Montag, 16. November 2020

Aus dem alltäglichen Schul-Wahnsinn IV

 

Parken verboten 

Die folgende Geschichte ist – bis ins letzte Detail – wahr. Ich habe mich allerdings wie immer bemüht, Rückschlüsse auf konkrete Personen zu erschweren.

Die pädagogische Seite des Vorfalls ist simpel und alltäglich: Eine Siebtklässlerin kann zu Beginn einer Filmvorführung trotz Ermahnungen das Schwätzen nicht lassen. Daher bekommt sie vom Lehrer die Verpflichtung aufgebrummt, über den Film eine Zusammenfassung zu schreiben. Ihr Einwand, die Nachbarin habe sie doch „nur etwas gefragt", ist die übliche Reaktion in solchen Fällen und führt daher nicht zur Rücknahme der Entscheidung.

Was gewisse Eltern gerne eine „Strafarbeit“ nennen, wird in den Schulordnungen meist als „Erziehungsmaßnahme“ bezeichnet und ist – in gewissen Grenzen – völlig legal. Sie muss halt einen pädagogischen Zweck haben. Problematisch wäre vielleicht, den Schüler hundertmal „Ich darf nicht schwätzen“ schreiben zu lassen. Aber durch die Verpflichtung zu einer Inhaltsangabe den gezeigten Film wirklich verfolgen zu müssen, dient zweifellos dem schulischen Bildungsauftrag. 

Einige Tage später erscheint der Vater des Mädchens in der Sprechstunde der betreffenden Lehrkraft und erklärt ihr in aggressivem Tonfall: „Und das sage ich ihnen, die schreibt das Protokoll nicht!“ Nachdem es dem Lehrer mühsam gelingt, dem Herrn den Ablauf aus seiner Sicht zu erklären, wechselt der plötzlich das Thema: 

Lehrer hätten doch auch Vorbilder zu sein, was nicht der Fall sei, wenn sie vor seinem Geschäft parkten. Dies führe zu einer Minderung seines Umsatzes, und schließlich würden die Lehrer ja auch von seinen Steuern bezahlt.

Den anderen Schmarren" mit dem Protokoll wolle er gar nicht weiter verfolgen, aber das mit den Parkplätzen müsse jetzt geklärt werden.

Dies erhellt den wahren Hintergrund der Affäre:

Das Gymnasium, an dem unsere Geschichte spielt, ist erst im Aufbau begriffen, derzeit werden dort die Klassenstufen 5-7 unterrichtet. Da der Neubau nur auf Plänen existiert, hat man mitten im Städtchen einige mehr oder weniger geeignete kommunale Räumlichkeiten freigeräumt. Nahe Parkplätze sind kaum vorhanden, daher haben die Lehrkräfte einen 250 Meter-Anmarsch von einem mit Schlaglöchern und Kies ausgestatteten Acker zu bewerkstelligen. 

Der betreffende Vater führt direkt neben der Schule ein Geschäft, in dem – sagen wir einmal – Lebensmittel verkauft werden. Vor seinem Laden gibt es in der Straße einige Kurzparkplätze (mit Parkschein, 60 Minuten). Es kam vor, dass die auch Lehrkräfte der Schule benutzten, in seltenen Fällen auch unser Lehrer. Und ja, es war nicht ausgeschlossen, dass der eine oder andere Kollege schon mal die Parkscheibe nachstellte, um vielleicht zwei Stunden dort stehen zu können. 

Im dienstlichen Bericht, den die Lehrkraft über das Gespräch verfasste, wird der Vater so zitiert:

„Überhaupt sei es Schülern und Eltern genauestens bekannt, welcher Lehrer wo und wie oft falsch parke – ich selbst sei da ‚noch nicht einer von den Schlimmsten‘, aber durchaus auch betroffen. Schließlich sei er (der Vater) ja wirklich großzügig.“

Da stimmt: Auf seinem Privatgrundstück direkt neben der Schule hatte er dieser vier Parkplätze vermietet. Diese wurden jedoch weitgehend von den Mitarbeitern der Schulleitung (und Schwerbehinderten – den Kalauer unterdrücke ich tapfer) genutzt.

„Den anderen Lehrern tue es schließlich sogar gut, wenn sie in der Früh vom Parkplatz zu Gymnasium laufen müssten.“  Klar, ein wenig Frühsport…

Übrigens tut es auch Geschäftsleuten gut, wenn in ihrer Nähe eine Schule eröffnet – vor allem, wenn sie den Schülern kalorienreiche Pampe verhökern können. Und am Neubau des Gymnasiums haben sich einige Firmen in der Kleinstadt später goldene Nasen verdient. Daher lautete das Wirkprinzip: Das Direktorat bauchpinseln, wenn es ihnen dafür aufsässige Lehrkräfte vom Hals hält. Dies sah auch der Vater so: Mehrfach drohte er dem Lehrer, wenn man nicht „z’sammkäme“, würde er es „dem … sagen“ (gemeint war der Schulleiter). Das hat er wohl auch sofort getan.

Das funktionierte auch in diesem Fall: 90 Minuten nach dem denkwürdigen Elterngespräch (und natürlich ohne Rücksprache mit dem Lehrer) prangte im Lehrerzimmer der folgende Aushang des Chefs: 

„Werte Kolleginnen und Kollegen,

Geschäftsleute in der …straße haben sich bei der Schulleitung darüber beklagt, dass die Kurzparkzonen im Bereich des Gymnasiums von Lehrkräften blockiert werden. Diese Parkbereiche werden dringend von den Kunden benötigt.

Abgesehen davon, dass es weder zulässig noch vorbildlich ist, die Parkdauer durch Rangieren und Weiterdrehen der Parkscheibe zu verlängern, sollte uns an einem guten Verhältnis zur … Bevölkerung gelegen sein.

Ich bitte Sie daher höflich, nicht mehr auf den angesprochenen Flächen zu parken.“

Am nächsten Tag forderte der Schulleiter den Kollegen im Beisein der Schülerin auf, seine Erziehungsmaßnahme zurückzunehmen. Was blieb ihm übrig?

Die Lehrkraft schrieb dazu in ihrer dienstlichen Stellungnahme:

„Gewisse Eltern bzw. in anderer Weise mit dem Gymnasium befasste Außenstehende scheinen in dieser Schule einen reinen Erfüllungsgehilfen ihrer persönlichen, ja sogar geschäftlichen Interessen zu sehen. Sie leiten daraus offenbar das Recht ab, sich nach Belieben in Fragen von schulischer Erziehung und Unterricht als oberste Befehlsinstanz einzuschalten. (…)

Ein geradezu verheerender Zusammenhang deutet sich in diesem Fall an, wenn der Vater einer Schülerin offenbar sogar der Ansicht ist, er habe den Schulleiter schon durch die Gewährung persönlicher Vorteile auf seiner Seite und könne über ihn Druck auf die Lehrer ausüben. (…)

Ebenso bitte ich um Vorschläge bzw. Maßnahmen zur Verhinderung eines Auftretens von Eltern in Sprechstunden, das, gelinde gesagt, völlig unangemessen ist. Ich rege hier zumindest einen Hinweis bei der schriftlichen Einladung zum nächsten Elternsprechabend an.“ 

Dieser Bitte ist die Schulleitung natürlich nicht nachgekommen – sich mit den Eltern anzulegen ist halt gefährlich. Da nimmt man doch lieber andere Aufgaben wahr, welche die Lehrkraft in ihrer Stellungnahme bereits angedeutet hat:

„Weiter bitte ich um eine Klarstellung, inwieweit – jenseits von zugestandenen Appellen und Anregungen – die dienstlichen Aufgaben der Schulleitung sich auch auf die Überwachung des ruhenden Straßenverkehrs erstrecken.“

Nachdem auch in Gesprächen ersichtlich wurde, dass sich an den Machtverhältnissen nichts ändern würde, übersandte der Lehrer dem Vater und Geschäftsmann einen Verrechnungsscheck über eine dreistellige DM-Summe. Zweck: Vergütung von dessen Einnahmeverlusten durch gelegentliches Parken des Kollegen vor dem Geschäft.

Das trieb natürlich den Korken aus der Flasche: sofortige Einbestellung zum Rapport bei Chef und Stellvertreter. Einige Zeit später – und nach einer weiteren Affäre dieser Art – wurde die Lehrkraft bei der fälligen dienstlichen Beurteilung um einen Grad heruntergestuft. 

Die ließ sich das aber nicht gefallen und zog vor das Verwaltungsgericht. Wie die Sache ausging? Stay tuned!

P.S. Übrigens ging es bei dem gezeigten Film – wenn die Erinnerung nicht täuscht – um die Honigbiene. Die Bedeutung dieses Themas wurde jedoch, wie so oft in unserem Bildungssystem – stark überlagert…

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