Das jüngste Beispiel von vielen, das ich dazu
zitieren könnte: Eine Bloggerkollegin veröffentlichte auf einem Facebook-Forum
den Link auf einen ihrer Texte. Daraufhin erntete sie den folgenden negativen
Kommentar: „Kein guter Blog nach meinem
Empfinden.(Auch sprachlich nicht, sorry. ) (…) Ich tanze Tango u.a. deshalb, weil es Regeln gibt, die Muse geben, sich
zu entspannen.“
Die Gemeinte sah über die Fehler der
Schreiberin hinsichtlich Zeichenabständen und Satzbau bzw. Interpunktion in der
Klammer großzügig hinweg, lieferte allerdings die Korrektur: „‚Muße‘ mit scharfem S“.
Ansatzlos fing sie sich damit von einer
anderen Kommentatorin die Replik ein: „Quatsch
mit Soße“. (Obwohl dies ja dann „Sose“
heißen müsste, wie in einem weiteren Beitrag zu Recht angemerkt wurde…)
(Aktuelle Anmerkung: Inzwischen hat man offenbar diese Diskussion auf der Facebook-Seite "Tango München" gelöscht. Tja, da sucht man sich wohl die Vorbilder in der Türkei, China und Nordkorea...)
(Aktuelle Anmerkung: Inzwischen hat man offenbar diese Diskussion auf der Facebook-Seite "Tango München" gelöscht. Tja, da sucht man sich wohl die Vorbilder in der Türkei, China und Nordkorea...)
Letztlich habe ich diese Grundsituation schon oft erlebt: Man wird von jemandem mit der
Einschätzung abgewertet, auf einem Gebiet zu wenig kompetent zu sein. Form und
/ oder Inhalt der Kritik lassen jedoch den dringenden Verdacht aufkommen, der
Betreffende sei bei diesem Thema noch deutlich weniger leistungsfähig.
Ein weiteres, hübsches Erlebnis dieser Art
habe ich hier geschildert.
Als mich beim Thema Tango ein Kommentator
ziemlich hochnäsig belehrte, unter anderem zum „Balett“, gab ich zu, in diesem Metier kein Experte zu sein, aber
wenigstens die korrekte Schreibweise zu kennen. Im Anschluss ging eine „Oberlehrerschelte“
beträchtlichen Ausmaßes über mich nieder.
Auf Einsicht oder wenigstens Humor darf man
in diesen Fällen nicht hoffen. In einer ähnlichen Debatte stieß ich schließlich
zu meinem Erstaunen auf einen Effekt, der offenbar in der Psychologie längst
bekannt ist und mir ein ziemliches Aha-Erlebnis bescherte:
„Als Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet man
eine Spielart der kognitiven Verzerrung, nämlich die Tendenz inkompetenter
Menschen, das eigene Können zu überschätzen und die Kompetenz anderer zu
unterschätzen. Der populärwissenschaftliche Begriff geht auf eine Publikation von
David Dunning und Justin Kruger aus dem Jahr 1999 zurück.“ (Quelle: Wikipedia)
Die
beiden Psychologen wollten testen, wie Studenten der Cornell Universität ihre geistigen Fähigkeiten einschätzten – etwa
im Bereich logisches Denken oder Grammatik. Dunning
und Kruger ließen die Teilnehmer dazu
verschiedene Tests durchlaufen. Das Ergebnis war stets dasselbe: Diejenigen,
die besonders schlecht abgeschnitten hatten, schätzten ihren Lernerfolg und
sich selbst viel besser ein. Besonders intelligente Studenten hingegen
unterschätzten ihre Leistungen regelmäßig.
David Dunning und Justin Kruger formulierten daraufhin
einen vierstufigen Effekt, der seitdem ihren Namen trägt. Danach sieht es so
aus, dass...
1. inkompetente Menschen regelmäßig ihr eigenes Können überschätzen,
2. gleichzeitig aber
nicht in der Lage sind, das Ausmaß ihrer eigenen Inkompetenz zu erkennen,
3. weshalb sie ihre
Kompetenz nicht steigern können und
4. die überlegenen
Fähigkeiten von anderen immer wieder unterschätzen
Unqualifizierte
leiden nicht unter ihrer Unfähigkeit. Im Gegenteil, sie sind sich ihrer
vermeintlichen Qualität ohne Anflug von Zweifeln so sicher, dass sie sich
ausgesprochen wohl fühlen. Die Forscher vergleichen die Situation der
Inkompetenz mit dem Krankheitsbild der Anosognosie:
Nach
einem Schlaganfall in ihrer rechten Gehirnhälfte leiden Anosognosie-Patienten
an einer Lähmung ihres linken Armes, die ihnen nicht bewusst ist. Wird ihnen
ein Glas hingestellt und werden sie aufgefordert, dieses mit der linken Hand
anzuheben, können sie diese Anweisung lähmungsbedingt nicht ausführen. Warum
dies so ist, werden die betroffenen Patienten nicht zugeben – sie behaupten
stattdessen, sie höben den Arm nicht, weil sie dazu zu müde seien oder weil sie
die Anweisung nicht gehört oder sie ganz einfach keine Lust hätten usw.
Obwohl
Inkompetente unfähig sind, ihre schwachen Leistungen zu erkennen, würden wir
erwarten, dass sie beispielsweise im Rahmen ihrer akademischen oder beruflichen
Karriere unvermeidbar irgendwann derartig negatives Feedback empfangen, dass
ihnen letztlich doch die Augen aufgehen sollten. Dafür, dass dies nicht
zwangsläufig geschieht, geben Dunning
und Kruger Gründe an:
Der
erste liegt in den in unserem sozialen Leben verbreiteten „guten Manieren“:
Erwachsene Individuen bekommen im Alltag selten negatives Feedback in Bezug auf
ihre Fähigkeiten.
Statt
Scheitern mit der eigenen Inkompetenz in Verbindung bringen zu müssen, bietet
es sich Inkompetenten an, fehlendes Glück und gerne auch die angeblich fehlende
Unterstützung der Mitmenschen für den misslichen Ausgang ihres Handelns
verantwortlich machen.
Der
letzte Grund liegt in der Unempfänglichkeit für soziale Vergleiche: Es hat sich
in der Studie gezeigt, dass Inkompetente nicht in der Lage sind, die
grundlegende Form des sozialen Feedbacks zu verarbeiten: den sozialen Vergleich. Dieser erfordert
die Fähigkeit, die Ausprägung der eigenen Kompetenz zu erfassen, indem das
Verhalten der übrigen Gruppenmitglieder beobachtet und analysiert wird.
Offenbar
braucht jemand, um im Feld der Inkompetenz zu „glänzen“, ein gewisses Maß an
rudimentärem, vielleicht angelesenem Wissen sowie eine gewisse Laien-Theorie
darüber, wie die Dinge in der Realität funktionieren könnten. Kommen noch ein
paar rudimentäre Erfahrungen – vielleicht aufgrund von Hören-Sagen – dazu, hat
der Inkompetente ausreichend „Futter“, um sich selbst suggerieren zu können, er
könnte im betreffenden Feld sachgerecht entscheiden und handeln.
Kompetente
überschätzen genauso häufig die Qualifikation der Inkompetenten, wie es diese
weniger Qualifizierten in Bezug auf ihre eigenen Fähigkeiten tun. Kompetentere
glauben oft, weil ihnen etwas leicht fällt, müsste dies den anderen auch so
gehen. Sie erliegen dabei ebenfalls einer grundlegenden Täuschung.
Eine
weitere hilfreiche Einsicht für Kompetente liegt darin, einzusehen, dass es
sinnlos ist, Inkompetente von ihrer Kompetenz überzeugen oder sie sogar mit
ihrer Qualifikation beeindrucken zu wollen. Das kann nicht funktionieren, weil
ihre weniger kompetenten Mitmenschen höherwertige Kompetenz nicht wahrnehmen
und bewerten können.
Auch
im geschäftlichen Bereich kann dies zu Problemen führen: Wie soll man dem
Kunden klar machen, dass er eine hohe Qualität geliefert bekommt, wenn er diese
nicht einschätzen kann? Man muss ihn sozusagen erst schlau machen, damit er den
Wert einer Ware oder Dienstleistung erkennt.
Geplagten
Lehrerkollegen zum Trost: Ein
schwacher Schüler wird sich tendenziell eher über eine schlechte Note
beschweren, während sein weitaus besserer Klassenkamerad staunt, dass er eine
unerwartet gute Bewertung erhielt. Und gar erst die Eltern, welche in Ihrer
Sprechstunde aufschlagen und so viel mehr von Schule, Pädagogik und umliegenden
Dörfern verstehen als Sie – ein klarer Fall von „Dunning-Kruger“! (Ein höherer Kompetenzgrad müsste in solchen
Fällen doch zumindest den Verdacht aufkommen lassen, man steige hier zu einer
Person in den Ring, die über jahrelange Praxis in diesem Metier verfügt – von der
sozialen Intelligenz, dass solche Belehrungen dem Gegenüber eher lächerlich bis
anmaßend erscheinen, ganz zu schweigen…).
Mir
sind etliche Warnsignale eingefallen,
welche „Dunning-Kruger-Situationen“ ankündigen:
1. Häufig hat man den
Eindruck, der Betreffende habe sich zum gerade aktuellen Thema einige Textbausteine zurechtgelegt, die in
leichten Variationen wiederholt werden. Das Eingehen auf Details oder
spezifische Fragestellungen fällt ihm somit schwer.
2. Darlegungen zu
Widersprüchen der eigenen Position werden ausgeblendet
(manchmal hat man tatsächlich – siehe Anosognosie – den Eindruck, der andere könne
sie gar nicht hören bzw. lesen). Lässt sich eine Schwäche gar nicht mehr
bemänteln, kommt mit apodiktischer Sicherheit der berühmte „Oberlehrer-Vorwurf“.
3. Im Gegenzug wird man
mit einer Unmenge von – meist hergesucht wirkenden – Fragen bombardiert („dann
erklären Sie mir doch mal…“).
4. Häufig hört man das
Argument, der spezielle Sachverhalt sei ganz
einfach und die Lösung nahe, wenn man den Sprecher nur machen ließe.
5. Nicht
wegzudiskutierende eigene Misserfolge werden oft mit Verschwörungstheorien erklärt: Nur die böse Umwelt sei schuld, dass
man sein überlegenes Konzept nicht verwirklichen konnte. („Meine Tochter hätte es ja gekonnt, aber sie hat Angst vor Ihnen!“)
6. Die eigene Qualifikation wird meist
ungefragt und deutlich übersteigert betont (beim Tango beispielsweise durch
eine lange Liste der – natürlich argentinischen – Tanzlehrer dieser Person).
Komplettiert wird dies oft mit Vorwürfen, der andere sei arrogant oder
geltungssüchtig.
7. Hinweisen auf eigene
Fehler oder Schwächen wird äußerst aggressiv
begegnet (im schulischen Metier kommt dann gerne die Drohung mit dem
Rechtsanwalt).
8. Das Recht und die
Fähigkeit des Diskussionspartners, zu anderen Ansichten zu gelangen, werden negiert. Zunächst wird dieser „aufgeklärt“
– und sollte er dennoch auf der eigenen Meinung beharren, kann das nur an seiner
Dummheit oder Bösartigkeit liegen.
9. Stets stellen „Dunning-Kruger-Kandidaten“ ihren
Standpunkt als Mainstream dar: Die gesamte Welt teile ihre Auffassung, nur der Angesprochene nicht („die ganze Klasse kann es bezeugen, dass Sie
meinen Sohn heruntergemacht haben“).
10. Bei der Wahl seiner Argumente greift man
wahllos in jede erreichbare Schublade
(bei der Debatte um das richtige Auffordern beim Tango durfte ich mir
beispielsweise schon anhören, dass keine Frau mit mir tanzen wolle und mein
Körpergeruch unerträglich sei – und das von Menschen, die mich überhaupt nicht
persönlich kennen…).
Sollten
Sie also wieder einmal mit diesem psychologischen Phänomen konfrontiert werden:
Nur nicht aufregen! Ihr Gegenüber kann weder seine noch Ihre Kompetenz richtig
einschätzen, da ist nix zu machen!
Gar nichts? Na ja – vielleicht ein bisschen veralbern…
Literatur: Justin Kruger, David Dunning: Unskilled and unaware of it. How difficulties in recognizing one’s own incompetence lead to inflated self-assessments. In: Journal of Personality and Social Psychology. 77, Nr.
6, 1999, S. 1121–1134
P.S. Der neueste „Dunning-Kruger" (auf FB gestern Abend):
„mit selbstdarstellung meine ich nicht das tanzen von gerhard riedl sondern die blogbeiträge - das gekrümmte gehüpfe nehme ich nicht wirklich als tango argentino wahr"
O mei'...
P.S. Der neueste „Dunning-Kruger" (auf FB gestern Abend):
„mit selbstdarstellung meine ich nicht das tanzen von gerhard riedl sondern die blogbeiträge - das gekrümmte gehüpfe nehme ich nicht wirklich als tango argentino wahr"
O mei'...