eine Erklärung: Der Distanzunterricht ist viel erfolgreicher als der frühere Präsenzunterricht (was mich als Insider nicht wundern würde). Daher meine ich: Man sollte bei der Beschulung per Mausklick bleiben. Nicht nur, dass sich dadurch Corona-Infektionen zuverlässig vermeiden ließen – man könnte die leeren Schulgebäude dann umwidmen. Am besten in Sozialwohnungen für Menschen, die auf dem heutigen Mietmarkt chancenlos sind.

Im Projektunterricht könnte man die Bewohner dann sogar einmal besuchen und so eine Spezies kennenlernen, welche gerade bayerischen Abiturienten wenig bekannt ist:

„Die bayerische Staatsregierung stellt in ihrem eigenen Sozialbericht selbst fest, dass in Bayern Kinder aus der obersten Sozialschicht eine 6,5-mal so hohe Chance haben das Gymnasium zu besuchen wie Kinder aus unteren Schichten.“

https://bayern.dgb.de/themen/++co++27204b80-025c-11e2-a8d2-00188b4dc422

Was sollen die Kinder von Hartz 4-Empfängern auch auf dem Gymnasium? Die könnten sich das Abitur – im wahrsten Sinne des Wortes – gar nicht leisten!

https://www.youtube.com/watch?v=htA-AuvpvMY

Weitere Quellen:

https://germanblogs.de/abitur-industrie-unternehmen-wittern-das-grosse-geld/

https://www.focus.de/finanzen/karriere/schueler-feiern-ihr-abitur-so-viel-kostet-die-abi-feier_id_5550924.html

https://www.deutschlandfunk.de/die-amerikanisierung-des-abi-balls.680.de.html?dram:article_id=251274