Beim „Ausmisten“ meiner
Schulunterlagen fiel mir der folgende Brief in die Hände. Er bezieht sich auf
die seinerzeitige Beschwerde eines Vaters wegen einer mündlichen Note in Biologie für seine
Tochter in der K 12. Dass solche Vorgänge heutzutage kaum einmal in einer
sachlich-entspannten Atmosphäre verlaufen, ist Berufsalltag. Die Schmutzkübel,
die damals über mich ausgegossen wurden, sind allerdings schon
rekordverdächtig.
Die Tochter wechselte anschließend vom
Grund- in den Leistungskurs Biologie, in Mathematik umgekehrt. Ein Gespräch,
das ich kurz darauf mit ihr führte, ergab, dass sie die Sache nicht halb so
dramatisch empfunden hatte wie ihr Vater. Auch der Kurswechsel, so versicherte
sie mir, ginge nicht auf diesen Vorfall zurück, sondern auf ihre Probleme mit Mathematik.
Ich schrieb damals dem Vater einen
persönlichen Brief, den ich aber erst abschicken wollte, wenn seine Tochter das
Abitur bestanden hatte und somit keine Besorgnis meiner „Befangenheit“ mehr bestand.
Irgendwie konnte ich mich dann doch nicht dazu entschließen – die im Schreiben erwähnten
Konsequenzen jedoch habe ich gezogen. Welche? Nun, lesen Sie selbst:
Sehr geehrter
Herr …,
ich schreibe
Ihnen diesen Brief bereits jetzt (…), werde ihn aber erst abschicken, wenn (Ihre Tochter) ihr Abiturzeugnis erhalten
hat. Der Grund: Ich möchte jede Möglichkeit vermeiden, dass Ihre Tochter oder
auch die Mitschüler ihres Jahrgangs in irgendwelcher Weise in diese
Auseinandersetzung hineingezogen werden bzw. die geringsten Zweifel an meiner
dienstlichen Unvoreingenommenheit ihnen gegenüber entstehen könnten. Diese
Verantwortung hinsichtlich meiner Schüler hat mich auch damals davon
abgehalten, Ihnen auf Ihr unglaubliches Verhalten die entsprechende Reaktion
zukommen zu lassen. Die Gefahr, dass dies das Klima an der Schule bzw. in den
entsprechenden Kursen vergiftet hätte, war mir einfach zu groß. Auch dass Sie
sich verantwortungslos verhalten haben, entbindet mich nicht von dieser
Pflicht.
Hinzu kommt,
dass ich mit (Ihrer Tochter) oder
ihren Mitschülern nicht wirklich ein Problem hatte und habe. Selbst wenn wir
einmal unterstellen, ich hätte Ihre Tochter damals wirklich zu hart, zu
ungeduldig oder inhaltlich nicht adäquat befragt: Solche Dinge kommen an allen
Orten, wo über tausend Menschen täglich miteinander umgehen müssen, in der
Hektik des „Betriebs“ vor – und jeder Pädagoge (der es länger als einige Monate
an der Schule aushält) ist geradezu darauf angewiesen, in solchen Fällen
Rückmeldungen zu erhalten, damit nicht irgendwelche störende Eindrücke
bestehen bleiben, die keinem der Beteiligten weiterhelfen. Ich hätte mir damals
gewünscht, (Ihre Tochter) oder andere
Schüler hätten mich möglichst bald auf ihre Sichtweise der Ereignisse
hingewiesen, dann hätte man in Ruhe darüber reden und das Problem
höchstwahrscheinlich klären, mindestens aber verringern können.
Dies war dann
ja auch letztlich das Ergebnis der Unterredung mit Ihrer Tochter, bei dem die Sache
ziemlich relativiert, insbesondere mir keinerlei „böse Absicht“ unterstellt
wurde. Und bei ihren Mitschülern im Kurs hatte ich vorher und nachher nicht im
Geringsten den Eindruck einer gespannten oder gar „verängstigten“ Atmosphäre.
Übrigens entspricht es der Lebenserfahrung, dass es stets „selektive
Wahrnehmungen“ gibt: Wenn beispielsweise Schüler aus dem Unterricht erzählen,
werden sie die Schwierigkeit des Stoffes oder die „Strenge“ des Lehrers mehr
betonen als die Tatsachen, dass man hätte besser aufpassen, sich gründlicher
vorbereiten oder sich kooperativer verhalten sollen. Dies soll kein Vorwurf
sein, sondern nur ein Hinweis auf allgemein menschliche Tendenzen.
Womit ich
damals, gelinde gesagt, ein Problem hatte und auch heute noch habe, sind
ausschließlich Sie, Herr (…) – und es
würde für Ihren Mut sprechen, wenn Sie es bei dieser bilateralen
Auseinandersetzung beließen und nicht irgendwelche Dritten, die letztlich keine
Schuld haben, wieder als Waffe missbrauchen würden.
Um nicht
ständig Details zitieren zu müssen, lege ich Ihnen meine Gedächtnisprotokolle
zu den damaligen Ereignissen vor – übrigens hat mir noch niemand gezeigt, was
Sie diesbezüglich zu Papier gebracht und dem Schulleiter vorgelegt haben.
Soviel schon einmal zum Thema „Fairness“ – später noch mehr.
Ich stelle
zunächst einmal fest, dass Sie damals offenbar von vornherein entschlossen
waren, jemanden, den Sie überhaupt nicht persönlich kannten, den Sie am Tag der
Sprechstunde wohl zum ersten Mal überhaupt sahen, in der gehabten Weise mit
Attacken zu überziehen. Dies war Ihr erster und entscheidender Fehler, denn
hätten Sie mich gekannt, so wäre Ihnen klar gewesen, dass ich Ihnen einen derartigen
Affront nicht durchgehen lasse.
In Ihrem
Schreiben vom (…) baten Sie mich um
einen „Besprechungstermin“, den ich Ihnen noch am selben Tag ermöglichte. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass Ihnen der Sinn dieses Begriffs auch nur
ansatzweise klar war. Er bedeutet nämlich, dass man wenigstens grundsätzlich
bereit ist, sich auf die Darstellung, die Argumente des Gesprächspartners
einzulassen, versucht, die Sache auch einmal von der Seite des Gegenübers zu
sehen. Stattdessen führten Sie mit mir ein Verhör, in dem Sie bestimmten, wer
wann und wozu etwas zu sagen habe, maßten sich berufliche Kenntnisse an, über
die Sie in keiner Weise verfügen, ja vermieden nicht einmal die
Geschmacklosigkeit, einen auf die Verfassung vereidigten Beamten nach
Grundgesetzartikeln auszufragen – und der anmaßende, impertinente Tonfall
passte dazu. Ihre mehrfache Einlassung, Sie würden mir sowieso nichts glauben,
sondern seien „wütend und zornig“ auf mich, disqualifizierte Sie als
Gesprächspartner natürlich vollends. In der Summe steht für mich fest, dass es
Ihnen nicht um die Klärung oder gar Lösung von Problemen ging, sondern um
Einschüchterung, um den Aufbau einer Drohkulisse. Dies, lieber Herr (…), war Ihr zweiter Fehler, denn hätten
Sie mich gekannt, so wäre Ihnen die Aussichtslosigkeit eines solchen Vorhabens
klar gewesen.
Da Sie im
Detail nicht wirklich wichtige oder harte Fakten hinsichtlich der Notengebung
vorweisen konnten, verlegten Sie sich auf den atmosphärischen Bereich: Ich
hätte Ihre Tochter „in ihrer Würde demontiert“, sie „in die Enge getrieben“,
„zum Deppen gemacht“. Generell sei ja von mir bekannt, dass die Schüler „Angst
vor mir hätten“, sich „nichts zu sagen trauten“. Ich weiß nicht, ob es Sie
überhaupt noch erreicht, dass Sie damit (außer sexuellen Verfehlungen) die
schlimmsten Vorwürfe erheben, die man einem Lehrer gegenüber ins Feld führen
kann – aber angesichts des sonstigen „Vernichtungsfeldzugs“ gegen mich fürchte
ich: Es war Ihnen klar. Wenn Sie wirklich davon überzeugt waren, wieso haben
Sie dann nicht eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen mich erhoben, namentliche
Aussagen von Mitschülern eingeholt oder sind wenigstens einmal als Gast in
meinen Unterricht gekommen, wie ich es Ihnen angeboten habe? Die Antwort ist
für mich klar: Dann hätten Sie Ihre Vorwürfe beweisen bzw. überprüfen müssen,
und es wäre herausgekommen, dass diese haltlos sind. Wie passt es denn zur
Schwere der Vorhaltungen, wenn (Ihre Tochter) mir gegenüber erklärt, sie wäre
in meinem Kurs geblieben, wenn der Wechsel des Leistungskurses nicht eine
andere Lösung erzwungen hätte? Kann das dann alles so schlimm gewesen sein? In
der Summe steht für mich fest, dass es Ihnen nicht um die Wahrheit ging,
sondern darum, mich mit Dreck zu bewerfen.
Es ist ja so
„einfach“, irgendwelche Gerüchte und Vermutungen einfach zur Tatsache zu
erklären, wenn es einem gerade in den Kram passt! Sollte ich das auch einmal
versuchen? Es ist ja schon ungewöhnlich, dass eine fast achtzehnjährige
Kollegiatin emotional derartig abstürzt, wenn sie sich einmal in einem Grundkursfach
nicht adäquat geprüft und bewertet fühlt (wobei ich einmal, trotz Ihres
sonstigen Verhaltens, Ihre dramatische Schilderung der Wirkung auf Ihr Kind als
zutreffend unterstelle – ich war ja nicht dabei). Wenn dem so war, dann
erscheint mir überhaupt nicht plausibel, dass ich in zwei Unterrichtsstunden plus
einer knappen Viertelstunde mündlicher Prüfung eine solche Reaktion provoziert
haben könnte. Es gibt andere Menschen, die viel länger auf (Ihre Tochter) einwirken, und da, Herr (…), stehen Sie an der Spitze der „Verdächtigen“ – auch da Sie ihr
gar so selbstverständlich Dinge aus der Hand nahmen, um die sich eine beinahe
Volljährige gemeinhin eher selber kümmert! Ich könnte mir den „Einbruch“ Ihrer
Tochter jedenfalls durchaus so erklären, dass sie unter einer riesigen Erfolgserwartung
steht. Fühlt sie sich vielleicht von Ihnen bedrängt und unter Druck gesetzt in
der Hinsicht, sie dürfe niemals versagen, müsse stets exzellente Noten bringen,
dürfe ihren Vater nicht enttäuschen? Soll sie gar die Erfolge einheimsen,
welche Ihnen im Leben versagt geblieben sind?
Sie sollten
den Unterschied beachten, dass ich gerne zugebe, hier nur zu spekulieren – denn
beweisen kann ich das alles nicht. Sie dagegen „verkaufen“ die entsprechenden
Vermutungen und Verdächtigungen als Tatsachen!
Kein Lehrer
(der diese Berufsbezeichnung halbwegs verdient) wird es leicht nehmen, wenn ein
Schüler in Zusammenhang mit seinem Unterricht traurig und frustriert ist oder
gar noch heftig weint (laut Aussage des
Vaters tat sie das zu Hause). Nur sollte man sich auch noch in einem anderen
Zusammenhang mit der Möglichkeit befassen, dass auch Lehrkräfte zu den
menschlichen Wesen zählen: Während der ganzen Affäre hat keiner der beruflich
Beteiligten auch nur ansatzweise nach meiner physischen und psychischen
Situation gefragt. Daher muss ich mich wohl selber darum kümmern. Nur in Kürze
zur Information: Vor einem Jahr wurde bei mir eine Krebserkrankung
diagnostiziert, die mit belastenden Untersuchungen und Therapien (u.a. sechs
Chemozyklen) verbunden war. Obwohl mir meine Ärzte dringend rieten, für längere
Zeit nicht arbeiten zu gehen, bin ich bis auf wenige Fehltage beruflich aktiv
geblieben, denn ich wollte keine Mehrarbeit für die Kollegen, wollte meinen
Leistungskurs selber zum Abitur führen, nicht als Klassenleiter ausfallen
u.v.m. Ich war sehr stolz darauf, dass ich die ganzen Schwierigkeiten meisterte
– und dabei hat mir der Beruf sicherlich
auch geholfen.
Ihr Auftritt
damals in der Sprechstunde hat bei mir zu einem totalen Absturz geführt: Mit
zusammengebissenen Zähnen die ohnehin schon großen gesundheitlichen und schulischen
Belastungen und Zumutungen zu ertragen und sich dann noch derart infamen
Anwürfen ausgesetzt zu sehen – das war mir zuviel. Ich beschloss am gleichen
Tag, die Möglichkeiten meiner Schwerbehinderung auszuschöpfen und zum frühestmöglichen
Zeitpunkt in den Ruhestand zu gehen. Nicht, dass Sie nun glauben, Sie wären
hierfür der Hauptgrund oder auch nur eine wesentliche Ursache – so wichtig sind
Sie nicht. Aber irgendwann kommt halt der letzte Tropfen, der das Fass zum
Überlaufen bringt.
Wie soll man
sich auch gegen solche Rufmorde wehren? Selbst wenn nichts beweisbar ist und
sich vieles sogar widerlegen lässt: „Der schüchtert doch immer wieder seine
Schüler ein“… „Da war doch erst letztes Jahr so ein Fall mit einer Kollegiatin!“
…
„Die hat doch
wegen ihm den Kurs wechseln müssen…“ Es ist so leicht, Schmutz aufzurühren und
so schwer, alles wieder sauber zu bekommen – und es ist genauso ekelhaft, wie
es klingt. Unter solchen Bedingungen sehe ich keinen Sinn mehr darin, meine
34-jährige Arbeit noch länger fortzusetzen.
Sie, Herr (…), müssen jedenfalls von mir den
Vorwurf entgegennehmen, dass Sie versucht haben, mich unter Druck zu setzen und
in die Enge zu treiben, meine Würde und mein berufliches Ansehen zu demontieren,
mich zu einem „Monster“ zu machen, das seine Schüler drangsaliert. Sollten Sie
hierüber oder zu Ihren Anwürfen von damals juristische Auseinandersetzungen
wünschen, steht Ihnen meine Anwaltskanzlei hierzu gerne zur Verfügung.
Ansonsten möchte ich in meinem restlichen Leben von Ihnen nichts mehr hören und
sehen.
In der
Annahme, dass dies von Ihnen nur als „Floskel“ verstanden würde, verzichte ich
auf eine Grußformel.
Gerhard Riedl
P.S. Nach dem fulminanten Auftritt,
den der Herr Papa in meiner Sprechstunde hinlegte, beschwerte er sich sofort
schriftlich über mich bei meinem Chef, von welchem ich umgehend eine „Vorladung“
erhielt. Vorausahnend hatte ich bereits eine schriftliche Stellungnahme zu den
Ereignissen formuliert, die ich ihm bei unserer Unterredung anbot. Seine
Reaktion werde ich nie vergessen: „Nein, ich möchte das erst einmal mündlich
von Ihnen hören“ (wahrscheinlich, um meine "Glaubwürdigkeit" zu beurteilen). Passend dazu nahm mein Schulleiter die Pose eines „Richters“
ein, welcher nun den Streit der Parteien zu judizieren habe. Wahrlich, ein „Kollege“
saß mir da nicht gegenüber!
Natürlich kam bei der Sache genau
nichts heraus – wohl vor allem, weil nichts dran war. Bis heute kenne ich
übrigens weder das Beschwerdeschreiben des Vaters noch habe ich je eine
Rückmeldung meines Chefs erhalten, wie er denn nun die Sache abschließend sehe.
Fazit: Mir blieb die Rufschädigung
plus zirka zehn Stunden Mehrarbeit für Gespräche und Stellungnahmen – übrigens wegen
der Note Vier (05 Punkte). Meine derzeitige, recht üppige Pension sehe ich
daher durchaus als nachgeholte „Schmutzzulage“…
Danke! Und Gratulation dass Sie das alles gut überstanden haben. Ich, ein ehemaliger sehr fauler Schüler (unter anderem in einem Bio-Grundkurs) hatte auch oft schlechtere Noten, jedoch habe ich Sie stets als fair, transparent und kompetent erlebt. Sogar Humor war manchmal dabei.
AntwortenLöschenMit freundlichem Gruß,
Gustl Buheitel der gerade für sein Staatsexamen lernen sollte.
Lieber Gustl Buheitel,
Löschenals so faul habe ich Sie nicht in Erinnerung - eher als freundlich und lustig.
Danke für Ihre wertschätzenden Worte und viel Erfolg beim Staatsexamen!
Ihr Gerhard Riedl
Der Text, den ich vor gut 24 Stunden auf mein Blog gestellt habe, bewirkte eine ungeheure Resonanz: Hier sind es schon über 400 Zugriffe, die Ankündigung auf Facebook wurde bislang von knapp 1500 Lesern gesehen. Dazu erhielt ich - auf verschiedenen Wegen - etliche sehr freundliche Kommentare zu meinem früheren Berufsleben.
AntwortenLöschenHerzlichen Dank an alle! Es würde mich freuen, wenn sich über das Thema "Erziehungspartnerschaft" (also die Kooperation von Eltern und Lehrern) einmal eine ernsthafte Debatte ergeben würde.